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Experten-Interview Oktober 2010



Andreas Costrau - Neue Ideen zum Abbau von Barrieren!

 

Seit September gibt es einen Gebärdensprach-Schnupperkurs in der Berliner U-Bahn....

…. darüber habe ich mich mit Andreas Costrau, dem Ideengeber der Aktion und Inhaber der Berliner Ergänzungsschule „gebaerdenservice.de“, unterhalten.

 

Judit Nothdurft: Gebärdenkurs in der U-Bahn? Wie bist du auf diese Idee gekommen?

Andreas Costrau: Vor drei Jahren habe ich über die Barrierefreiheit der Berliner U-Bahn gelesen. „Toll!“ habe ich mir gedacht, aber was ist mit Barrieren der Tauben?? Die Informationen durch optische Anzeigen in den BVG-Fahrzeugen sind für uns sehr hilfreich, aber es gibt noch Bereiche, die verbessert werden müssen. Z.B. wenn ich in einem U-Bahn Fahrstuhl stecken bleibe und den Notruf betätige. Ich als Tauber kann nicht hören, ob mich am anderen Ende jemand wahrgenommen hat und Hilfe für mich holt. Ich vermisse generell entsprechende Notfall-Lichtsignale, besonders im Falle eines Feueralarms.

Ich habe meine Vorschläge bezüglich einer wirklich barrierefreien U-Bahn aufgeschrieben und diese an die BVG geschickt. Sie waren zwar interessiert, aber erst jetzt haben wir ein gemeinsames Projekt mit dem Interview im BVG Heft plus_09 gestartet. Mal sehen, ob noch weitere Projekte folgen werden.

 

Wie sind die Moderationsbeiträge in Gebärdensprache für die BVG entstanden?

Der Gebärdensprachkurs ist ein Projekt mit der Wall AG. Diese wollte ihre neuen Multimedia-Werbeflächen im U-Bahnbereich auch mit Deutscher Gebärdensprache gestalten und haben mich beauftragt, Gebärdensprach-Schnupperkurse zu integrieren. Mein Konzeptvorschlag gefiel, passte und wurde umgesetzt.

Ein großes Dankeschön an Christian Pflugfelder, der als Dolmetscher diesen Auftrag an uns weitergeleitet hatte. Er hat verstanden, dass diesen Job auch Taube machen können. Das finde ich echt Klasse!

 

Wie lang ist so eine „Unterrichtseinheit“ an der U-Bahn Haltestelle?

Die Gebärdenfilme sind ungefähr 30 Sekunden lang und es werden hier ein bis drei Gebärden zu ca. 40 Themen gezeigt bzw. erklärt. Wir haben hier Gebärden aufgegriffen, die für jeden interessant sein könnten, wie z.B Fußballweltmeisterschaft, Sommerurlaub usw. Die Aufnahmen entstanden in der freien Natur, wo ein Kameramann von der Wall AG uns gefilmt hat. Es hat ca. 2 Wochen gedauert, bis die Beiträge komplett mit Schnitt und Untertitelung fertig waren. Für uns war diese Zusammenarbeit eine sehr schöne Erfahrung.

 

An welchen Stationen wird es gezeigt? Wie lange und wie oft?

Der U-Bahnhof Friedrichstrasse zeigt auf allen Media-Wänden und Monitoren der Wall AG normalerweise immer mittwochs im 12 Minuten-Takt die Gebärdensprach-Trailer.

 

Hast du schon beobachten können, wie die Fahrgäste auf diesen Film reagieren? Versuchen sie tatsächlich die Gebärden nach zu machen?

Ich persönlich habe es leider noch nicht gesehen, aber über Dritte, andere Beobachter und „Hörensagen“ sind mir einige lustige Geschichten zugetragen worden. Einige meiner Kunden haben laut gelacht, als sie den Film mit mir gesehen haben. Andere Fahrgäste haben versucht mitzugebärden, was ja Sinn macht.

 

Wie sieht es in anderen Großstädten aus? Werden diese Trailer dort auch an den U-Bahnhaltestellen gezeigt?

Das weiß ich nicht so genau. Ich hoffe es und würde sehr begrüßen, wenn der Gebärdensprach-Schnupperkurs zukünftig ein fester Bestandteil des Programms der Wall AG wäre.

 

Wie viele Gehörlose leben eigentlich in Berlin?

Laut Aussage des Berliner Versorgungsamtes sind es schätzungsweise 4.000 Menschen. Genauere Zahlen liegen den Behörden derzeit nicht vor (Stand 08/10) Langfristig gesehen denke ich, dass immer mehr taube Menschen nach Berlin kommen werden, schon allein wegen des vielseitigen Angebotes an Universitäten, Kultur, Theater, etc., das man hier findet.

 

Wie schätzt du als Bürger, aber auch als Geschäftsführer von gebaerdenservice.de die Situation von Hörgeschädigten in Berlin ein?

Ich finde es sehr gut, dass Taube immer selbstbewusster werden und auch ein sehr großes Empowerment (=Selbstbestimmung) haben.

Die Situation wird immer besser. Das zeigt auch die Tatsache, dass es in Berlin auch schon viele Taube gibt, die sich selbstständig gemacht haben. Wir sind gerade dabei, unser zweites Treffen der Selbstständigen-AG für Taube zu organisieren.

 

In welchen Branchen haben sich diese Gehörlosen selbstständig gemacht?

Sie arbeiten in ganz unterschiedlichen Branchen. Wir haben hier z.B. Malerbetriebe, Schneidereien, Bekleidungsgeschäfte, Massageinstitute, Yogatrainer, Nageldesigner, Frisöre, usw.. Wenn jetzt noch einige Taube dieses Interview lesen und ebenfalls als Selbstständige in Berlin arbeiten, dann sind sie natürlich willkommen bei unserer Selbständigen-AG. Ich würde mich freuen, wenn sie uns kontaktieren (kontakt@gebaerdenservice.de).

 

Was meinst du, was könnte man an der Situation von Hörgeschädigten in Berlin verbessern?

Verbessern? Hm, ich denke, wir Hörgeschädigte sollten immer aktiv und aufgeschlossen sein, und sollten den Hörenden mehr Informationen über uns liefern. Sie wissen ja fast gar nichts über uns und unsere Kultur.

 

Was würdest du gut finden, wenn es anders wäre, konkret in Berlin?

Für uns Taube wäre es super, wenn alle Personen die in einem Dienstleistungsbetrieb arbeiten, ein wenig Grundgebärden-Kenntnisse hätten. Das ist ja auch der Sinn der UN-Konvention und des Behindertengleichstellungsgesetzes. Ich sage immer, für Rollis (Rollstuhlfahrer) eine Rampe, für Taube ein Grundkurs in DGS!

 

Denkst du, die Veranstaltungswoche Deaf Week und die U-Bahn Gebärdenkurse haben die Hörenden mehr für die Gehörlosenwelt sensibilisieren können?

Ja, auf jeden Fall, obwohl Deaf Week ein Projekt war, das nur eine Woche lang lief. Leider ist es nicht mehr zu sehen aber ich bleibe am Ball.

Wir haben auf diese Projekte viel mehr positive Resonanzen und erstaunliche Reaktionen erhalten, als ich je erwartet hätte. Z.B. hat ein Hörender versucht sich während der Türkisparade mit Händen und Füßen mit einer gehörlosen Gruppe aus Österreich zu verständigen. Es klappte nicht, aber er gab nicht auf, hat schnell einen Stift und Zettel aus der Hosentasche geholt und schon war die Kommunikation perfekt!

Aus Erzählungen von tauben und hörenden Menschen habe ich gemerkt, dass diese Aktionen auf alle eine überaus große Auswirkung hatten.

Ich freue mich natürlich sehr, dass das in diesem Maße erreicht wurde.

Ich auch und bedanke mich für das Interview!

 

Text: Judit Nothdurft

Bild: Melanie Bräcker

 

 
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