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Experten-Interview September 2010



Dr. Ingo Barth - Europas erste Gebärdensprach-Uni entsteht in Bad Kreuznach!

 

„Wir wollen auch in Europa erreichen, was in Nordamerika schon längst Praxis ist!“ so Dr. Ingo Barth, den ich zu den Details befragt habe.  

 

Judit Nothdurft: Herr Dr. Barth so eine Einrichtung ist schon längst fällig, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.

Dr. Ingo Barth: Es ist knapp 150 Jahre her, dass in Washington DC die Gallaudet Universität gegründet wurde. Nachdem am 19. Juli 2010 in Vancouver die Mailänder Resolution von 1880 endlich aufgelöst wurde, ist die Zeit gekommen, eine eigenständige Gebärdensprach-Universität in Europa zu errichten. Diese sollte sowohl für taube als auch für gebärdensprachkompetente hörende Studenten (im Sinne der Inklusion nach der UN-Behindertenrechtskonvention) eine akademische Ausbildung ermöglichen.

 

Wie kam es dazu, dass diese Uni hier in Deutschland entsteht, und wieso ausgerechnet in Bad Kreuznach? Es ist ja nicht gerade eine Uni-Stadt…

Vor etwa einem Jahr, nach dem Gespräch mit dem stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden des Stadtrates Bad Kreuznach Peter Anheuser (MdL a.D.), entstand die Idee dieser Universität in Bad Kreuznach. Wir haben in dieser Stadt auf allen Ebenen gute Kontakte zu den Politikern. Auf dem Gelände der ehemaligen amerikanischen Kaserne gibt es ein ungefähr 8 Hektar großes Grundstück, das uns zur Verfügung gestellt werden kann. Auch der Oberbürgermeister von Bad Kreuznach, Andreas Ludwig unterstützt unsere Idee sehr. Bad Kreuznach ist ein Kurort mit vielfältigen Sport- und Freizeitangeboten. Eine Universität gibt es aber noch nicht. Von der Errichtung unserer Universität würde nicht nur die Stadt profitieren, sondern auch für das Land Rheinland-Pfalz wäre es eine kulturelle Bereicherung.

 

Wie sieht es mit der Infrastruktur in Bad Kreuznach aus?

Die Kleinstadt Bad Kreuznach mit etwa 44.000 Einwohnern ist ungefähr 40 km von Mainz und 80 km von Frankfurt/Main entfernt. In der Stadt und deren Umgebung gibt es Busverkehr und man kann alles auch mit dem Fahrrad bewältigen.

Vom Flughafen Frankfurt/Main aus dauert die Fahrt mit dem Regionalzug, ohne Umsteigen nur 50 Minuten. Vom Bahnhof bis zur Universität sind es ca. 10 Gehminuten. Der Flughafen von Frankfurt/Hahn ist ebenfalls in der Nähe und ist in einer Autostunde erreichbar.

Da Bad Kreuznach Autobahnanbindung hat, sind auch Luxemburg und Straßbourg nur zwei Autostunden (190 km) entfernt.

Man muss aber nicht unbedingt in Bad Kreuznach wohnen, um dort studieren zu können. Es gibt in der Umgebung einige schöne Orte, wie zum Beispiel die Kleinstadt Bingen am Rhein, die nur 15 Autominuten entfernt liegt.

 

Die Finanzierung läuft momentan über die Spendeneinnahmen des Vereins Gesellschaft der Europäischen Gebärdensprach-Universität Bad Kreuznach. Darf ich fragen, wie viel haben Sie bis jetzt gesammelt? Und wie viel Geld bräuchte der Verein noch?

Unsere Uni-Gesellschaft wurde erst am 26. Juni 2010 gegründet und am 16. Juli durch das Finanzamt als gemeinnützig anerkannt. So haben wir erst vor kurzem angefangen, Spenden zu sammeln. Momentan haben wir etwa 3600 Euro Spenden auf unserem Konto (Stand Ende August). Für den Kauf eines 8 Hektar großen Grundstücks brauchen wir etwa 7 Millionen Euro, davon 2 Millionen Euro Anzahlung (und zwar bis Januar 2011!!). Mit Berücksichtigung von Renovierungen der 5 denkmalgeschützten amerikanischen Gebäude und weiterer kleiner Gebäude sowie zum Bau neuer Gebäude und zur Ausstattung der geplanten Fakultäten, werden insgesamt etwa 100 Millionen Euro benötigt.

 

Das ist eine ganze Stange Geld. Wie sieht es mit der staatlichen Unterstützung aus?

Wir haben inzwischen schon Kontakte zu den Politikern im Stadtrat, im Kreistag, im Landtag, im Bundestag und sogar auch im Europaparlament. Insbesondere sollen die laufenden Kosten wie z.B. die Gehälter für Dozenten vom Staat oder Europa finanziert werden.

 

Gibt es auch private Spender oder Unternehmen die dem Verein unter die Arme greifen?

Ja, wir haben schon Kontakte vor allem mit einigen amerikanischen Milliardären und Unternehmen aufgenommen. Spenden werden in Amerika, im Vergleich zu Deutschland, mehr für Universität, Wissenschaft und Forschung verwendet. Ob diese Amerikaner wirklich uns in Europa finanziell unterstützen werden, wissen wir in ein oder zwei Monaten. Allerdings sind wir auch auf private Spenden, Sponsoren und Stiftungen in Deutschland und Europa angewiesen. Wir freuen uns sehr über jede Spende! Jeder kann per Banküberweisung (Kontonummer: 17049149, BLZ: 56050180, Sparkasse Rhein-Nahe) oder per PayPal über unsere Homepage www.sign-lang-uni.eu Geld spenden. Da unsere Uni-Gesellschaft gemeinnützig anerkannt ist, können wir auch Spendenquittungen ausstellen.

 

Wenn alles planmäßig läuft, wann können sich die ersten Studenten einschreiben?

Wir erwarten die ersten Einschreibungen der gebärdensprachkompetenten Studenten erst im Jahr 2013.

 

Welche Fakultäten werden zum Start angeboten?

Am Anfang wollen wir einige Studienfächer anbieten, die den anfänglichen Bedürfnissen der Erststudenten entsprechen. Es können anfangs Studienfächer wie „Deaf Studies“ und andere sprach-, sozial-, und kulturwissenschaftliche Studiengänge geben. Jedoch wollen wir keine Konkurrenz zu den bestehenden Instituten in Europa, die mit der Gebärdensprache zu tun haben, sondern mit denen zusammenarbeiten. Ferner sollen schrittweise weitere ganz normale Studienfächer angeboten werden, die auch in den normalen Universitäten zu finden sind, zum Beispiel Informatik, Mathematik, Naturwissenschaften, Politik und so weiter. Somit werden die Tauben in Europa mehr Berufsauswahlmöglichkeiten haben. Wichtigstes Ziel ist, dass wir auch in Europa das erreichen können, was in Nordamerika schon längst Praxis ist, wo die Tauben einen Beruf ausüben können, der in Europa leider noch immer nicht denkbar ist, z.B. taube Staatsanwälte.

 

Es wird eine internationale Uni werden, wie die Gallaudet in Washington. Welche Gebärdensprache wird dort benutzt? DGS oder IS?

Da unsere Universität auf deutschem Boden eingerichtet werden soll, wird die Deutsche Gebärdensprache (DGS) (neben den deutschen und englischen Schriftsprachen) automatisch die primäre Unterrichtssprache sein, so wie ASL als primäre Unterrichtsprache der Gallaudet Universität auf amerikanischem Boden. Ferner sollen auch andere europäischen Gebärdensprachen wie BSL, LSF angeboten und unterrichtet werden. Da die Internationale Gebärdensprache (IS) keine eigenständige und keine vollwertige Sprache ist, kann sie nur außerhalb des Unterrichtes benutzt werden.

 

Was ist mit den Studenten, die aus dem Ausland kommen? Werden für sie DGS-Vorbereitungskurse vorab angeboten?

Für deutschsprachige Länder wie Österreich und Schweiz wird es keine schwierigen Probleme geben. Aber für andere europäische Studenten ist es ratsam, DGS und Deutsch zuerst zu erlernen. Es wird auch geplant, Vorbereitungskurse in DGS, Deutsch und Englisch (eventuell 1 Jahr zusätzlich für andere europäische Länder) anzubieten. Des Weiteren soll diesen Studenten, auch Dozenten die Möglichkeit angeboten werden, dass sie auch neben dem Studium ihre Gebärdensprache lernen und verbessern können.

 

Heißt es auch, dass an dieser Uni (im Gegensatz zu vielen schulischen Einrichtungen für Gehörlose) ALLE Dozenten, Referenten, Mitarbeiter in DGS kommunizieren werden?

Ja, genau das wollen wir erreichen, so wie in der Gallaudet Universität! Die Studenten werden ohne Gebärdensprachdolmetscher direkt mit den Dozenten gebärdensprachlich kommunizieren.

 

Leider gibt es in Deutschland nicht so viele gehörlose Abiturienten. Kann man an der Uni dann auch mit Fachabitur studieren?

Wir planen neben der Gebärdensprach-Universität auch eine gymnasiale Oberstufe (Gebärdensprachschule) in Bad Kreuznach, damit die tauben Schulabgänger und Fachabiturenten auch die allgemeine Hochschulreife erlangen können, um dann an der Gebärdensprach-Universität studieren zu können. Wir haben die Idee, wenn wir auf demselben Gelände beides anbieten, dass dann noch mehr Taube den Weg zum akademischen Abschluss schaffen könnten.

 

Wie hoch werden die Semestergebühren sein?

Das wissen wir im Moment noch nicht und die Gebühren hängen von den staatlichen Förderungen ab.

 

Wo werden die Studenten untergebracht? Gibt es auf dem Unigelände auch Wohnheime?

Ja, es gibt auf dem Universitätsgelände Wohnheime. Diese bieten für ca. 200 Studenten Platz, allerdings müssen sie noch renoviert werden. Weitere Wohnmöglichkeiten gibt es auch in Bad Kreuznach und Umgebung.

 

Wer werden die Dozenten sein? Können Sie schon einige Namen nennen?

Das wissen wir momentan auch noch nicht. Bis zum Start im Jahr 2013 werden wir sicher gebärdensprachkompetente Dozenten finden. Erfreulicherweise kann ich Ihnen mitteilen, dass sich schon einige Interessenten gemeldet haben und dass die Zahl der tauben Doktoranden und Doktoren stetig gestiegen ist, die später eventuell in Bad Kreuznach lehren und forschen können.

 

Werden Sie dort auch unterrichten oder ist es noch ein Geheimnis?

Das wäre sehr schön! Wenn es genügend Studenten im Fach Physik / Chemie gibt, dann gerne! Das wird bestimmt noch Jahre dauern, bis es realisierbar ist.

 

Wird es ein internationales Dozententeam sein?

Ja, auf jeden Fall.

 

Jetzt träumen wir ein bisschen, wenn wir uns in 10 Jahren treffen, was werden Sie mir von der Uni erzählen?

Ich würde Ihnen in 10 Jahren erzählen, dass etwa 500 Studenten dort studieren und dass die barrierefreie Stadt Bad Kreuznach ein beliebtes Ziel der europäischen Tauben ist. Dort überall in der Stadt werden auch viele hörende Kreuznacher gebärden können (z.B. auch in den regulären Kindergärten und Schulen).

 

Das ist wirklich ein schöner Traum! Ich drücke Ihnen die Daumen, dass es wahr werden kann und bedanke mich für das Interview.

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Tanja Barth

 

 
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