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Experten-Interview Februar 2019



Kinoerlebnis für Blinde und Gehörlose

 

Das Berliner Start-up Greta & Starks hat eine Lösung entwickelt, um Blinden, Schwerhörigen und Gehörlosen barrierefreie Kinobesuche zu ermöglichen. Dazu habe ich Seneit Debese, Firmeninhaberin und Geschäftsführerin, interviewt.

 

Frau Debese, wie kamen Sie auf die Idee, Greta & Starks App zu entwickeln?

Ich komme aus dem Verleihbereich. Damals habe ich an einer Dokumentation mitgewirkt, die von der blinden Paralympics Läuferin Kidisti handelte. Wir kamen bei den Dreharbeiten ins Gespräch und Kidisti erzählte mir, dass sie viele sehende Freundinnen habe, mit denen sie in der Freizeit vieles unternehme. Nur am Kinoerlebnis könne sie nicht teilhaben, da sie beim Film nicht alles verstehe, da zusätzliche Beschreibungen fehlen.

Obwohl die zusätzlichen Bildbeschreibungen (Audiodeskription) für blinde und für gehörlose Filmfans die HoH-Untertitel schon vorhanden waren, gab es keinen individuellen Zugangsmöglichkeit.

 

Das hat mich schockiert! Wir sind doch schließlich schon in der Lage zum Mond zu fliegen, aber so etwas scheinbar Einfaches, wie barrierefreies Kinoerlebnis für Menschen mit Seh- und Hörbeeinträchtigungen gab es nicht. Das wollte ich ändern und so entstand die App Greta!

 

Woher kommt die Namensgebung?

Ich wollte einen Namen, der an Kino erinnert: Greta wie Greta Garbo und Starks wie Tony Starks. Ich wollte extra keinen rein technischen Namen, wie Untertitel-Player oder dergleichen. Schließlich macht Kino Spaß und so sollte auch die App einen Namen haben, der ans Kino erinnert.

Unseren Anwendern macht der Name auch Freude, da er weniger technisch ist. Es ist wie ein persönlicher Kinobegleiter, der einem den Lieblingsfilm zugänglich macht und den vollen Filmspaß ermöglicht. Daher kriegen wir immer viele Rückmeldungen wie „Ich war gestern mit Greta im Kino und es war große klasse!“

 

Können Sie und kurz erklären, wie die App funktioniert und was sie kostet?

Die App kann sich jeder im AppStore oder bei GooglePlay kostenlos herunterladen. Nach der Registrierung wählt man die gewünschten Filmfassungen (Audiodeskription, Untertitel usw.) und bekommt man die individuelle Filmauswahl angezeigt. Dort kann sich jeder seinen Wunschfilm aussuchen und kostenlos herunterladen. Das war’s!

Danach kann man ins Kino seiner Wahl gehen, auf Abspielen klicken und den Rest erledigt Greta. Die App synchronisiert sich selbständig zum Filmton und spielt die richtige Stelle der Audiodeskription oder Untertitel ab.

Die App funktioniert in jedem Kino, zu jeder Spielzeit und natürlich offline. Auch zu Hause kann man bei DVD, Blu-ray oder Streamingdiensten Greta nutzen. Mit Greta ist der volle Filmspaß überall und jederzeit ganz unabhängig möglich.

 

Erstellen Sie die Audiodeskription und die Untertitelung selbst oder übernehmen Sie, was bereits vorhanden ist?

Wir selbst erstellen nicht die barrierefreien Fassungen, das überlassen den Experten. Wir bekommen sie von den Rechteinhabern angeliefert, laden sie in unsere Datenbank und die App. Unsere Mitarbeiter testen natürlich alles gründlich, informieren die Nutzer und auch die Kinos über das jeweilige Angebot. Die Erstellung der barrierefreien Fassungen vorab ist zeitintensiv, von unserer Seite aus geht das Einpflegen der Filme recht schnell.

 

Wer bezahlt diese Serviceleistung?

Wir werden von den Rechteinhabern (Verleih, der TV-Sender, Festival usw.) beauftragt und bezahlt, die Fassungen in der App verfügbar zu machen. Diese Bereitstellungskosten sind förderfähig. Zudem gewinnt z.B. der Verleih durch unseren Service natürlich auch mehr Zuschauer für seinen Film.

 

Nach welchen Kriterien werden die Filme für die App ausgewählt?

Wir treffen keine besondere Filmauswahl. Am liebsten würden wir alle Filme bereitstellen, damit alle die volle Filmauswahl nutzen können.

In Deutschland schreibt das Filmfördergesetz vor, dass alle deutschen (Ko-)Produktionen, die gefördert wurden, auch die barrierefreien Fassungen zum Kinostart vorweisen müssen. Das ist Pflicht!

Das Gesetz greift aber nicht bei internationalen Filmen. Aber hier gibt es viele Verleiher, die sehr engagiert sind, wie Universal und Disney. Diese Verleiher lassen freiwillig auch die internationalen Blockbuster mit Audiodeskription und Untertitel versehen und machen diese über Greta zugänglich. Das finden wir ein großartiges Engagement!

 

Alle können aktiv die Filmauswahl mitgestalten, indem sie uns die persönlichen Filmwünsche senden. Diese leiten wir immer weiter an den jeweiligen Verleih und das macht bei denen auch mächtig Eindruck. Auf diese Weise konnten wir schon einige Filme für Greta gewinnen. Wir können uns super für die Filmwünsche einsetzen, aber natürlich nicht allein für die User sprechen, was er oder sie gerne als Nächstes im Kino erleben möchte.

 

Wie wird das Untertitelangebot von Schwerhörigen und Gehörlosen angenommen?

Das Angebot wird super aufgenommen!

 

Audiodeskription und Untertitel werden ca. gleich viel genutzt. Wir wissen natürlich, dass es nicht optimal ist, immer zwischen Handybildschirm und Kinoleinwand hin-und herzuschauen. Einige Kinos haben für den Übergang auch spezielle Schwanenhalshalterungen. Dort kann man das Handy einklemmen und hat wieder beide Hände frei fürs Popcorn essen.

 

Um das Kinoerlebnis noch komfortabler zu gestalten arbeiten wir schon länger an dem Starks Augmented Reality Headset (Datenbrille), was die Untertitel gefühlt auf die Leinwand projiziert. Es ist einfach im Kino ausleihbar. Das ist natürlich die optimale Lösung und auch die Kinobranche ist davon begeistert.

Wir bekommen direkt von den Untertitel-Usern die Rückmeldung, dass auch sie natürlich am liebsten das Starks AR Headset nutzen wollen, dass es aber in der Zwischenzeit trotzdem ein großer Gewinn ist, überhaupt mit den Freunden ins Kino gehen zu können.

 

Wird das Tablet oder das eingeschaltete Handy-Display von anderen Zuschauern nicht als störend empfunden?

Bei der Audiodeskription kann man das Smartphone natürlich einfach weglegen. Bei den Untertiteln ist der Bildschirm ganz schwarz gehalten und wir empfehlen immer, die Bildschirmhelligkeit auch niedrig zu schalten. Dadurch strahlt der Bildschirm wirklich minimal Licht aus und andere Zuschauer werden so nicht gestört.

Wir arbeiten eng mit den Kinobetrieben in ganz Deutschland zusammen. So haben wir ein großes Netz an engagierten Kinos, die unser Werbematerial auslegen und auch unseren Kinotrailer zeigen.

 

Es ist uns enorm wichtig, dass alle sehenden und hörenden Kinobesucher aufgeklärt werden und Bescheid wissen, warum der Sitznachbar sein Smartphone im Kino nutzt.

 

Wie viele Filme haben Sie bereits auf der App und wie viele Kinobesucher haben die App benutzt?

Insgesamt konnten wir schon über 500 Filme zugänglich machen, stetig kommen mehr und mehr Verleiher, Sender und Festival dazu. Durch Greta wurden schon fast eine halbe Million Kinobesuche ermöglicht. Und das ist nur die Zahl, wie oft Kinofilme mit der App erlebt wurden!

 

Geteilte Kinofreude ist natürlich am schönsten und oft bekommen Rückmeldungen, dass endlich die Familie zusammen wieder ins Kino gehen kann, da jetzt z.B. die Mutter durch Greta wieder alles vom Film versteht.

 

Sie arbeiten nicht nur mit Verleihern zusammen, sondern sind auch auf Festivals vertreten

Ja genau, viele Filmfestival engagieren sich ebenfalls und wollen die Kinotore auch Menschen mit Seh- und Hörbeeinträchtigungen öffnen. Das DOK Leipzig Filmfestival ist das Leuchtturmprojekt und macht jedes Jahr 30 Kurz- und Langfilme extra barrierefrei zugänglich.

Aber auch andere Festivals in Deutschland, Österreich und der Schweiz, wie Max-Ophüls-Preis, Berlinale, Diagonale, Solothurner Filmtage etc., engagieren sich. Filmfestivals sind von der Atmosphäre natürlich etwas ganz Besonderes und wir freuen uns, den Anwendern auch solch exklusiven Events zu ermöglichen.

 

Woran arbeiten Sie zur Zeit? Haben Sie noch weitere technische Entwicklungen auf dem Plan?

Neben dem Starks AR Headset arbeiten wir momentan an vielen verschiedenen Stellen, damit barrierefreies Kino mit Greta das Rundum-Glücklich-Paket wird. Wir testen gemeinsam mit dem Schwerhörigen-Verein Berlin e.V. die Hörverstärkung fürs Kino, sodass schwerhörige Kinofans, die nicht die Untertitel benötigen, den verstärkten Filmton nutzen können.

Außerdem wollen wir Gebärdensprachvideos für Kinofilme ermöglichen, damit die Filme nicht nur mit Untertitel versehen werden, sondern auch in Gebärdensprache einfach übersetzt sind.

 

Wir wollen voll inklusives Kino für alle Filme ermöglichen, sodass alle gemeinsam im Kino über denselben Witz lachen können, sei es durch Audiodeskription, Hörverstärkung oder durch das Gebärdensprachvideo des Films.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Frank Blümler

 

 
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