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Experten-Interview Mai 2010



Rechtsanwältin Gutjahr – Wann gilt jemand als zahlungsunfähig?

 

Haushaltsplan machen!

 

Wachsende Arbeitslosigkeit und die Wirtschaftskrise treiben immer mehr Menschen in die SchuldenfalIe. Wie kommt man da raus und wie kann man vorbeugen? Hierzu habe ich Frau Veronica Gutjahr, Fachanwältin für Insolvenzrecht interviewt.

 

Judit Nothdurft: Frau Gutjahr, wann gilt jemand als zahlungsunfähig?

Rechtsanwältin Gutjahr: Wenn die monatlichen Einnahmen niedriger sind als die monatlichen Ausgaben. Eine Berechnung sieht so aus:

 

Einnahmen:

Lohn /Gehalt, Arbeitslosengeld, Erziehungsgeld, Kindergeld, Wohngeld, Rente

minus Ausgaben:

Miete+Nebenkosten, Versicherungen, Kfz-Steuer, Kfz-Rate, Lebensmittel, Kindergartenbeitrag, Kreditraten, Zeitschriften-Abo, Premiere/Sky, Kabelfernsehgebühren, Fitnessclub-Beitrag, Sportvereinsbeitrag, Hobby, etc.

 

Ist das Ergebnis negativ, dann ist man zahlungsunfähig.

 

Was sind die häufigsten Ursachen, wenn Menschen sich verschulden?

Zu viele Ratenkäufe, Arbeitslosigkeit und Scheidungen. Speziell bei Scheidungen können oft die Kreditraten nicht mehr bezahlt werden, da das Einkommen geringer wird, als es vorher war. Die Ausgaben wiederum steigen, da durch die Trennung jetzt beide, Frau und Mann, für ihre Wohnungen Miete zahlen müssen.

 

Wie könnte man Schulden vorbeugen?

Haushaltsplan machen! Genau rechnen, wie viel Geld bekomme ich und wofür gebe ich Geld aus?

 

Was sind die häufigsten Schuldenfallen?

Ratenkaufverträge, Kredite bei Banken, Dispo-Kredit, Umschuldung. Raten oft zu hoch. Bei Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeiter kann man nicht mehr bezahlen.

 

Was sollte man auf keinen Fall auf Raten kaufen?

Luxusartikel und Verbrauchsartikel: Handy, Notebook, Game-Konsole, TV, alles was eine kurze Lebensdauer hat und schnell veraltet. Urlaub nie nie nie! Lieber zuhause bleiben!

 

Gibt es spezielle Schuldenfallen für Gehörlose? Wenn ja welche?

Nein, nichts spezielles, TV-Werbung und Internet ist für alle Leute verführerisch. Vertragstexte (kleingedruckte AGBs) sind schwierig formuliert. Selbst Hörende können diese oft nicht verstehen. Im Internet klickt man schnell weiter oder ok! Das ist gefährlich für alle Leute!

 

Wie können sich Gehörlose vor solchen Fallen schützen?

Vor einer Unterschrift unter Verträge genau prüfen und verstehen wollen und dafür evtl. mehrmals erklären lassen.

 

An wen sollte man sich wenden, wenn man verschuldet ist? Bei der Bank nach Kredit fragen oder in der Zeitung / im Internet / im Bekanntenkreis nach Kreditgeber suchen?

Es kommt darauf an, wie hoch die Schulden sind. Wenn sie ein Netto-Monatsgehalt betragen, sollte man überlegen, ob man bei Familie, Bekannten oder bei der Hausbank einen Kredit bekommt, zu akzeptablen Zinsen (vergleichen!). Wenn es mehr als ein Netto-Monatseinkommen ist, besser zur Schuldnerberatung gehen. Auf keinen Fall aus Zeitung oder Internet einen Kredit holen. Dort werden immer viel zu hohe Zinsen verlangt.

 

Wie kann man unseriöse Kredit-Anbieter erkennen?

Zu hohe Zinsen, zu hohe Raten, kein Beratungsgespräch. Schneller Kredit, ohne Nachfrage wofür. Das ist verdächtig!!!

 

Was raten Sie, wann sollte man zu einer Schuldnerberatung gehen und was wird hier genau gemacht?

Wenn man eine Lohnpfändung hat, das Girokonto gepfändet wurde und wenn monatliche Ausgaben höher sind als Einnahmen: dringend einen Schuldnerberater aufzusuchen. Oft kann er noch sagen, wo man sparen kann.
Der Schuldnerberater schaut, ob die Schulden überhaupt noch bezahlt werden können oder ob es schon so viele sind, dass ein Insolvenzverfahren notwendig ist. Es werden alle Gläubiger angeschrieben und der aktuelle Saldo abgefragt. Im Anschluss wird ein Schuldenbereinigungsplan aufgestellt, der über 72 Monate geht und in dem der monatlich pfändbare Betrag als Rate an alle Gläubiger angeboten wird. Sind die Gläubiger nicht damit einverstanden, kann das Insolvenzverfahren beantragt werden.

 

Wie hoch ist die Summe, die gepfändet werden darf?

Der pfändbare Betrag steht in einer gesetzlichen Tabelle. Wenn man z.B. netto 1.120,00 € verdient (nicht verheiratet, ohne Kinder), dann sind 94,40 € pfändbar. In diesem Fall wird 94,40 € vom Verdienst abgezogen und an die Gläubiger verteilt. Den Rest darf man behalten. So hat man oft mehr übrig, als wenn man alle Kreditraten bezahlen müsste. Ein Insolvenzverfahren kann man auch mit einem so genannten „Null-Plan“ machen, d.h. wenn jemand weniger als 990,00 € verdient, dann kann man nichts pfänden.

 

Was kostet so eine Schuldnerberatung?

Bei den Schuldnerberatungsstellen (Diakonie, Caritas, Landratsamt etc.) ist die Beratung kostenlos. Bei geringem Einkommen kann man einen Beratungshilfeschein beim Amtsgericht holen und zum Rechtsanwalt gehen. Dann kostet es nur 10,00 €. Ohne Beratungshilfeschein kostet der Rechtsanwalt bis zu 1.000,00 €.

ACHTUNG: Auch bei den Schuldnerberatern gibt es unseriöse Anbieter!!

Immer fragen, wer die „Anlage 2“ des Insolvenzantrags unterschreibt. Das darf nur der Rechtsanwalt, Steuerberater oder eine Person mit besonderer Zulassung. Wenn der Rechtsanwalt oder Steuerberater nicht vor Ort ist, d.h. in einer anderen Stadt die Kanzlei hat, ist es immer verdächtigt. Diese Schuldnerberatungs-gesellschaften verlangen oft zuviel Geld.

 

Man hört oft von einem Eintrag in der Schufa. Worum geht es hier genau?

Die Schufa ist eine Schutzgemeinschaft für Gläubiger (also die Leute, denen man Geld schuldet). Bevor eine Bank einen Kredit gibt oder ein Versandhändler Ratenzahlung akzeptiert, schauen sie bei der Schufa nach, ob derjenige schon einmal einen Kredit bekommen hat von einer anderen Bank und ob er den Kredit ordentlich zurückbezahlt hat. Gab es Probleme, wird dies bei der Schufa eingetragen. Dann bekommt man von der neuen Bank keinen Kredit.

 

Welche Auswirkungen kann ein Schufa-Eintrag haben und wann wird er gelöscht?

Der Eintrag bleibt so lange drin, bis der Gläubiger (Bank, Versandhaus) erklärt, dass der Kredit ordentlich zurück bezahlt wurde. Dann ist der Eintrag wieder weg, und man ist wieder kreditwürdig.

Wird der Kredit nicht zurückbezahlt, bleibt der Eintrag bis zum Ende des Insolvenzverfahrens stehen und sogar noch weitere 2-4 Jahre. Man bekommt in dieser Zeit also keinen Kredit und kann nicht auf Raten kaufen. EC-Karte und Kreditkarte bekommt man auch nicht mehr, nur noch die Kundenkarte der Bank zum Geld und Kontoauszüge holen.

 

Was ist bei einem Insolvenzverfahren zu beachten?

Der Schuldnerberater sollte alle Vermögenswerte anschauen und erklären, was damit passiert. Wenn man z.B. eine Lebensversicherung hat, dann muss diese aufgelöst werden und der Rückkaufswert wird (vom Treuhänder, so heißt der Insolvenzverwalter im Verbraucherinsolvenzverfahren) eingezogen. Nur Riester-Renten-Verträge sind insolvenzfest und dürfen weiter bezahlt werden. Steuererstattungen werden ebenfalls vom Treuhänder eingezogen. Damit darf man also nicht mehr rechnen.

Kein Gläubiger darf im Insolvenzverfahren noch Geld bekommen. Eventuell können Gläubiger die verkauften Sachen zurück verlangen wenn der Kaufpreis nicht voll bezahlt ist (z.B. Sofa oder TV müssen dann zurückgegeben werden).

Sehr oft ist das Insolvenzverfahren der bessere Weg im Vergleich zur Neuaufnahme hoher Kredite, da man nach sechs Jahren von allen Schulden befreit ist, und es keine besondere Einschränkung ist.

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Veronica Gutjahr

 

 
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