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Experten-Interview April 2012



Auf keinen Fall eine Blitz- oder Crashdiät. Zeit für eine Ernährungsumstellung nehmen!

 

Endlich gibt es in Deutschland einen Ernährungsberater, der auch Gehörlose in DGS beraten kann. Interview mit Christoph Prietze aus Sankt Augustin.

 

Judit Nothdurft: Herr Prietze, wie sieht eigentlich ein gesunder Ernähungsplan aus?

Christoph Prietze: Man kann nicht einen einzigen Ernährungsplan erstellen, der für jeden gesund ist. Fakt ist, dass die heutige Kost viel zu viel Fett enthält. Wir in Deutschland verzehren fast doppelt so viel Fett wie empfohlen ist. Deshalb empfehle ich generell eine kalorien-, fettarme, vollwertige Mischkost nach DGE (DGE= Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V.).

Oft ist leider auch das Essverhalten falsch. Man isst unter Zeitdruck und schnell. Manchmal verzichtet man sogar auf ganze Mahlzeiten, was später zu Hungerattacken führt. In solchen Fällen können wir auf keinen Fall über eine gesunde und kontrollierte Ernährung sprechen.

 

Was sollte man öfter essen und was sollte man lieber weglassen?

Das Wichtigste wäre, dass man auf Hunger- und Sättigungsgefühle hört. Der Körper signalisiert uns, wann wir essen und wann wir Schluss machen sollten. Generell gibt es keine „gesunden“, „ungesunden“ oder „verbotenen“ Lebensmittel. Man sollte lieber darauf achten, dass man vielseitige Nahrung mit wenig Kalorien zu sich nimmt. Nicht zu viel Fleisch, Wurst und Käse oder Weißmehlprodukte essen oder ständig Süßigkeiten naschen.

 

Gibt es einen speziellen Essplan für z.B. Kinder, Schwangere oder Sportler?

Ein spezieller Essplan für Kinder wäre überflüssig; sie brauchen lieber Regeln und Vorbilder. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass die Eltern sich auch gesund ernähren. Sehr empfehlenswert ist eine gemeinsame Mahlzeit einzunehmen, bei der die Kinder einmal am Tag mit allen Familienmitglieder zusammen essen. Natürlich ist es problematisch, wenn beide Eltern berufstätig sind. Dann werden aus zeitlichen Gründen oft Fertiggerichte gekocht oder schnell ein Fast-Food-Restaurant besucht.

Bei Schwangeren denkt man oft, dass sie doppelt so viel essen müssen. Das stimmt natürlich nicht und es wäre auch viel zu viel! Werdende Mütter müssen mehr Vitamine und Mineralstoffe zu sich nehmen, um eventuelle Mängel zu vermeiden und dürfen bis 250-350 Kalorien mehr essen.

Sportler benötigen ebenfalls mehr Nährstoffe, denn sie verlieren durch Training und Schwitzen sehr viele Vitamine und Mineralstoffe. Im Vergleich zu Nichtsportler sollten sie lieber 6 bis 8 kleine Mahlzeiten zu sich nehmen, um den Magen nicht stark zu belasten.

 

Wie oft sollte man am Tag essen, dreimal ist genug oder lieber öfter?

Die meisten Erwachsenen kommen mit drei Hauptmahlzeiten über den Tag ohne Hunger aus. Falls zwischendurch doch mal der Magen knurrt, dann bitte lieber Obst, Rohkost oder Joghurt essen.

 

Immer öfter liest man, spät abends sollte man nicht essen, weil es dick macht. Stimmt das so?

Nein, so kann man es nicht sagen. Wenn jemand spät abends noch hungrig ist und auf die Mahlzeit verzichtet, bekommt er später Hungerattacken. Dann greift er wieder nach irgendetwas Fettem und Kalorienreichen und das führt dann tatsächlich zum Übergewicht. Ich empfehle lieber doch etwas Gesundes und Leichtes abends zu sich nehmen, statt zu hungern.

 

Viele gehörlose Jugendliche wohnen jahrelang in Internaten und müssen essen, was auf den Tisch kommt. Wie können sie sich auch unter solchen Bedingungen gesund ernähren?

Zunächst einmal: das Frühstück ist wichtig, weil die Vorräte über Nacht verbraucht sind und der Körper muss Energie für den Schul- oder Arbeitsbeginn tanken. So kann man auch Hungerattacken oder Konzentrationsschwächen während des Unterrichts vermeiden. Ich weiß aber auch, dass Jugendliche oft gerne zucker- und fettreiches Junkfood essen. In den Internaten gibt es ja Obst und Gemüse, aber viele Jugendliche sind "faul" zum Essen. Sie fangen erst an sich gesund zu ernähren, wenn sie schon zugenommen haben.

Jugendliche verbringen heute mehr Zeit vor Computer und Fernsehen und bewegen sich nicht mehr so viel draußen, wie früher. Aber neben der Ernährung ist auch die Bewegung wichtig!

 

Was und welche Menge sollte man trinken?

Heutzutage nehmen wir durch Nahrungsmittel genug Kalorien auf, daher sollen wir lieber auf kalorienfreie-, und -arme Getränke zugreifen. Leitungs-, Mineralwasser oder ungesüßte Kräuter- oder Früchtetees sind empfehlenswert. Wenn man unbedingt etwas mit süßem Geschmack trinken möchte, so kann man Wasser mit Fruchtsaft im Verhältnis 3:1 mischen. Achtung: alkoholische Getränke haben viele Kalorien, deshalb soll man diese Getränke in Maßen trinken. Unser Körper benötigt 60 bis 70 % Wasser, daher soll man täglich 1,5 bis 2 Liter trinken, bei Hitze, Fieber und Anstrengung etwas mehr.

 

Wie kann ich ausrechnen, wie viel Übergewicht ich habe?

Mit dem Body Mass Index (BMI) kann jeder berechnen, ob er Normalgewicht, Übergewicht oder Untergewicht hat. Der BMI berechnet sich aus dem Körpergewicht dividiert durch das Quadrat der Körpergröße.

 

Beispielberechnung:              Körpergroße 1,73 m, Körpergewicht 65 kg

 

65 kg

= 21,72 kg/m²

(1,73m x 1,73m)

 

Der BMI ist also 21,72 und entspricht damit Normalgewicht.

 

Normalgewicht:                      19 bis 25 BMI

Leichtes Übergewicht:           ab 25 BMI

Deutliches Übergewicht:        über 30

 

Da ich kein Mediziner bin, darf ich nur gesunde Personen (ohne Begleitungserkrankungen wie z. B. Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Probleme usw.) bis zum BMI 30 beraten. Personen mit einem deutlichen Übergewicht ab BMI 30 müssen sich an einem Diätassistenten, Ernährungswissenschaftler, Ernährungsmediziner oder einen Arzt wenden.

 

Bald können wir die Bikinis und Badehosen aus dem Schrank holen und die überflüssigen Kilos werden uns stören. Wie können wir diese schnell los werden?

Leute mit Übergewicht machen oft gerne eine extreme Diät (sogenannte Crash- oder Modediät) und hoffen, dass sie so schnell abnehmen werden. Dabei verlieren sie nur Wasser und Muskelmasse aber die überflüssige Fettmasse bleibt. In solchen Fällen drohen oft anhaltende Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Schwindel, Kreislaufstörungen, Haut- und Haarprobleme sogar Herzrhythmusstörungen. Nach Beendigung der Diät treten oft Heißhungerattacken auf und die Leute nehmen noch schneller zu als vorher.

Warum? Weil wir noch so sind wie die „Steinzeitmenschen“ waren. Sie waren nach jedem Winter abgemagert, weil sie keine Tiere und Pflanzen finden konnten. So haben sie sich in ihrer Überlebensnot, als sie wieder was zu Essen gefunden haben, voll gefressen.

Ich empfehle auf keinen Fall eine Blitz- oder Crashdiät. Lieber geduldig bleiben und Zeit für eine Ernährungsumstellung nehmen.

                                                                                                                                    

Sie sind der einzige gehörlose Ernährungsberater in Deutschland; dann haben Sie bestimmt ein volles Auftragsbuch, oder?

Ja, ich vermute, dass ich der Einzige bin. Tatsächlich bekomme ich sehr viele Anfragen aus ganz Deutschland. Meistens werde ich zu Informationsveranstaltungen wie z. B. Kommunikationsforum (Kofo) eingeladen. Ich biete auch Seminare und Einzelberatungen an, z. B: habe ich auch die Frauenfußball-Nationalmannschaft unterrichtet. Das heißt aber nicht, dass ich ständig unterwegs bin. Ich mache diese Beratung als Nebenjob und nur mit Maß. Schließlich brauche ich meine Freizeit für meine Frau und andere Hobbys.

 

Was kostet eine Beratung und wie lange dauert sie? Machen Sie auch eine Langzeitberatung, z. B. für Sportler?

Je nach Beratungsart und Dauer sind die Kosten sehr unterschiedlich. Ich biete natürlich auch Langzeitberatungen an. Diese sind besonders bei einer Ernährungsumstellung sehr wichtig. Vor allem, wenn man sich vorher wenig oder gar nicht mit einer gesunden Ernährung beschäftigt hat In solchen Fällen braucht man 4 bis 6 Monate, um eine erfolgreiche Behandlung zu leisten.

Vereine bekommen manchmal Zuschüsse von Selbsthilfegruppen oder von der Krankenkasse und können mich so beauftragen.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Christoph Prietze

 
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