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Experten-Interview Februar 2015



Wir betreiben in dieser Klasse die umgekehrte Inklusion

 

Die ‚Schule beim Jakobsweg‘ in Winnenden ist eine berufliche Vollzeitschule, die auf die Förderung von gehörlosen, hör- oder sprachbehinderten oder autistischen Schülern ausgerichtet ist. Über das Angebot, das mehrere Bildungsgänge, unter anderem ein berufliches Gymnasium umfasst, habe ich Roland Göhring befragt.

 

Auf Ihrem Internetportal ist zu lesen, dass das Berufskolleg Gebärdensprache (BKG) einmalig in Deutschland ist…. Warum?

Roland Göhring: Unser Berufskolleg Gebärdensprache hat im beruflichen Bereich den Schwerpunkt Deutsche Gebärdensprache (DGS). Man kann hier in zwei Jahren die Fachhochschulreife erlangen, die zum Studium an Fachhochschulen berechtigt. Dieser ist allerdings der einzige Bildungsgang an unserer Schule, der nicht als Sonderpädagogische Einrichtung läuft und somit für Regelschüler gedacht ist. Das bedeutet z.B. dass die Klassengröße über den bei uns sonst üblichen 10 Schüler/Innen liegt.

Das BKG ist explizit für Hörende und soll die Nachwuchsförderung für Gebärdensprachdolmetscher unterstützen. Es ist durch die Anregung der Landeskommission für Hörgeschädigte entstanden. Gehörlosenverbände haben dabei immer wieder den Bedarf an Gebärdensprachdolmetschern angemahnt.

 

Was sind die Voraussetzungen für die Aufnahme?

Wie für jedes zur Fachschulreife führende Berufskolleg braucht man einen Mittleren Bildungsabschluss, also entweder einen Realschulabschluss oder eine Fachschulreife, ohne einen bestimmten Notendurchschnitt

Für das 6-jährige Berufliche Gymnasium brauchen Gymnasialschüler/Innen aus Klasse 7 eine Versetzung nach Klasse 8.

Realschüler/Innen mindestens die Noten 2,0 in Deutsch und Englisch, mindestens 3,0 in Mathematik und einen Gesamtschnitt von 3,0.

Haupt- und Realschüler/Innen müssen eine Aufnahmeprüfung absolvieren. Die Detailinfos sind hierzu auf unserer Homepage www.gymnasium.paulinenpflege.de.

 

Müssen die Schüler schon vorab über entsprechende DGS-Kenntnisse verfügen?

Unsere Schüler brauchen keine DGS Kenntnisse, die Unterrichtssprache ist Lautsprache mit begleitenden Gebärden unter akustisch optimierten Bedingungen.

 

Seit September 2013 gibt es in der Schule beim Jakobsweg ein inklusives „Berufliches Gymnasium“. Was sollen wir uns genau darunter vorstellen?

Von Haus aus sind wir eine sonderpädagogische Einrichtung und spezialisiert auf Menschen mit Handicap. Inklusion ist eine gesellschaftliche Aufgabe aller Schulen. Wir betreiben in dieser Klasse die umgekehrte Inklusion, das bedeutet, wir nehmen Regelschüler mit auf. Damit wollen wir das gemeinsame Begegnen und das gemeinsame Lernen ermöglichen. Wir sehen die Unterschiedlichkeit unserer Schüler/Innen als Chance für das Lernen, sowohl zwischen Menschen mit Handicap, als auch ohne.

Wir sind eine Ganztagesschule mit dem Angebot eines Internats und haben darauf unseren Unterricht, das gemeinsame Essen, Spielen, Lernen und Arbeiten ausgerichtet.

 

Gibt es im beruflichen Gymnasium Profilfächer?

Ja, die Schule beim Jakobsweg hat den Schwerpunkt „Ernährung, Soziales und Gesundheit“. Bereits vom Start ab Klasse 8 fördern wir verstärkt in den Bereichen Ernährung, Soziales, Gesundheit und Naturwissenschaften. Zu den unterrichtlichen Schwerpunkten kommen, Exkursionen (=Ausflüge), Schullandheime, gemeinsame Unternehmungen wie Musicalbesuch oder Sportveranstaltungen.

 

Die Gebärdensprache hat bei ihnen einen besonderen Stellenwert. Heißt es, dass alle Lehrer gebärden können und der Unterricht komplett in DGS gehalten wird?

Nein, das bedeutet es nicht, da die meisten unserer Gymnasiast/Innen entweder gar nicht oder nur sehr wenig gebärden, wenn sie an die Schule beim Jakobsweg kommen.

Aber in Klasse 8 ist DGS Wahlpflichtfach und es kann als Wahlfach auch in den folgenden Klassen gewählt werden. In anderen Bildungsgängen ist der Anteil von DGS deutlich höher.

Bei allen unseren Lehrkräften steht im Arbeitsvertrag, dass sie innerhalb einer angemessenen Zeit mehrere Gebärdensprachkurse besuchen sollen.

In diesem Schuljahr haben wir sieben neue Lehrer/Innen eingestellt. Sie sind gerade bei der Einarbeitung: im Bereich Gebärdensprache, in sonderpädagogischer Richtung, wie Hör- und Sprachbehinderung, AVWS (Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung) in unserer eigenen Einrichtung, der Paulinenpflege Winnenden.

Für die höheren Bildungsgänge brauchen wir ein Kollegium mit der Befähigung für die Sekundarstufe II im Gymnasialbereich: Dieses soll gleichzeitig über sonderpädagogische Fähigkeiten wie z.B. besondere Kenntnisse in der Visualisierung von Bildungsinhalten mit Digitalen Tafeln und DGS-Kenntnisse verfügen. Das gibt es auf dem Markt aber gar nicht und deshalb bilden wir selber in der Einrichtung fort.

 

Wie groß sind die Klassen im Berufskolleg und im Gymnasium? Wie ist die technische Ausstattung?

Das Berufskolleg für Gebärdensprache hat zur Zeit 26 und 28 Schüler/Innen und ist, wie oben ausgeführt, eine Regelschule.

In unseren Sonder-BKs (Berufskolleg für Gesundheit und Pflege und Berufskolleg Technik) ist die maximale Klassengröße auf 12 festgesetzt, da wir eine berufliche Schule in Sonderform sind.

Im Gymnasium sind es 10 und 12 Schüler/Innen. Die technische Ausstattung umfasst eine besondere Schallisolierung, in allen Räumen Teppichböden, Digitale Tafeln, und Soundfield-Anlagen in den Unterrichträumen.

 

Können sich bei Ihnen auch Schüler aus anderen Bundesländern bewerben?

Ja, wir haben in allen Bildungsgängen auch Schüler aus anderen Bundesländern.

 

Wer ist der Kostenträger für die Internatsunterbringung und wie oft dürfen die Schüler heimfahren?

Die Kostenträger sind in der Regel. die örtlichen Sozialhilfeträger, sonst das Jugendamt. Die Schüler können wöchentlich nach Hause fahren.

 

Welche Erfahrung haben Sie gemacht? Welchen Weg gehen Ihre Schüler nach dem Fachabitur bzw. nach dem beruflichen Gymnasium? Studium (ist es tatsächlich möglich nach dem BK) oder Berufsausbildung?

Da wir unser Berufliches Gymnasium erst im zweiten Jahr beschulen, gibt es von dort noch keine Erfahrungswerte. Allerdings können die Gymnasiast/Innen nach Klasse 10 an andere Schulen wechseln oder es können auch neue Gymnasiast/Innen aufgenommen werden. Auch hier ist unser baden-württembergisches Schulsystem durchlässig.

Aus dem Berufskolleg Gebärdensprache, so höre ich, gehen immer einige zu einer Dolmetscherausbildung, z.B. an die FH in Magdeburg, viele ergreifen einen sozialen Beruf  bzw. studieren Sozialarbeit. Auch die Absolvent/Innen aus den SonderBKs finden ihren Weg zu einer Fachhochschule oder gehen mit einer höheren Qualifikation in eine Berufsausbildung. Ihnen stehen viele Wege offen.

Es freut mich immer wieder zu sehen, dass Ehemalige nicht nur mit sich und der Welt zurechtkommen, sondern gelernt haben, auch ihre Umwelt zu gestalten.

 

Vielen Dank für das Interview!

Text: Judit Nothdurft

Bild: Roland Göhring

 
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