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Experten-Interview Juni 2011



Kindersendung in DGS? Im deutschen Fernsehen?

 

 

In Deutschland gibt bis heute keine Kindersendung in DGS. Die Filmregisseurin Anna-Lilja Häfele will es ändern und erzählt uns über Ihr Vorhaben.

 

Judit Nothdurft: Hier auf dem Portal läuft Ihr Spendenaufruf in DGS. Sie sind aber hörend, wo und wieso haben Sie so gut DGS gelernt?

Anna-Lilja Häfele: Gebärdensprache habe ich innerhalb der letzten Jahre hauptsächlich durch private Kontakte gelernt. Zu Beginn hatte ich etwa 6 Monate privaten DGS Unterricht. Recht schnell habe ich dann Anschluss an die Gehörlosenjugend gefunden und auch bei einer gebärdensprachlichen Firma als Kommunikationsassistentin gearbeitet. Bei mir ging es also größten Teils über das Sprechen selbst. Der Grund war ganz einfach: Das Interesse an der Sprache und der Kultur die dahinter steht sowie das Gefühl, in einer sprachlichen Minderheit unter meinen Freunden zu sein, hat mich dazu gebracht.

 

Sie planen mit „Flora & Patsch“ eine Kindersendung zu drehen. Wer sind die beiden und was wollen sie uns gebärden? Welche Themen sollen behandelt werden?

Flora und Patsch sind vor allem Freunde. Flora ist, wie der Name schon sagt, ein sehr naturverbundenes Mädchen, das in einem Baumhaus lebt. Eines Tages findet sie in ihrem Garten ein seltsames Wesen: Patsch. Er ist neu in dieser Welt, die er nun zusammen mit Flora, einem Professor und einer Oma zusammen entdeckt und kennen lernt.

 

In der Serie werden alle für Kinder relevanten Themen behandelt. Pro Sendung jeweils eines. Es geht um alltägliche Fragen und Themen. Was ist „anziehen“, „heiß und kalt“, Jahreszeiten, Freundschaft, usw. eben all diese Dinge, über die sich Kinder wundern.

 

Wer hat diese Figuren ausgedacht?

Das Konzept und auch die Charaktere sind von mir. Die ersten Drehbücher sind in Zusammenarbeit mit der Autorin Esther Kaufmann entstanden.

 

Sie haben das Konzept von Flora & Patsch auch bei verschiedenen Fernsehanstalten vorgestellt. Wie waren die Reaktionen?

Die Reaktionen waren verhalten bis zeitweise erschreckend. Von einem Sender habe ich sogar die Absage erhalten, man wolle keine „Ghettoisierung des Kinderfernsehens“. Andere Sender waren dem Konzept offener gegenüber. Was alle Sender verbindet, ist die Angst vor dem Risiko. Keiner konnte sich vorstellen, das Konzept umzusetzen und die meisten äußerten sich skeptisch, dass eine gebärdete Kindersendung Zuschauer finden würde. Aus diesem Grund wollen wir nun drei Pilot-Sendungen selbst produzieren. Mit Hilfe dieser Sendungen sollen die Sender sehen, wie eine gebärdete Sendung qualitativ und inhaltlich aussehen wird. Wir hoffen, sie damit umstimmen zu können, das Risiko einzugehen.

 

Wegen dieser Ablehnung suchen Sie momentan nach Sponsoren. Was kostet eigentlich so eine Produktion (Schauspieler, Kostüme, Kulisse, usw.)?

Momentan kalkulieren wir mit 4.000 – 5.000 € für alle drei Pilot-Sendungen. Allerdings sind da keine Honorare eingerechnet, sondern nur Studiomiete, Technikmiete, Kostüme, Verbrauchsmaterialien und Fahrtkosten Jeder von uns gibt seine Arbeitskraft, Zeit und Engagement kostenlos, damit wir so ein Projekt realisieren können. Würde jeder Mitwirkende voll bezahlt lägen wir natürlich weit über diesem Budget.

 

Hat sich schon jemand als Sponsor gemeldet? Der DGB oder ein anderer Verband oder Verein vielleicht?

Wir haben auf unseren Aufruf tatsächlich vereinzelnd Mails von privaten Unterstützern bekommen, die uns finanziell ein wenig unterstützen. Seit einer Woche haben wir in der Hinsicht den Verein unerhört e.V. aus Berlin an unserer Seite. Über ihn kann gespendet werden. Jeder Spender erhält dann auch eine Spendenquittung für die Steuer.

 

Finanziell werden wir aber von keinem Verein oder Verband unterstützt. Vor ein paar Tagen hat sich Herr Kersten von Hörgeräte Kersten bei uns gemeldet und seine Unterstützung zugesichert. Wir hoffen, dass dies als gutes Beispiel weitere Nachahmer finden wird.

 

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, dass für die Fernsehanstalten solche Produktionen irgendwann selbstverständlich werden?

Ich denke, die vollständige Anerkennung der Gebärdensprache als Minderheitensprache oder zweite Amtssprache wäre die Basis für so etwas. Es ist wichtig, Ängste und Vorurteile auf beiden Seiten, unter Gehörlosen und Hörenden, abzubauen. Genau das soll eigentlich diese Kindersendung leisten.

 

Und grundsätzlich wäre ein gewisser Druck von Gebärdensprachlern und Gebärdensprach-Vertretungen (DGB, DSB, Bundeselternverband etc.), welche eine Sendung in Gebärdensprache fordern – ähnlich der Untertitelaktionen – durchaus hilfreich. Mit den Pilotsendungen haben wir sicher die Möglichkeit, zum einen ganz proaktiv einen Vorschlag einzureichen und zugleich eine Nachfrage zu generieren.

 

Wie sieht es im Ausland mit Kinderfilmen in DGS aus?

Im Ausland sind Kinderserien in den Landesgebärdensprachen keine Seltenheit. Vor allem die skandinavischen Länder sind hier Vorreiter. Island hat in seinem Kinderprogramm „Stundinn okkar“ 5 Minuten mit Tinna, der Gebärdensprachelfe. In Dänemark gab es sogar schon eine animierte gebärdensprachliche Kinderserie und in Schweden gibt es ebenfalls verschiedene Kindersendungen. Das Programm „Wicked“ läuft in England und unsere österreichische Nachbarn übersetzten Kindernachrichten (ähnlich der deutschen LOGO-Sendung) in ÖGS. Die deutsche Medienlandschaft ist da mit seiner Einstellung zu Kinderfilmen in DGS weit abgeschlagen.

 

Wann beginnen die Dreharbeiten und wo?

Ursprünglich sollten die Dreharbeiten im Mai in Hamburg statt finden. Auf Grund der finanziellen Situation mussten wir den Dreh noch mal um zwei Monate nach hinten schieben. Ich kann die Dreharbeiten erst beginnen, wenn ich weiß, dass alles bezahlt werden kann. Momentan peilen wir Juni / Juli an.

 

Werden wir im Film auch gehörlose Darsteller sehen?

Selbstverständlich!! Für uns gilt die Devise: Keine Sendung in Gebärdensprache ohne Muttersprachler. Es gibt wundervolle gehörlose Darsteller. Unsere Hauptfiguren Flora und Patsch werden von zwei talentierten Nachwuchsschauspielern gespielt: Thora Hübner und Eric Kaulisky. Da die Sendung aber nicht ausschließlich für gehörlose Kinder, sondern viel mehr für gebärdensprachliche Kinder, also auch CODAs, ist, haben wir auch einen CODA als Darsteller. Wir freuen uns, dass Christian Pflugfelder den Professor spielen wird.

 

Das Video der Gruppe Breitenbach hat einen sehr großen Erfolg gehabt. Was aber viele nicht wissen, dass Sie diesen Film mitproduziert haben.

Das Video von Breitenbach war eine Idee von Max Heidenfelder aus Frankfurt. Er wollte für sein Abschlussprojekt ein barrierefreies Musikvideo drehen. Da er selbst aber keinen Kontakt zu Gehörlosen und auch keine Erfahrung mit dem Dreh von Gebärdensprache hatte, bin ich zum Projekt dazu gestoßen. Ich habe dann den gebärdensprachlichen Part des Drehs übernommen. Meine Aufgabe war eine Umsetzung für die Texte zu übersetzen, Darsteller suchen, die filmische Umsetzung planen, am Set dann die Regie von Max zu ergänzen und im Schnitt zu helfen. Für uns alle war dies eine interessante Zeit und hat viel Spaß gemacht.

 

Zum Schluss natürlich noch die Frage, wann und wo können wir die erste Flora & Patsch Sendung sehen?

Abhängig davon wann und wie wir drehen. Unser Ziel ist es, die Probesendungen so schnell wie möglich fertig zu stellen. Diese Sendungen wird es dann höchst wahrscheinlich zunächst im Internet geben. Und hoffentlich überzeugen wir damit einen Sender, die volle Serie zu produzieren – dann könnte „Flora & Patsch“ regelmäßig im Fernsehen laufen.

 

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Florian Gobetz

 
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