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Experten-Interview Dezember 2011



Gebärdensprachdozent werden – ein Beruf mit Zukunft!

 

Wie und wo kann sich jemand zum Gebärdensprachdozenten ausbilden lassen – Erfahren Sie mehr im Interview mit der Ausbildungsleiterin Margit Hillenmeyer.

 

Judit Nothdurft: Frau Hillenmeyer, ist Gebärdensprachdozent wirklich ein Beruf mit Zukunft?

Margit Hillenmeyer: Gebärdensprachdozent ist ein relativ junger Beruf mit wachsenden Arbeitsmöglichkeiten, besonders durch die Einführung des Sozialgesetzbuchs IX und des Behindertengleichstellungsgesetzes. Mit der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen erhöht sich der Bedarf an Gebärdensprachdozenten noch mehr. Ich hoffe, dass der Beruf „Gebärdensprachdozent“ eines Tages ins Berufsbildungsgesetz mit aufgenommen wird.

Eigentlich brauchen heute alle Berufe eine Basis-Gebärdensprachkompetenz, die man bei ausgebildeten Dozenten am besten erwerben kann. Diese Dozenten bauen sozusagen eine Kommunikationsbrücke zwischen Hörenden und Gehörlosen oder Hörgeschädigten.

Aus diesen Gründen bietet das Gehörlosen Institut Bayern (GIB.) schon seit 2001 eine berufsbegleitende Ausbildung zum Gebärdensprachdozenten an.

 

Wie viele geprüfte Dozenten gib es zur Zeit in Bayern und wie viele werden eigentlich benötigt?

Insgesamt 40 Gebärdensprachdozenten haben die Prüfung bereits bestanden, was aber nicht heißt, dass alle in Bayern leben und arbeiten. Von diesen Absolventen haben einige aufgehört, als Dozent zu arbeiten. Manche sind in andere Bundesländer umgezogen. Ich glaube, dass momentan mehr Dozenten hier in Bayern benötigt werden, als wir ausbilden. Ich bekomme immer wieder Anfragen nach Dozenten, z. B. von Volkshochschulen und Einrichtungen, die Menschen mit Hörschädigung betreuen bzw. mit ihnen zusammenarbeiten. Vor allem für Vor- oder Nachmittage werden die Dozenten dringend gesucht, also keineswegs nur für den Unterricht am Abend.

Sowohl in den Städten als auch auf dem Land werden Dozenten dringend gebraucht. In der Oberpfalz und in Niederbayern ist der Dozentenmangel am höchsten.

Die Inklusion schafft tolle und kreative Möglichkeiten, z. B. eine Einführung des Schulfaches „Gebärdensprache“ in der Schule der Hörenden. Das alles erhöht den Bedarf an Gebärdensprachdozenten erheblich.

 

Können auch Hörende mit guten Gebärdensprachkenntnissen an der Dozenten-ausbildung teilnehmen?

Derzeit nicht. Unser Angebot richtet sich ausschließlich an Gehörlose, weil jeder Teilnehmer vorab über eine hohe Gebärdensprachkompetenz verfügen muss. Das bedeutet, man muss die Gebärdensprache schon von Kindesbeinen an gelernt haben. Wegen des Verlustes des Gehörs verfügen gehörlose Menschen über ganz andere Kenntnisse und Erfahrungen als Hörende. Die Gebärdensprache hat für Gehörlose einen speziellen Stellenwert. Dieser Stellenwert kann in Gebärdensprachkursen nur von gehörlosen Dozenten an hörende Kursteilnehmer vermittelt werden. Dies entspricht auch unseren Zielen der Gebärdensprachdozentenausbildung und unseren Zulassungsvoraussetzungen für diese Ausbildung.

 

Ab Februar beginnt die Schulung im Gehörlosen Institut Bayern in Nürnberg, die Bewerbungen laufen schon. Welche Voraussetzungen müssen die Teilnehmer erfüllen?

Wie gesagt, muss man eine hohe Gebärdensprachkompetenz nachweisen können. Besondere Kenntnisse der Gehörlosenkultur sind ein weiteres Kriterium. All dies wird bei einem Aufnahmegespräch getestet.

 

Die Ausbildung läuft 3 Jahre lang. Das ist eine lange Zeit! Mit welchen Gesamtkosten muss man kalkulieren? Muss man die Kosten selbst tragen oder gibt es auch eine staatliche Förderung?

Generell trägt jeder Teilnehmer seine Kosten selbst. Die Teilnahmegebühren inklusive Prüfungsgebühren betragen pro Semester 325,00 Euro für bayerische und 385,00 Euro für nichtbayerische Interessenten, hinzu kommen noch die Kosten für Bücher und DVDs. Die Gesamtkosten sind ca. 2.500 bis 3.000 Euro. Dies sind jedoch relativ geringe Kosten, da das GIB zum Großteil vom Sozialministerium und den Bayerischen Bezirken finanziert wird. Diese kann man natürlich steuerlich geltend machen, wenn man während und nach der Ausbildung Gebärdensprachkurse gibt. In seltenen Fällen übernimmt die Rentenversicherung auf Antrag die Kosten. Über Stiftungsmittel könnte man auch eine Förderung bekommen. Wir planen auch, unser Bildungsinstitut bei der Agentur für Arbeit für Bildungsgutscheine anerkennen zu lassen.

 

Die Ausbildungsorte sind in Nürnberg und München. Dann kommen auch noch Übernachtungs- und Fahrtkosten hinzu, oder?

Ja, diese Kosten kommen noch dazu. Aber Gehörlose können mit bestimmten Zügen kostenlos fahren und da sie viel unterwegs sind, schließen sie oft neue Freundschaften.. Wie es sich bei vielen Aufnahmegesprächen herausgestellt hatte, können die meisten Teilnehmer bei Freunden in der Nähe übernachten.

 

Können sich Teilnehmer auch aus den anderen Bundesländern bei Ihnen bewerben?

Ja, das können sie tun und wenn noch Plätze frei sind, werden sie bei Eignung aufgenommen. Allerdings werden bayerische Interessenten bevorzugt.

 

Wie hoch darf die Teilnehmerzahl maximal sein?

Um einen effektiven Unterricht bieten zu können, nehmen wir höchsten 12 Teilnehmer auf.

 

In den ersten drei Semestern findet ein Blockseminar pro Semester statt. Heißt das, dass die Teilnehmer für diese Zeit Urlaub nehmen müssen, um permanent anwesend sein zu können?

Wir haben das Blockseminar so eingerichtet, dass man möglichst wenig Urlaub nehmen muss. Das Blockseminar dauert nämlich von Mittwoch bis Sonntag, so benötigt man nur drei Tage Urlaub. In Bayern gibt es leider kein Bildungsurlaubsgesetz. In den anderen Bundesländern kann man einen Antrag auf Bildungsurlaub stellen, was vorteilhaft ist.

 

Die gesamte Ausbildung läuft berufsbegleitend, kann also ziemlich anstrengend werden. Wie viele Stunden muss man noch zu Hause für Vor- und Nachbereitungen einplanen?

Das ist sehr vom Niveau und von der Geschicklichkeit der Teilnehmer abhängig. Auf jeden Fall ist die Vorbereitungs- und Nachbereitungszeit im fünften und sechsten Semester sehr intensiv wegen der Erstellung der Stundenplanungen für zwei Gebärdensprachkurse. Zusätzlich verlangen wir eine Hausarbeit für das sogenannte Persönliche Projekt“. Wer in der Gehörlosenschule das grundlegende Wissen über die Struktur einer Hausarbeit nicht gelernt hat, muss noch mehr Zeit investieren, um dies nachzuholen. Dieses Wissen ist übrigens sehr nützlich, weil es reflexionsfördernd (=fördert das Nachdenken) ist und weil man es für sein ganzes Berufsleben braucht.

 

Welche Fächer werden unterrichtet und was unterrichten Sie persönlich?

Wir unterrichten die Fächer: Didaktik und Methodik, Gebärdensprachlinguistik, Psychologie, Sprach- und Kulturvergleich, Soziologie, Kultur und Geschichte Gehörloser, Kommunikationstraining, Angewandte Sprache (Deutsch), Lern und Arbeitstechniken, Rechtliche Fragen, Berufskunde, Persönliches Projekt.

 

Ich selbst unterrichte das Fach „Berufsbild“, was ich als Mitglied einer vom Deutschen Gehörlosenbund eingerichteten Arbeitsgruppe mitentwickelt habe und das Fach „Didaktische Praxis“, in dem linguistische Themen angesprochen werden.

Ich mache gern Hospitationen in Gebärdensprachkursen, was mir als Ausbildungsleiterin einen Einblick in die Stärken und Schwächen der Teilnehmer ermöglicht. Im Anschluss daran halte ich beratende Rücksprachen mit den Dozenten, die dann ihr Unterrichtskonzept darauf ausrichten.

 

Wie setzt sich die Lehrerschaft zusammen? Welche Ausbildung haben die Lehrer?

Weil das GIB. keine Schule ist, haben wir kein festes Kollegium. Wir arbeiten vorwiegend mit freien gehörlosen Mitarbeitern, die die Ausbildungsteilnehmer unterrichten. Wir legen großen Wert auf eine gute Qualifikation unserer Dozenten. Je nach Fach buchen wir zum Beispiel Diplom-Sozialpädagogen, Diplom-Psychologen, staatlich anerkannte Gebärdensprach-dozenten, Sonderschullehrer, Gebärdensprachdolmetscher usw.

 

Wenn dann in drei Jahren die Teilnehmer einen erfolgreichen Abschluss in der Hand haben, wo und wie können sie eingesetzt werden?

Hauptsächlich in der Erwachsenenbildung. Und immer mehr der fertigen Dozenten wollen dabei als Selbständige arbeiten. Aber nicht nur für den Unterricht werden die Dozenten gebraucht, einige werden auch als Darsteller für Filme eingesetzt. Und auch als Mitarbeiter in der Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien und in der Öffentlichkeitsarbeit, zum Beispiel für Vorträge, Projekte an den Schulen für Hörende usw., finden sie Möglichkeiten zur Berufsausübung.

 

Wie ist die Lage bei den bisher ausgebildeten Gebärdensprachdozenten. Wo sind sie tätig?

Allein in Bayern wurden vier Gebärdensprachschulen gegründet (Nürnberg 1, Augsburg 1,  München 2) und eine fünfte ist in Planung. Viele unserer fertigen Dozenten entscheiden sich für eine Tätigkeit als selbständige Lehrkräfte. Manche arbeiten bei den Landesverbänden der Gehörlosen oder der Fachoberschule Collegium Augustinum für Schwerhörige und Gehörlose.

Die Gebärdensprachschulen München und Nürnberg haben einige qualifizierte Gebärdensprachdozenten eingesetzt bzw. fest angestellt. Ein Teilnehmer wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Rehabilitationswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ein anderer hat es geschafft, sich zum Fachlehrer weiterzuqualifizieren.

Die Beschäftigungsverhältnisse haben sich seit der Einrichtung des Ausbildungsgangs radikal geändert. Was vorher nur eine nebenberufliche Tätigkeit war, wird nun zu einem Hauptberuf.

Die meisten der Absolventen geben Gebärdensprachkurse an den VHS und auch wir beim GIB. brauchen stets qualifizierte Gebärdensprachdozenten für  Aus-, und Fortbildung und Gebärdensprachkurse. Bereits sieben von uns ausgebildete Gebärdensprachdozenten arbeiten als freie Mitarbeiter eng mit uns zusammen und unterstützen uns auch als Prüfer für Gebärdensprachdozenten.

 

Es liegt mir sehr am Herzen, die Qualifikation der angehenden Gebärdensprachdozenten immer weiter zu vervollkommnen, um den permanent wachsenden Ansprüchen der Hörenden gerecht zu werden.

 

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Margit Hillenmeyer

 
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