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Experten-Interview Juli 2015



Deutschkurse für gehörlose Migranten - das Ziel ist Integration

 

 

Die Bundesrepublik unterstützt mit einem flächendeckenden Kurssystem die Eingliederungsbemühungen von Zuwanderern. Wenn gehörlose Zuwanderer Sprachkurse suchen, werden sie bei der Sprachschule Heesch in Hamburg fündig.

 

Herr Heesch, Sie unterrichten Deutsch für gehörlose Migranten und Flüchtlinge. Warum ist es für diese Menschen wichtig, die deutsche Sprache zu erlernen?

Christoph Heesch: Stellen Sie sich vor, eines Tages wollen Sie in Frankreich leben und wandern dorthin aus. Sie leben in Frankreich und können kein Französisch. Sie werden sich sehr orientierungs- und hilflos fühlen. Genauso geht es den Migranten und Flüchtlingen in Deutschland. Sie haben mit Sicherheit das dringende Bedürfnis, Deutsch verstehen, sprechen und schreiben zu können.

In unserem Integrationskurs wird je nach Bedarf parallel zum Deutschunterricht auch die Deutsche Gebärdensprache vermittelt. Für die gehörlosen Migranten, die noch nicht lange in Deutschland leben, ist das enorm wichtig, um später zum Beispiel die Übersetzungen der Gebärdensprachdolmetscher in Deutscher Gebärdensprache verstehen zu können. Umgekehrt sollten die Dolmetscher sie auch verstehen können. Somit soll eine gegenseitige Kommunikation gewährleistet werden. Das Erlernen von deutscher Sprache schafft also eine Kommunikationsbrücke und ist von hoher Relevanz! Ziel ist, gehörlose Migranten in die Gesellschaft zu integrieren.

 

Welche Kenntnisse vermitteln Sie im Unterricht?

Es handelt sich um einen Integrationskurs, in dem die Migranten die Möglichkeit haben, die deutsche Sprache zu erlernen. Jedoch anders als bei den Integrationskursen für Hörende. Bei uns lernen gehörlose Migranten zusätzlich auch die Deutsche Gebärdensprache. Im Kurs haben wir die Schwerpunkte auf Lesen und Schreiben gelegt.

 

Wer kann oder darf einen solchen Sprachkurs besuchen? Spielt hier der Migrationshintergrund eine Rolle?

Grundsätzlich werden drei Gruppen zur Teilnahme am Integrationskurs zugelassen:

a.    Migranten mit Aufenthaltstitel (Aufenthaltstitel=Antrag auf Aufenthalt in Deutschland, wird vom Ausländeramt genehmigt, für die Dauer zwischen 1 und 3 Jahre. Vor der Ablauffrist kann ein neuer Antrag gestellt werden. Es gibt auch unbefristeten Aufenthalt.)

b.    Spätaussiedler

c.    Personen mit Migrationshintergrund, also Personen, die eine deutsche Staatsbürgerschaft, aber eine ausländische Herkunft haben

 

Wer ist der Kostenträger?

Wichtig ist, dass man vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Berechtigungsschein zur Teilnahme am Integrationskurs erhält. Alternativ ist eine Verpflichtung durch die Ausländerbehörde oder das Jobcenter auch eine Möglichkeit, am Kurs teilzunehmen.

 

Wird der Unterricht nur ganztags abgehalten oder besteht die Möglichkeit auch neben der Arbeit einen Kurs zu besuchen?

Der Unterricht kann zeitlich unterschiedlich gestaltet werden. Es gibt einen Voll- und einen Teilzeitkurs. Wir bieten Vollzeitkurse mit einem wöchentlichen Zeitumfang von 20 oder 25 Unterrichtsstunden an. Der Unterricht kann zu jedem Zeitpunkt begonnen werden. Berufstätige können auch nach dem Feierabend einen Abendkurs besuchen. Es ist allerdings meiner Meinung nach eine große Belastung.

 

Für jeden Kurs haben wir eine Lehrkraft. Ich selbst unterrichte den Kurs in Hamburg und Köln. Alle gehörlosen Kollegen sind staatlich geprüfte oder anerkannte Gebärdensprachdozenten und haben eine Zusatzausbildung „Deutsch als Zweitsprache“ gemacht.

 

Für die meisten Ihrer ausländischen Schüler ist die deutsche Sprache eine Fremdsprache. Wie klappt dann anfangs die Kommunikation? Stehen ihnen Fremdsprachendolmetscher zur Verfügung?

Etwa 80 bis 90 Prozent der bisherigen Teilnehmer leben schon seit Jahren in Deutschland und beherrschen daher schon Deutsche Gebärdensprache, auch wenn sie teilweise nicht einwandfrei ist. Von daher war es kaum problematisch mit der Kommunikation.

Bei der Kommunikation mit den neu eingewanderten Migranten benutzen wir üblicherweise die sogenannte internationale Gebärdensprache, dann treten keine gravierenden Kommunikationsschwierigkeiten auf.

Unsere neueste und interessante Erfahrung ist, dass viele Migranten schon sehr gut „international“ gebärden können. Durch globalisierte Internetverbindungen haben sie Kontakte zu anderen Gehörlosen aus unterschiedlichen Ländern, mit denen sie sich per Webcam verständigen. Auf diese Weise werden offensichtlich überwiegend Vokabeln der amerikanischen Gebärdensprache (ASL) erworben und verwendet. Dagegen ist die deutsche (Laut-)Sprache für alle Migranten eine Fremdsprache, die sie mit viel Mühe und Anstrengung lernen müssen.

 

Wie lange dauert ein Deutschkurs und wie ist er inhaltlich aufgebaut?

Der Integrationskurs hat einen Zeitumfang von 900 Unterrichtsstunden inklusive 60 Unterrichtsstunden für den Orientierungskurs. Als Vollzeitkurs mit teilweise verkürzten Ferien dauert er ungefähr 11 Monate. Der Integrationskurs ist in neun Modulen aufgebaut. Der methodische und didaktische Aufbau des Kurses hängt insbesondere von der Gesamtheit der Lerngruppe ab. Jedoch müssen alle Kursträger den Bestimmungen des vorgegebenen Curriculums folgen. So müssen alle Teilnehmer im Rahmen des Integrationskurses lernen: a) lesen,  b) schreiben, c) hören und d) sprechen. Gehörlose können logischerweise nicht so hören und sprechen, wie Hörende. Aus diesem Grund üben sie, das in Gebärdensprache übersetzte „Gesagte“ visuell wahrzunehmen und eigene Aussagen in Gebärdensprache wiederzugeben.

 

Nach 900 Stunden müssen Ihre Kursteilnehmer eine Abschlussprüfung absolvieren. Wer sind die Prüfer und welche Kenntnisse werden hier abgefragt?

Die Kursteilnehmer müssen eine mündliche und schriftliche Prüfung über die bereits oben genannten Fertigkeiten ablegen. Sie werden von hörenden Prüfern geprüft, die über eine gültige Prüferlizenz verfügen.

Die Länge der Prüfung ist abhängig von der Personenzahl der Prüfungskandidaten. Durchschnittlich dauert sie zwischen 5 und 7 Stunden.

Bei der mündlichen Prüfung werden selbstverständlich Gebärdensprachdolmetscher eingesetzt. Hier stellen sich die Prüfungskandidaten erst vor und berichten kurz über ihre Person, wie z. B. Herkunft, Einwanderung, Beruf, Familie usw. Nachher sollen sie anhand von Bildaufnahmen erzählen, was sie auf den Fotos sehen. Anschließend erhalten sie eine Aufgabe für Partnerarbeit, wo sie zu zweit miteinander über Themen wie z. B. Einladung zur Hochzeitsfeier kommunizieren. Sie sollen gemeinsam planen, wie sie zur Hochzeit fahren, was sie dem Brautpaar schenken und was sie anziehen wollen.

 

Wie ist die Erfolgsquote bei Ihren Schülern?

Erfreulicherweise haben 81 % unserer gehörlosen und hörgeschädigten Teilnehmer die Prüfung bestanden! 19 % haben es leider nicht geschafft. Darunter sind aber auch einige Kandidaten, die die Prüfung nicht wiederholen wollen. Mit großer Wahrscheinlichkeit würden sie beim zweiten Versuch die Prüfung schaffen.

Wir haben erfahren, dass gehörlosen und andere hörgeschädigte Teilnehmer durchschnittlich gesehen, bessere Prüfungsergebnisse erzielen, als Hörende. Diese Feststellung hat uns absolut überrascht und uns sehr gefreut!

 

Was passiert, wenn jemand durchfällt? Muss er den Kurs wiederholen? Wer zahlt dann?

Für ihn besteht dann die Möglichkeit, den Kurs mit 300 Stunden zu wiederholen. Solange man Sozialleistungen bezieht ist die Teilnahme kostenfrei.

 

Wie geht es nach der Prüfung weiter? Welche Möglichkeiten haben die Absolventen?

Nach der Prüfung werden viele von ihnen vom Jobcenter zur Berufsberatung eingeladen. Mit dem erworbenen Zertifikat erfahren sie mehr Unterstützung vom Jobcenter. Einige wollen die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, deshalb haben sie auch den Kurs besucht und so das benötigte Zertifikat erworben. Andere Absolventen besuchen dann weiterführende Maßnahmen, z.B. berufliche Kurse mit Praktika.

Es gibt auch ehemalige Teilnehmer, vor allem die weiblichen, die sich wieder voll auf die Kindererziehung und den Haushalt konzentrieren möchten. Sie haben also unterschiedliche Wünsche und gehen verschiedene Wege.

 

 

Vielen Dank für das Interview und wünsche Ihnen weiterhin eine gute Erfolgsquote!

 

Text: Judit Nothdurft

Bild: Christoph Heesch

 

 
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