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Experten-Interview März 2017



Mein Ziel ist, dass hörbehinderte Senioren so lange wie möglich zu Hause leben können.

 

Seit Oktober 2016 gibt es eine Beratungsstelle in Nürnberg, speziell für hörgeschädigte Senioren und ihre Angehörigen. Welche Hilfe sie hier genau bekommen, darüber habe ich Martin Thanner, Mitarbeiter der Koordinierungsstelle, interviewt.

 

Herr Thanner, wie ist diese Beratungsstelle entstanden und mit welchem Ziel?

Martin Thanner: In den letzten Jahren haben immer wieder Verbände und Dienste gefordert, dass für gehörlose und hörbehinderte Senioren spezielle Angebote aufgebaut werden. Hier sollen sie in Gebärdensprache Beratung, Begleitung und Unterstützung bei Pflegebedürftigkeit erhalten.

Viele gehörlose Senioren leben sehr einsam in Pflegeheimen, weil niemand da ist, mit dem sie dort kommunizieren können. Vertreter der Gehörlosenverbände in Mittelfranken haben mit der Regens-Wagner-Stiftung, mit dem Sozialdienst für Gehörlose beim Bezirk Mittelfranken, mit der evangelischen und katholischen Gehörlosenseelsorge und Dr. Inge Richter (bis 2015 Chefärztin der Abteilung für hörgeschädigte Menschen im Klinikum am Europakanal) überlegt, was eine spezielle Stelle für Senioren in Nürnberg leisten müsste.

Die Regens-Wagner-Stiftung hat einen Zuschussantrag bei Aktion Mensch für eine Koordinierungsstelle gestellt, der im Dezember 2015 genehmigt wurde. So konnte am 1.10.2016 die Koordinierungsstelle „Unterstützende Maßnahmen für hörgeschädigte Senioren“ eröffnet werden.

 

Unser Ziel ist, Senioren und Angehörige in Gebärdensprache zu beraten und zu unterstützen, damit sie so lange, wie möglich in ihrem Zuhause leben können. Sie sollen ihre gesetzlichen Ansprüche bei Pflegebedürftigkeit kennen und entsprechende Anträge stellen können. Langfristig soll die Lebenssituation hörbehinderter Senioren in Altenheimen verbessert werden.

 

Wer sind die Mitarbeiter der Beratungsstelle?

Ich werde unterstützt durch gehörlose bzw. schwerhörige Mitarbeiter bei den Offenen Hilfen für Gehörlose und Hörgeschädigte. Mit ihnen tausche ich mich aus, bevor ich neue Angebote aufbaue. Sie geben wichtige Hinweise zur Verständlichkeit der Inhalte. Sie helfen mir, meine Gebärdenkompetenz zu verbessern und vermitteln die Leistungen der Stelle in den Verbänden.

 

Welche Leistungen bieten sie an?

Wir informieren und beraten hörgeschädigte Senioren rund um den Senioren-Alltag.

Wir klären sie z.B. über ihre gesetzlichen Ansprüche auf und helfen bei der Antragsstellung.

Wir geben Informationen oder vermitteln ambulante Dienste bei Pflegebedürftigkeit.

Wir beraten bei Fragen zu Patientenverfügung, gesetzl. Betreuung, oder anderen Vorsorgeüberlegungen.

Wir helfen und beraten Angehörige bei Fragen rund um die Pflege. Manchmal brauchen Pflegende auch Entlastung, z.B. durch Besuchsdienste oder einen vorübergehenden Kurzzeitpflegeplatz.

Wir machen Hausbesuche und beraten die Betroffenen und ihre Angehörige direkt vor Ort. Bei Bedarf bieten wir auch konkrete Hilfen für Wohnen und Pflege, z. B. welche Hilfsmittel es gibt, wie sie beantragt und bezuschusst werden.

Wenn Senioren nicht mehr ausreichend mobil sind, helfen wir Barrieren zu reduzieren oder versuchen einen Fahrdienst oder einen Besuchsdienst zu vermitteln.

 

Wir unterstützen und begleiten auch bei der Pflegeeinstufung (Medizinischer Dienst der Krankenkasse). Wir unterstützen beim Antrag und beraten bei dem umfangreichen Schriftverkehr.  Wenn gewünscht, begleiten wir als Dolmetscher bei der Einstufung und erklären den Pflegebescheid.

 

Außerdem organisieren wir Informationsveranstaltungen, in denen wir über Hilfen für gehörlose und schwerhörige ältere Menschen, über Demenz, Vorsorgemöglichkeiten etc. in verständlicher Sprache und Gebärden aufklären. Natürlich ist für uns auch die Netzwerkarbeit und Information in Gremien der Seniorenarbeit wichtig (z.B. bei Seniorenbeiräten oder Inklusionsbeauftragten).

 

Können Sie auch helfen, wenn eine Heimunterbringung benötigt wird?

Ja, auch dort können wir helfen, um ein geeignetes Pflegeheim oder eine Tagespflegeeinrichtung zu finden. Ich versuche, die Heimaufnahme zu begleiten, damit wichtige Informationen beim Pflegepersonal richtig ankommen.

 

Gehörlose und hochgradig schwerhörige Senioren brauchen im Alter spezielle Beratung und Pflege. Gibt es überhaupt in Mittelfranken Einrichtungen, die sich mit der Kommunikation von gehörlosen Senioren auskennen?

In Mittelfranken gibt es bei Regens-Wagner in Zell spezielle Angebote für gehörlose, ältere Menschen mit weiteren Erkrankungen oder Behinderungen im Rahmen der Eingliederungshilfe. Das Pflegepersonal hat dort viel Erfahrung in der Begleitung von älteren Menschen mit Hörbehinderung. Die Wohngruppen, die Tageseinrichtung und die Pflege sind auch auf gehörlose Menschen mit Demenz und psychische Erkrankungen kompetent eingestellt.

 

Viele Senioren möchten aber im gewohnten Umfeld bleiben und nicht so weit weg umziehen. Mir ist in Mittelfranken kein Seniorenheim bekannt, das auf die besonderen Bedürfnisse hochgradig hörbehinderter Senioren tatsächlich eingestellt ist. Vor allem der Zeitmangel in der Pflege und die auf das Hören ausgerichteten Angebote sind ein großes Problem in den Heimen. Eine wichtige Aufgabe ist daher, Sozialdienste und Pflegepersonal in Heimen oder ambulanten Diensten kostenfrei Informationen oder Schulungen anzubieten, wie die Begleitung mit hörbehinderten Senioren besser gelingen kann. Dazu besuche ich Heime und nehme Kontakt zur Leitung auf, wenn dort gehörlose Senioren leben.

 

Welche Hilfe können taube oder hochgradig schwerhörige Senioren bekommen, wenn sie statt Heimunterbringung lieber in ihrer Wohnung leben möchten?

Das ist für viele eine sehr schwere Entscheidung und einige wichtige Fragen muss man schon vorher klären, wie z.B.:

o   Gibt es unterstützende Personen (Lebenspartner, Kinder, Freunde etc.), die in der Wohnung den Senioren helfen können?

o   Wer kann Pflegetätigkeiten übernehmen?

o   Ist schon eine Pflegebegutachtung beantragt?

o   Ist eine gesetzliche Betreuung oder Vorsorgevollmacht vorhanden?

o   Wer kann helfen, Barrieren in der Wohnung zu beseitigen (besseres Licht; Duschmöglichkeiten; Stufen)?

o   Welche Kontakte möchte der Mensch weiterhin?

o   Kann ein Fahrdienst organisiert werden?

 

Eine gesetzliche Betreuung kann z.B. Anträge und die Post mit Behörden erledigen.

 

Viele haben Angst, dass sie im Heim nicht mehr selbst über ihr Leben entscheiden können. Ein Heim ist auch teuer und bei geringer Rente muss dann Hilfe zur Pflege (beim zuständigen Bezirk) beantragt werden. Senioren sollten sich ein Heim oder eine betreute Wohnform ansehen, solange sie noch selbst entscheiden können. Auch das braucht Zeit in der Begleitung und dann viele Erklärungen.

 

Bei der Beratung ist egal, ob man schwerhörig oder taub ist?

Unser Angebot richtet sich an gehörlose und hochgradig schwerhörige Senioren und deren Angehörige. Sie bekommen bei uns Beratung und Unterstützung natürlich in Gebärdensprache. Ich verfüge über genügend Erfahrungen und Wissen zur Kommunikation und zum Leben gehörloser Menschen. Das ist meistens an anderen Beratungsstellen, die hauptsächlich Hörende beraten, nicht vorhanden.

 

Was kosten diese Leistungen?

Unsere Leistungen sind alle kostenlos und wir bieten sie für das Einzugsgebiet Mittelfranken und die angrenzenden Landkreise an.

Die Personalkosten dieser Stelle werden für drei Jahre von Aktion Mensch und von der Regens-Wagner-Stiftung finanziert. Auf weitere Spenden und Zuschüsse z. B. für Gebärdensprachdolmetscher sind wir angewiesen.

 

Sie beraten auch hörende Angehörige von gehörlosen Senioren…

Ja. Es gibt kaum Beratungsmöglichkeiten und Informationen für gehörlose Senioren oder gehörlose Angehörige. Die Situation für hochgradig hörbehinderte (hb) ältere Menschen ist meist auch nicht besser. Es fehlt den Pflegekräften in Heimen an Informationen, wie der Kontakt mit hörbehinderten älteren Menschen besser gelingen kann.

 

Was sind die häufigsten Fragen in der Beratungsstelle?

Die meisten Fragen drehen sich um die Pflege und Betreuung zu Hause oder in Heimen. Wo gibt es spezielle Hilfen, wenn ich pflegebedürftig werde? Wer kann mich in Gebärdensprache (LBG, DGS) oder anhand anderer Kommunikationshilfen beraten? Was kostet ambulante Hilfe? Was bezahlt die Pflegekasse? Was kann ich machen, wenn meine Frau/mein Mann, meine Mutter/Vater immer vergesslicher werden? Wie erkenne ich, ob eine Demenz entsteht? Wie kann ich sie gut begleiten und pflegen? Wann ist ein Antrag für eine Pflegeeinstufung erfolgreich? Wie kann ein Fahrdienst organisiert und bezahlt werden, damit der Besuch der GL-Treffen weiterhin möglich ist.

 

Gesetzliche Betreuung – Patientenverfügung Vorsorge können Sie uns kurz schildern, was unsere Leser hierzu beachten sollen?

Es ist sinnvoll, sich schon frühzeitig mit dem (Ehe-)Partner oder den Kindern über diese Fragen zu unterhalten. Durch einen Unfall / Schlaganfall oder Herzinfarkt kann schon morgen jeder pflegebedürftig werden oder in eine Situation kommen, in der er nicht mehr selbst entscheiden kann. Für Alleinstehende gibt es professionelle Betreuer, die durch das Amtsgericht sehr genau bei ihren Aufgaben kontrolliert werden. Es gibt natürlich viele Ängste und Verunsicherung, die besprochen werden sollten.

Ich berate über konkrete Möglichkeiten und gebe Informationsmaterial. Gern halte ich zum Thema auch Vorträge in Gehörlosenvereinen, wo ich die wichtigsten Informationen kurz und verständlich erkläre.

 

Sie haben früher bei Regens-Wagner in Zell den Wohn- und Pflegebereich für Senioren geleitet und haben viel Erfahrung im Umgang mit Gehörlosen. Was sind die Ziele der Koordinierungsstelle?

Mein Ziel ist, dass die Senioren so lange wie möglich zu Hause leben können. Sie sollen die Leistungen beantragen und erhalten können, die ihnen gesetzlich zustehen und ihnen im Alter helfen können. Die Lebenssituation in Pflegeheimen muss für gehörlose oder hochgradig schwerhörige Menschen verbessert werden, denn eine echte soziale Teilhabe ist dort nicht möglich. Mit Senioren-, Gehörlosenverbänden und Entscheidungsträgern möchte ich überlegen, welche speziellen Hilfen und Wohnformen für ältere gehörlose und schwersthörige Menschen zukünftig wichtig sind.

 

Was dürfen unsere Leser über Sie wissen?

Ich bin 54 Jahre alt, hörend und von Beruf Sozialpädagoge. Ich lebe in Schwanstetten, bin seit 33 Jahren verheiratet, habe zwei erwachsene Kinder und einen Enkel.

Seit dem 01.10.2016 bin ich mit einer Vollzeitstelle an der Koordinierungsstelle in Nürnberg-Eibach tätig. Durch meine berufliche Laufbahn weiß ich, welche Hilfen gehörlose bzw. hörbehinderte ältere Menschen, vor allem bei Pflegebedürftigkeit und Demenz benötigen. Ich kommuniziere in Lautsprachgleitender Gebärdensprache (LBG) und Deutscher Gebärdensprache (DGS).

Außerdem verfüge ich über langjährige Erfahrung im Bereich Hör-Sehbehinderung und Taubblindheit.

 

Wie und wo kann man Sie erreichen?

Am besten bin ich in der Koordinierungsstelle erreichbar:

 

Offene Hilfe Nürnberg für Gehörlose und Hörgeschädigte

Koordinationsstelle „Unterstützende Hilfen für hörgeschädigte Senioren“

Pommernstr. 1, 90451 Nürnberg

Mail: martin.thanner@regens-wagner.de

Fax. 0911 – 632 90 701, SMS / Whatsapp: 0160 93512479, Tel.  0911 – 632 90 703

Termine für die Sprechstunden bitte vorher vereinbaren.

 

 

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Martin Thanner

 

 

 
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