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Experten-Interview Juni 2018



Das Ziel ist - Bayern mit einem Netz von Hospizbegleitern abzudecken

 

Seit 2016 läuft das Projekt zum Aufbau eines ambulanten Hospizdienstes für Gehörlose in Bayern, wo Gehörlose zu Hospizbegleitern ausgebildet werden. Die Organisatorin Iris Feneberg erzählt uns, was diese Ausbildung alles beinhaltet.

 

Frau Feneberg, wie ist die Idee zu dem Hospizkurs entstanden?

Iris Feneberg: Wie bei vielen Neuerungen der Hospizarbeit, war auch hier die persönliche Betroffenheit der Anstoß für dieses Projekt. Sowohl die Tatsache, dass meine Tochter gehörlos ist, als auch, dass ich 2010/11 einen langen und schwierigen Sterbeprozess begleitet habe, brachten den Stein ins Rollen.

In der evangelischen Gehörlosenseelsorge und dem Verein JSB e.V. fand ich offene Ohren. Nur durch die große Unterstützung und dem langen Atem von Pfarrerin Cornelia Wolf und Pfarrer Matthias Derrer konnten wir dieses Projekt zum Laufen bringen.

In den Vorbereitungsgesprächen zeichnete sich schnell ab, dass hier ein großer Handlungsbedarf besteht. Wir konnten nicht abwarten, bis sich die Strukturen von selbst so verändern, dass eine gute Hospizbegleitung für Gehörlose entstehen würde. Auf der Suche nach Kooperationspartnern aus dem Hospizbereich wurden wir beim Hospizteam Nürnberg fündig. Hier hatten wir dann einen kompetenten und bereitwilligen Kooperationspartner.

Nach einer fast 2-jährigen Vorbereitungsphase haben wir die notwendigen Sponsoren gefunden und konnten das Projekt starten.

 

Gab es auch schon früher Möglichkeiten, wo Gehörlose als Hospizbegleiter (in Gebärdensprache) ausbildet wurden?

Es gibt in Würzburg seit 15 Jahren eine Hospizbegleitergruppe gehörloser Menschen. Diese haben in den letzten Jahren großartige Arbeit geleistet und viele Erfahrungen gesammelt. Sie sind sozusagen die Pioniere der „Gehörlosen Hospizarbeit“! Das Tätigkeitsfeld dieser Gruppe umfasst den Großraum Würzburg/Schweinfurt, zum Teil sogar bis Aschaffenburg!

 

Was ist eigentlich die Aufgabe eines Hospizbegleiters?

Das sind wichtige und schwierige Aufgaben, wie zum Beispiel:

·         schwerstkranke Menschen begleiten

·         Sterbenden nahe sein

·         Angehörige unterstützen / entlasten

·         mit Trauernden reden

·         den Sterbenden ganz in den Mittelpunkt zu setzen

 

Der Umgang mit Sterbenden, mit Angehörigen und Trauernden erfordert die Bereitschaft, sich auf andere Menschen und deren Situation einzustellen. Dafür braucht man eine gute Selbsteinschätzung, (Lebens-)Erfahrungswerte und vor allem Einfühlsamkeit. Darauf bereiten wir Gehörlose in den Hospizbegleiterkursen vor. Wer sich zum Hospizbegleiter ausbilden lassen möchte, muss Zeit und Ausdauer mitbringen.

 

Der erste Kurs startete im Juni 2016 in Nürnberg. Das Konzept wurde vom Verein JSB e.V. in Kooperation mit dem Hospizverein Nürnberg entworfen. Welche Themenbereiche werden im Rahmen der Ausbildung angesprochen?

Bei der Erarbeitung des Kurses haben wir uns streng an die Vorgaben des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes gehalten. Es sind also die gleichen Schwerpunktthemen, die auch in den Kursen der „Hörenden“ behandelt werden:

·         Einführung in die Geschichte und Arbeit der Hospizdienste

·         Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen und Vorstellungen von Tod und Sterben

·         Kommunikation

·         Trauer, Spiritualität

·         Bedürfnisse und Ressourcen Sterbender und ihrer Angehörigen

·         psychosoziale Aspekte des Sterbens und der Sterbebegleitung und vieles mehr.

 

Diese Inhalte werden von erfahrenen Kräften aus der Hospizarbeit vermittelt, wie z. B. von Helga Beyerlein, der Leiterin der Palliativstation im Klinikum Nürnberg, den Palliativmedizinern Dr. Roland Hanke und Stefan Meyer, den Leiter der Hospizakademie Nürnberg. Darüber hinaus konnten wir auch die ehemalige Leiterin der Station für Gehörlose im Klinikum am Europakanal Erlangen Dr. Inge Richter (gehörlos) als Referentin für die Kurse gewinnen. Ebenfalls regelmäßig ist der Gründer der Gruppe „Pflegende Angehörige“ in München Achim Blage (gehörlos) dabei.

 

Wie lange dauert der Kurs? Gibt es auch eine Abschlussprüfung oder Urkunde?

Der Kurs ist über sieben Wochenenden konzipiert, samstags und sonntags jeweils 10:00-18:00 Uhr. Dazu kommt noch ein bis 15-stündiges Praktikum, in dem erlernte Inhalte angewandt werden. Es sollen ja auch die Erfahrungen des Praktikums in den Kurs einfließen und dort besprochen werden.

Wer dann an allen Wochenenden teilgenommen und das Praktikum absolviert hat, erhält ein Zertifikat, welches in allen Hospizvereinen in Deutschland anerkannt werden sollte.

 

Wer sind die Teilnehmer und woher kommen die Anmeldungen?

Bei Beginn des Projektes hatte ich sehr viele Anfragen aus ganz Deutschland, aus Österreich und auch aus der Schweiz. Der erste Kurs war so voll, dass ich einige Teilnehmer auf den nächsten Kurs, im nächsten Jahr in München vertrösten musste. Bei den nachfolgenden Kursen konnte ich vereinzelt Plätze auch an „Nicht-Bayern“ vergeben. Einige Teilnehmer haben sogar den langen Weg von Berlin auf sich genommen, um an dem Kurs mit zu machen.

Die TeilnehmerInnen sind überwiegend weiblich, was typisch im Hospizbereich ist. Auch die Pflege im privaten Bereich wird überwiegend von Frauen geleistet. Immerhin hatten wir in jedem Kurs, mindestens ein Mann dabei!

Ausgerichtet ist der Kurs ausschließlich auf Gehörlose beziehungsweise auf gebärdensprachliche Teilnehmer! Diese Kurse sind also nur für Menschen reserviert, die auf Gebärdensprache angewiesen sind. Für Interessenten ohne Hörbehinderung gibt es entsprechende Kurse in den lokalen Hospizvereinen.

 

Muss man bestimmte Vorkenntnisse haben? Gibt es auch eine Art „Aufnahmeprüfung?

Nein, es braucht überhaupt keine Vorkenntnisse. Die Teilnehmer sollen Interesse für Menschen, die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich ganz auf den anderen einzulassen, mitbringen. Es sind die wichtigsten Voraussetzungen für diese Arbeit. Jemand, der nicht gerne mit Menschen zu tun hat, sollte sich lieber ein anderes Ehrenamt suchen.

Um die Eignung für den Kurs abzuklären, gibt es nach der Anmeldung ein Aufnahmegespräch.

 

Was kostet der Kurs und wie wird er finanziert?

Für das dreijährige Projekt haben wir eine Gesamtsumme im 6-stelligen Bereich veranschlagt. Darin sind sämtliche Honorarkosten für Referenten, Dolmetscher und die Kursentwicklung und Projektdurchführung enthalten. Dank unseres Projektpartners AKTION MENSCH und der Unterstützung weiterer Förderer, wie dem Sparkassenverband Bayern und weiterer Stiftungen, konnten wir den Unkostenbeitrag für die Kursteilnehmer auf ein Minimum beschränken. Neben einer kleinen Kursgebühr müssen die Kursteilnehmer sich nur um ihre Verpflegung und Unterkunft selber kümmern.

 

Unser Hospiz Projekt läuft bis Ende Dezember 2018. Wir hoffen weitere Sponsoren zu finden, um weitere Aufbaukurse für Gehörlose anbieten zu können, wie zum Beispiel Trauerbegleitung oder die Ausbildung zum Hospizbegleiter im Kinderhospizbereich.

 

Bald findet der Bayerische Hospiz- und Palliativtag in Nürnberg statt. Sind die gehörlosen Hospizbegleiter hier auch willkommen?

Sehr sogar! Dieser Tag findet erstmals mit Gebärdensprachdolmetschern statt. Bisher hat sich schon ein großer Teil der bisher ausgebildeten gebärdensprachlichen Hospizbegleiter angemeldet.

 

Es geht hier um eine ehrenamtliche Tätigkeit mit Chancen und Herausforderungen …

Ja es handelt sich um eine ehrenamtliche Arbeit. Es ist also nicht eine Ausbildung im Sinne einer Berufsausbildung, mit der man dann Geld verdienen kann.

Aber in der Begleitung Sterbender, macht man viele Erfahrungen, die das eigene Leben bereichern. Es wird einem viel bewusster, wie wertvoll das Leben ist. Viele der ehrenamtlichen Hospizbegleiter sagen: „Wir bekommen viel mehr zurück als wir selber geben. Wir versuchen Menschen ihr Lebensende so schön wie möglich zu machen. Mit Ihnen diesen letzten Weg zu gehen. Und dabei können tiefe Freundschaften entstehen, weil mit einer Offenheit über Dinge gesprochen wird, die für solche Extremsituationen typisch ist.

Bei der Hospizbegleitung muss man auch sehr, sehr gut auf sich selber achten. Nur wenn es mir selber gut geht, kann ich auch andere gut begleiten.

 

Wo und wie werden die ausgebildeten Hospizhelfer in der Praxis tätig?

Das große Ziel ist es, ganz Bayern mit einem Netz von Hospizbegleitern abzudecken. Leider ist das Gebiet um Regensburg und Passau noch unbesetzt. Wir hoffen, dass es sich im Zukunft ändert. Wenigstens in den Großräumen Würzburg, Nürnberg und München sind Begleitungen möglich, da unsere Ehrenamtlichen bereit sind, auch größere Wege auf sich zu nehmen. Das ist eine tolle Sache!

 

Es sind schon einige Begleitungen abgeschlossen worden. Denkbar ist auch, dass unsere gehörlosen Hospizbegleiter auch im hörenden Bereich eingesetzt werden. So zum Beispiel an den Stellen, wo Kommunikation nicht mehr möglich ist, wo es aber darum geht, einen Menschen im Sterbeprozess nicht allein zu lassen.

 

 

 

Vielen Dank für das Interview!

Text: Judit Nothdurft

Foto: Iris Feneberg

 

 
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