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Experten-Interview August 2018



Kitesurfen und noch mehr Wassersport für Gehörlose

 

Wo kann man Kitesurfen lernen, Stand-Up-Paddling (SUP) oder Wakeboard fahren und noch dazu in Gebärdensprache? Hierzu habe ich Marie Kohlen, eine der Geschäftsführerinnen der Firma DeafVentures interviewt.

 

Frau Kohlen, Sie bieten mit Ihrer Geschäftspartnerin Wassersportcamps speziell für Gehörlose an. Wie kommen Sie als studierte Gebärdensprachdolmetscherin dazu, ein Wassersportunternehmen zu gründen?

Marie Kohlen: Ich bin selbst seit einigen Jahren dem Kitesurfen verfallen und auch meine Geschäftspartnerin Pia teilt diese Leidenschaft. Da wir beide offen für Neues sind, haben wir unsere Kompetenzen in unserer Firma DeafVentures miteinander optimal verbunden. Pia’s Kitelehrer-Lizenz, meine Gebärdensprachkompetenz und unser Kite-Expertenwissen ergeben ein sehr gutes Paket, um es an Gehörlose weiterzugeben.

 

Welche Wassersportarten bieten Sie für Gehörlose an und wie?

Neben dem Kitesurfen (Schnupperkurs, Anfängerkurs, Fortgeschrittenenkurs) bieten wir, je nach Paket, auch SUP, Wakeboarden und Kanu fahren an.

Im Rahmen unserer Camps können wir alle Sportarten machen. Wenn wir ein reines Kitecamp haben, legen wir den Fokus auf das Kitesurfen und versuchen, den Wind bestmöglich auszunutzen. Bei Windstille greifen wir auf die anderen Sportarten zurück. Ab 2019 bieten wir auch reine Kitekurse an.

Eine Buchung ist bei allen Kursen vorab notwendig, da wir keinen eigenen festen Standort haben.

 

Sie trainieren in erster Linie auf Ummanz. Was ist das Besondere auf dieser Halbinsel für Wassersportler?

Wir kommen beide nicht von Ummanz. Ich komme aus Neuss und wohne bei Magdeburg. Die Verbindung nach Ummanz kommt über Pia zu Stande. Sie ist gebürtige Berlinerin, wohnt über den Sommer oft auf Ummanz und hat auch schon einige Jahre hier in einer Bar gearbeitet.

Wir haben hier auch gute Kontakte zum Hostel und zur Surfschule, die uns beim Start unterstützen konnten.

 

Der Kite- und Windsurfspot in Suhrendorf (Ummanz) ist eine der größten deutschen Stehreviere. „Stehrevier“ bedeutet, dass man hier sehr weit rauslaufen kann, ohne den Bodenkontakt unter sich zu verlieren. Für Anfänger ist dies also ein ideales Übungsrevier, um die ersten Kite-Erfahrungen zu machen.

Da es weltweit tolle Spots gibt, an denen man ebenso toll kitesurfen kann, bereisen wir auch das europäische Ausland und gehen auch über dessen Grenzen hinaus. Dieses Jahr werden wir noch zwei Camps in Portugal ausüben. Im Januar haben wir noch ein Camp auf Belitung in Indonesien. Auch diese Möglichkeit ist über Pia entstanden. Sie hat dort Anfang 2018 zwei Monate verbracht, um Material für ihre Masterarbeit zu sammeln.

 

Was beinhalten Ihre Camps-Angebote für Gehörlose?

Wir unterscheiden zwischen Wassersportcamp und Kitecamp.

Beim Wassersportcamp bieten wir einen Schnupper-Kitekurs (ca. 4 Stunden), SUP, Wakeboard und Kanu an.

Beim Kitecamp liegt der Fokus auf dem Kitesurfen (Anfängerkurs 10 Stunden), die anderen Sportarten können bei Interesse dazu gebucht werden. Jedes Camp beinhaltet außerdem die Unterkunft und bei Bedarf auch den Transport.

 

Was steht auf dem Programm?

Das Wichtigste für ein erfolgreiches Kitecamp ist immer der Wind! Ist es windig (ab ca. 10-12 Knoten), können wir das Kitesurfen trainieren. Vorab gehört auch Theorieunterricht dazu. Insgesamt verbringen wir 10 Stunden mit der Kiteschulung. Wenn diese 10 Stunden erreicht sind, haben die Teilnehmer noch die Möglichkeit, zusätzliche Schulungs- und Materialstunden zu buchen.

Falls wir keinen Wind haben, beschäftigen wir uns mit den anderen Wassersportarten, erkunden die Umgebung (Ummanz ist einfach wunderschön) und lassen auch mal die Seele baumeln.

Generell bestimmen die Teilnehmer, wozu sie Lust haben und wie viel Zeit sie mit allem verbringen möchten, das wir ihnen vorschlagen.

 

Mitten in den Wellen zu gebärden, stelle ich mir schwierig vor. Wie klappt die Kommunikation auf dem Wasser?

Die Kommunikation auf dem Wasser klappt bereits sehr gut! Dank der Unterstützung von einem gehörlosen Freund und seiner Freundin, konnten wir vorab einen Testlauf machen. Zusammen haben wir einige Strategien erarbeitet. Diese werden aber immer noch von Camp zu Camp erweitert, verbessert und korrigiert. Auch wir lernen natürlich noch viel dazu, gerade jetzt am Anfang.

Auch Pia lernt jeden Tag neue Gebärden! So kann sie bereits unseren gehörlosen Teilnehmern kurze Informationen in Gebärdensprache übermitteln, wenn ich gerade ein paar Meter entfernt stehe.

 

Beim Kiten spielt die Windrichtung eine große Rolle. Wenn man nicht hören kann, wie kann man die Windrichtungen deuten?

Tatsächlich war das am Anfang einer der wichtigsten Punkte, die wir zusammen ausprobieren mussten. Hörende drehen sich so in den Wind, bis sie auf beiden Ohren das Rauschen des Windes hören können. Dann wissen sie, woher der Wind kommt. Wir haben auch hier mit unseren Teilnehmern zusammen ausprobiert, wie es am besten für sie klappt. Das Ergebnis ist, dass sie sich ebenfalls in den Wind drehen, bis sie den Wind auf beiden Wangen gleichmäßig wahrnehmen. Auf diese Weise können sie auch herausfinden, woher der Wind kommt. Mit ein bisschen Übung, wird es auch immer besser klappen. Aber man kann sich vor Ort auch an Fahnen (falls vorhanden) oder den Kiteschirmen anderer Kitesurfer orientieren, um die Windrichtung ausmachen zu können.

 

Wie groß sind die Gruppen bei den Camps?

Unsere maximale Anzahl an Teilnehmern beträgt 4 Personen. Teilnehmen können hörbeeinträchtigte Personen, die (vor allem) auf dem Wasser auf Gebärdensprache angewiesen sind. Da wir Partner und Freunde, die hörend, aber gebärdensprachkompetent sind, nicht ausschließen möchten, können auch diese teilnehmen. Ein weiteres wichtiges Teilnahmekriterium ist die Volljährigkeit, Interessenten ab 18 Jahren sind bei uns herzlich willkommen.

 

Die Camps gehen über mehrere Tage. Was sollten die Teilnehmer schon vorher beachten und was darf auf keinen Fall im Reisegepäck fehlen?

Wir empfehlen immer die Mitnahme von Badekleidung (unter dem Neoprenanzug ist es für den einen oder anderen etwas angenehmer mit Badeanzug, Bikini oder enganliegender Badehose). Auch was Warmes zum Anziehen nach der Schulung ist selbstverständlich. Auf Ummanz z.B. ist Mückenschutz ebenfalls sinnvoll. Mücken sind vor allem in den Sommermonaten in Massen vorhanden.

Sonnenschutz und eine Sonnenbrille mit Brillenband sind beim Kitesurfen ebenfalls sehr wichtig. Da man, vor allem zu Beginn des Lernens, viel in die Sonne schaut, macht sich da eine Sonnenbrille sehr gut.

 

Die ersten Camps für Gehörlose sind bereits beendet. Wie waren die Reaktionen?

Bislang hatten wir überwiegend positives Feedback! Die Teilnehmer freuen sich über das neue Angebot und die daraus resultierenden neuen Möglichkeiten.

Das beste Feedback sind Anmeldungen für ein weiteres Camp. Dort werden wir dann mit den Teilnehmern einen aufbauenden Kurs machen und bei ihren bisher erlernten Fähigkeiten weiter machen.

Wir haben auch produktive Anmerkungen erhalten, die wir dankend annehmen und in die kommenden Camps mit einfließen lassen werden.

 

Kann man bei Ihnen auch Einzelunterricht buchen?

Ja, man kann bei uns auch Einzelunterricht buchen (Privatstunde). Dies ist immer vor Ort und ganz individuell umsetzbar. Zusätzlich kann neben den Privatstunden auch Material dazu gebucht werden, wenn die Stunden eines Kurses schon genutzt sind. Eine Preisliste dazu wird bald auf unserer Homepage www.deafventures.de erscheinen.

 

Wie gut sind die Kurse gebucht?

Unsere Angebote für 2018 sind komplett ausgebucht! Wir haben darüber hinaus sehr viele individuelle Anfragen erhalten. In Kürze werden wir mit der Planung für 2019 beginnen und werden versuchen, so viele Anfragen wie möglich zu verarbeiten und abzudecken.

Für 2019 möchten wir neben 2-3 Camps auch reine Kitekurse anbieten, da viele Anfragen auch dahin tendieren.

 

Welche Fitness oder welche Voraussetzungen braucht man zum Kiten?

Eine besonders ausgeprägte Fitness ist nicht unbedingt notwendig. Wichtig ist, dass man schwimmen kann. Auch wenn wir in einem Stehrevier unterrichten, kann es im Notfall auch mal anders kommen. Genauso kann es vorkommen, dass man später in anderen Wassergebieten kitet, wo man nicht mehr stehen kann.

Sicherlich kann einem eine gewisse Sportlichkeit nur zu Gute kommen, weil man sich körperlich vielleicht besser beherrscht und alle Schritte gut koordinieren kann. Aber das ist keine Voraussetzung.

 

Vielen Dank für das Interview und mit vollem Wind voraus!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Marie Kohlen

 

 
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