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Experten-Interview Dezember 2013



DSC08209_Kawai-orig.jpgIch bin selbständig und übe meinen Traumberuf aus

 

Im Oktober 2013 erhielt die gehörlose Ka Wai Severin die Auszeichnung vilmA des Sozialverband VdK Deutschland e. V. Mit diesem Preis werden Menschen gewürdigt, die sich besonders vorbildlich für die Integration am Arbeitsplatz und die Teilhabe am Arbeitsleben eingesetzt haben.

 

Frau Severin, war diese Auszeichnung für Sie eine Überraschung?

Ja absolut! Ich habe vorher nicht gedacht, dass ich den Preis bekomme. Als ich erfahren habe, dass die Jury entschieden hat, mir den Preis zu verleihen, hatte ich Gänsehaut und habe mich riesig gefreut!

Im Rahmen der REHACARE Messe in Düsseldorf wurde mir am 27. September der Preis übergeben. Ich stand zum ersten Mal auf der Bühne vor einem großen Publikum und habe kurz meine Lebensgeschichte erzählt. Es war alles sehr aufregend! Ich bin sehr stolz, dass ich diese Ehrung für mein Engagement bekommen habe!

 

Sie sind in Hongkong in einer hörenden Familie geboren und mit acht Jahren nach Deutschland gekommen. Sie konnten auf Deutsch weder gebärden noch sprechen. Wie haben Sie diese Zeit empfunden?

Der Umzug nach Deutschland war eine sehr schwierige Zeit für mich. Ich musste meine Kommunikation komplett umstellen.

Meine Eltern und meine gesamte Familie sind hörend und haben chinesisch gesprochen. Ich habe in Hong Kong ein wenig Gebärdensprache gelernt. Im Kindergarten bzw. der Förderschule für Gehörlose in Köln habe ich angefangen neben DGS auch Deutsch durch orale Erziehung zu lernen. Ich hatte große Schwierigkeiten z.B. mit den Lauten „r“ und „sch“, da ich diese ja nicht hören konnte. Daher war meine kindliche Sprachentwicklung sehr holprig.

Es war auch zu einer Zeit, als die DGS noch nicht als vollwertige Sprache anerkannt war, denn das passierte erst 2002. Dieser Durchbruch hat die Entwicklung von DGS vorangebracht.

Meine Eltern sprechen nicht sehr gut Deutsch und gebärden sehr wenig. Das finde ich sehr schade, so können wir nicht, wie andere Familien, fließend und mühelos miteinander kommunizieren.

 

Ursprünglich haben Sie Fotolaborantin und Bürokauffrau gelernt. Heute führen Sie eine Gebärdensprachschule und sind eine gefragte Dozentin. Der Weg war bestimmt nicht einfach…

Meinen Beruf als Fotolaborantin habe ich schon vor 20 Jahren eingetauscht. Ich hatte eine Weiterbildung als Bürokauffrau gemacht und mich bei vielen Firmen beworben. Leider wurde ich oft abgelehnt, da von einer Bürokauffrau erwartet wird, dass sie auch telefonieren kann.

So musste ich mir etwas anderes überlegen, um einen neuen beruflichen Weg zu gehen. Durch Zufall hatte ich Kontakt zu einem VHS-Mitarbeiter, der mich fragte, ob ich Interesse daran hätte, als Dozentin bei der VHS zu unterrichten. Ich habe erst bei einigen Unterrichtsstunden hospitiert und fand den Beruf sehr spannend. Es hat mich dazu motiviert, diesen Beruf zu verfolgen und so habe ich mir meinen Weg zur DGS-Dozentin Schritt für Schritt aufgebaut, durch Fortbildungen und viel Berufserfahrung. Seit 2011 bin ich jetzt selbständig, übe meinen Traumberuf aus und übernehme volle Verantwortung für meine Karriere.

 

Was motiviert ihre hörenden Schüler, die Deutsche Gebärdensprache zu erlernen?

Oh, es gibt viele Motivationsgründe und unterschiedliche Anwendungsbereiche, die meine Teilnehmer dazu bewegen, DGS zu lernen.

Einige haben schon Kontakt zu Gehörlosen in der Familie, im Freundeskreis oder im Beruf und möchten gerne mit ihnen kommunizieren können. Gerade beruflich haben viele mit Gehörlosen zu tun, vor allem wenn sie in Behörden arbeiten. Diese Menschen müssen wegen der UN-Konvention eine barrierefreie Kommunikation anbieten.

Andere Teilnehmer sind Spätertaubte oder CI-Träger, die eine neue Art der Kommunikation lernen möchten. Ich habe auch Schüler, die Gebärdensprachdolmetscher werden möchten und deshalb mit DGS anfangen. Viele junge Teilnehmer finden DGS einfach spannend und lernen es aus Spaß an der Sprache.

 

Sie sind nicht nur beruflich, sondern auch ehrenamtlich sehr aktiv…

Ja, das stimmt. Ich war früher im Stadtverband Düsseldorf als Beisitzerin tätig, habe bei Tischrunden zu politischen Themen mitgewirkt. Außerdem habe ich bei der Caritas Düsseldorf Senioren und Menschen mit Demenz begleitet. Auch heute noch unterstütze ich Taubblinde als Taubblindenassistentin.

 

Ihre Eltern sind hörend, ihre Kinder ebenfalls. Wie läuft die Kommunikation, wenn die Familie um den Tisch sitzt? In DGS, in Lautsprache, auf Deutsch oder Chinesisch?

Ich bin im Wesentlichen mit DGS als Muttersprache aufgewachsen. Wie schon gesagt, meine Eltern und Geschwister sind alle hörend, aber trotzdem versuchen sie die Lautsprache mit Gebärden zu begleiten, um mir das Verstehen zu erleichtern. Nur mit meinen Verwandten in China benutze ich verstärkt Mimik, Gestik und Körpersprache, da sie weder Deutsch noch DGS können. Für meine Kinder ist es ganz normal DGS zu benutzen, sie wachsen damit auf. Neben Deutsch ist sie ihre zweite Muttersprache.

 

Sie fliegen regelmäßig immer wieder in die alte Heimat nach Honkong…

Ich habe letztes Jahr einige meiner ehemaligen Freunde wiedergefunden und in diesem Jahr endlich getroffen. Das war mir eine große Freude, denn ich hatte viele positive Erinnerungen.

Ich fahre leider nicht oft nach Hong Kong, weil es sehr weit entfernt ist und einfach zu weit, um meine Familie und Freunde spontan zu besuchen. Natürlich vermisse ich meine Heimat sehr.

 

Können Sie auch auf Chinesisch gebärden?

Ja, ich kann ein wenig Chinesisch sprechen und kann auch einige Gebärden. Und wenn ich etwas nicht kann, dann helfe ich mit meiner Mimik nach.

 

Sie können beide Welten miteinander vergleichen. Wo sehen Sie die größten Unterschiede im Leben von Gehörlosen in Deutschland und China?

Ich bin natürlich mit Gebärdensprache aufgewachsen, mit der chinesischen allerdings nur ein wenig. Die genauen Unterschiede kann ich nur auf die Sprachunterschiede zurückführen, z.B. dass die Körpersprache oder Gebärden unterschiedlich sind, genau wie die deutsche und chinesische Lautsprache unterschiedlich sind. Die UN-Konvention wird sowohl in Deutschland als auch in China in Form von Gehörlosenschulen umgesetzt.

 

Was gefällt Ihnen besonders an der deutschen Gehörlosen-Kultur? Und was sollte Ihrer Meinung nach anders werden?

Die Gehörlosenkultur und Gebärdensprachkultur in Deutschland entwickelt sich stetig, weil es immer bessere Kommunikationsmittel gibt, die wir Gehörlosen nutzen können. So können wir Informationen viel besser austauschen und häufiger unsere Kontakte pflegen, z.B. über die Videochats und verschiedene Kommunikationsapps auf unseren Handys.

Es wäre allerdings gut, wenn die hörende Welt mehr Informationen über uns Gehörlose, unsere Sprache und Kultur bekommen würde. Außerdem wäre es schön, wenn die UN-Konvention, die das Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle beinhaltet, auch praktisch besser umgesetzt würde, z.B. durch mehr Gebärdensprachdolmetscher-Einblendungen im Fernsehen und im Internet.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Ka Wai Severin

 
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