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Experten-Interview November 2019



Gehörlosengeld bald auch in Bayern?

 

Am 07.10.19 wurden der Sozialministerin in Bayern knapp 13.000 Unterschriften übergeben, um ein Gehörlosengeld, in Bayern einzuführen. Die Landtags-Grünen unterstützten diese Forderung ebenfalls. Hierzu habe ich Kerstin Celina (Landtagsabgeordnete Bündnis 90/Die Grünen) interviewt.

 

Frau Celina, was fordern konkret die Grünen?

Kerstin Celina: Für gehörlose und schwerhörige Menschen besteht eine gesetzliche Versorgungslücke – im privaten Bereich wird die Unterstützung durch Gebärdensprach- und Schriftdolmetscher bislang nur bei „besonderen Anlässen" übernommen. Für alltägliche Lebensbereiche besteht kein Anspruch auf Unterstützungsleistungen.

Wir Grüne möchten, dass Teilhabe an der Gesellschaft allen Menschen gleichermaßen offensteht, das darf keinesfalls eine Frage des Geldbeutels sein. Darum setzen wir uns seit einigen Jahren für die Einführung eines Gehörlosengeldes ein. Damit wären endlich dauerhafte, chancenausgleichende Leistungen für gehörlose und schwerhörige Menschen verankert.

 

Was sind die Voraussetzungen dafür, dass endlich auch hier in Bayern das Gehörlosengeld eingeführt wird?

Der Landtag muss hierfür die gesetzlichen Grundlagen ändern, ganz konkret muss das Bayerische Blindengeldgesetz (BayBlindG) zu einem Blinden- und Gehörlosengeldgesetz weiterentwickelt werden. Blinde, taubblinde Menschen sowie sehbehinderte und hör-sehbehinderte Menschen erhalten nach diesem Gesetz zum Ausgleich ihrer Mehraufwendungen bereits Leistungen. Es gilt, hier auch gehörlose und schwerhörige Menschen zu berücksichtigen.

 

Wie sehen die Chancen aus? Ab wann könnten die Gehörlosen mit einer Entscheidung rechnen?

Unser Antrag müsste noch in diesem Jahr im Sozialausschuss verhandelt werden und wir hoffen natürlich, dass er dort auf Zustimmung stößt. Das ist mit einer Mehrheit von CSU und Freien Wählern für uns Grüne immer sehr schwierig. Allerdings haben die Freien Wähler vor gut einem Jahr – damals noch in der Opposition – unserem grünen Gesetzentwurf zur Einführung eines Gehörlosengeldes zugestimmt. Ich erwarte, dass Florian Streibl & Co hier klare Kante zeigen und unserem Antrag zustimmen.

Wenn der Antrag angenommen wird, ist es Aufgabe der Staatsregierung, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu erarbeiten.

 

Welche Summe müsste die Bayerische Staatsregierung für diesen Zweck aufwenden?

Wir gehen bei rund 15.000 gehörlosen und schwerhörigen Menschen in Bayern davon aus, dass Kosten in Höhe von rund 51 Mio. Euro jährlich für den Freistaat anfallen. Die genaue Summe hängt natürlich davon ab, wie sich die Zahl der Anspruchsberechtigten entwickelt und wie hoch die Staatsregierung letztendlich die Unterstützungsleistungen ansetzt.

Wir Grüne fordern, dass eine Anlehnung an das Blindengeld erfolgt. Gehörlose Menschen könnten beispielsweise 60 Prozent des vollen Blindengeldes erhalten, was rund 350 Euro im Monat bedeuten würde.

 

Würden von diesem Zuschuss auch Schwerhörige profitieren?

Auch schwerhörige Menschen sollten Unterstützungsleistungen erhalten, denn auch für sie ist die Teilhabe an der Gesellschaft ohne diese Leistungen nur eingeschränkt bzw. unter finanzieller Mehrbelastung möglich. Auch hier wäre eine Anlehnung an das Blindengeld denkbar – bei einem beidseitigen Hörverlust von 80 Prozent könnten 30 Prozent des vollen Blindengelds angesetzt werden.

Das würde einer monatlichen Zahlung von rund 170 Euro entsprechen.

 

Es ist nicht das erste Mal, dass die Grünen für die Einführung kämpfen…

Die CSU hat sich bislang vor allem mit Verweis auf das Bundesteilhabegesetz aus der Verantwortung gezogen. Hier, so hieß es immer, werde eine Regelung für gehörlose und schwerhörige Menschen erfolgen. Dem ist nun nicht so. Darum muss nun endlich auf Landesebene gehandelt werden!

 

Das Gehörlosengeld ist eine „Ländersache“ und dadurch werden in Deutschland Menschen, die die gleiche Hörbehinderung haben, unterschiedlich behandelt. Wie finden Sie das in den Zeiten der UN-Konvention?

Es darf nicht vom Wohnort abhängen, ob Leistungen bewilligt und damit eine gleichberechtigte Teilhabe für gehörlose und schwerhörige Menschen ermöglicht wird. Dass sich die Regelungen so stark unterscheiden daher sehr zu bedauern und steht der UN-Behindertenrechtskonvention entgegen.

Deutschland hat die Konvention unterzeichnet, also sollte sie auch in allen Ländern umgesetzt werden!

 

Sollte der Gesetzesentwurf zum Gehörlosengeld im bayerischen Landtag diesmal wieder abgelehnt werden, was könnten Gehörlose dagegen unternehmen?

Es ist wichtig, den Druck aufrecht zu erhalten und weiter für die Sache einzustehen. Resignation ist immer der falsche Weg!

Neben der Verbandsarbeit kann auch die Einzelne, der Einzelne etwas tun: Nehmen Sie Kontakt auf zu Ihren Wahlkreisabgeordneten. Schildern Sie Ihr Anliegen, Ihre Problemlage. Je mehr Abgeordnete sich für das Thema einsetzen, desto besser die Chancen.

Wir Grüne werden uns auf jeden Fall im Landtag mit großem Engagement für das Anliegen einsetzen!

 

Sie gehören zu den wenigen Politikern, die ein bisschen gebärden können und auf der Pressekonferenz haben Sie sich in Gebärdensprache vorgestellt. Wo haben sie das gelernt, lernen Sie noch weiter?

Bei der Pressekonferenz hat mir eine Gebärdendolmetscherin geholfen. Es hat unheimlich viel Spaß gemacht, die Gebärden zu üben. Ich habe aber auch gemerkt, wie schwer es mir fallen würde, die Gebärdensprache wirklich zu lernen, denn es ist für mich einfach sehr ungewohnt, Worte nicht nur mit dem Mund oder dem Gesicht auszudrücken, sondern gleichzeitig mit den Händen.

Ich glaube, dass es den Menschen leichter fällt, die ein Musikinstrument spielen, also Tasten mit den Händen und Füßen zu bewegen und dazu noch singen können – ich kann das leider nicht.

Aber seit dem Interview denke ich darüber nach, dass mehr Menschen gebärden lernen sollten, z.B. in der Schule als Wahlkurs, in der Ausbildung für verschiedene Berufe als Zusatzqualifikation, denn genauso wie man im Hotel oder im Elektrofachmarkt erwartet, dass mindestens ein/e Mitarbeiter*in sehr gut Englisch oder Französisch spricht, sollte mindestens ein/e Mitarbeiter*in Gebärdensprache sprechen – aus Respekt vor den Kunden.

 

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: © Niklas Wunderlich

 

 
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