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Experten-Interview März 2011



Deaflympics abgesagt - wie geht es jetzt weiter?

 

Eine Woche vor der Eröffnungsfeier wurden die Winterdeaflympics abgesagt. Enttäuschte, schockierte Sportler und Funktionäre mussten die Rückreise antreten. Wie erging es der deutschen Mannschaft, fragte ich Herrn Peter Fiebiger, den Vizepräsidenten des DGS.

 

Judit Nothdurft: Wann und wie hat die deutsche Mannschaft von der Absage erfahren?

Peter Fiebiger: Die gesamte deutsche Mannschaft des DGS stand praktisch schon in den Startlöchern. Die Anreise war bis ins kleinste Detail geplant und vorbereitet. Volkswagen hatte schon die Busse zum Transport bereitgestellt, da erreichte uns am späten Freitagnachmittag des 11. Februar die Meldung des ICSD und damit verbundene Absage der 17. Winter-Deaflympics. 

 

Wie groß wäre die deutsche Delegation gewesen?

Peter Fiebiger: Die Delegation des DGS bestand für die 17. Winter-Deaflympics nur aus der Ski-Nationalmannschaft Alpin mit 7 männlichen Rennläufern und einer weiblichen Athletin,. dazu noch der Trainerstab mit Physiotherapeutin und Servicemann. Von der Verbandsführung wären 3 Personen als Delegationsleitung sowie Kongressteilnehmer dabei gewesen. Also insgesamt 15 Personen.

 

Bereits im April 2010 hat die Slowakei die Winterspiele abgesagt. Es folgte eine Inspektionsreise im Mai 2010 und dann hieß es, dass die Winterdeaflympics doch stattfinden werden. Ein Hin und Her war also schon im Vorfeld zu beobachten. Jeder fragt jetzt nach den Schuldigen. Hat hier auch das internationale Deaflympics-Komitee versagt?

Peter Fiebiger: Ja das ist richtig, aber nicht die Slowakei hatte im April 2010 abgesagt, sondern der ICSD hatte der Slowakei die Ausrichtung entzogen. Zu diesem Zeitpunkt hätten 2011 also keine Winter-Deaflympics stattfinden können. Da aber viele Nationen schon mit ihren Vorbereitungen fortgeschritten waren, z.B. wurden finanzielle Mittel beantragt und bereits bewilligt, teilweise schon die Ausrüstungen gekauft oder Flüge gebucht, wurde das ICSD nochmals gebeten mit den Verantwortlichen in der Slowakei zu sprechen und zu verhandeln. Ziel sollte es sein, die Spiele in der Slowakei zu retten. Nach einer erneuten Inspektionsreise von Mitgliedern des ICSD wurde doch wieder grünes Licht gegeben. Die Winter-Deaflympics sollten mit einem abgespeckten Programm und verringerten Budget doch durchgeführt werden. Welche Garantien das ICSD und sein Inspektionsteam vom slowakischen Organisator erhalten haben, ist z.Zt. noch nicht bekannt. Ich denke, der nächste Kongress wird eine schonungslose Aufklärung verlangen und auch erhalten müssen.

 

Inzwischen wurde auch Jaromir Ruda verhaftet…..

Peter Fiebiger: An Spekulationen hinsichtlich einer Verhaftung und der damit verbundenen Schuldzuweisung möchte ich mich nicht beteiligen. Das ICSD und der slowakische Gehörlosen-Sportverband wussten schließlich auf wen sie sich mit der Person Ruda einließen. Man muss hier die Entwicklung abwarten. Die slowakischen Behörden arbeiten an der Aufklärung verschiedener Sachverhalte. Schließlich ist es ja auch eine Blamage für den Staat Slowakei.

 

Ein Jahr lang trainiert man hart, gezielt und dann diese Absage? Wie kann man so was als Sportler verarbeiten?

Peter Fiebiger: Da bin ich zwar der verkehrte Ansprechpartner, aber ich kann zumindest aus meiner Sicht der Öffentlichkeitsarbeit für den DGS sagen, dass sich insbesondere im Skisport eine Menge Positives getan hat. Seit über einem Jahr arbeiten die Skisportler nun mit einem neuen Trainergespann, das viel professionellere Strukturen und Maßnahmen in der Trainingsarbeit eingebracht hat. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Material, Technik, Kondition wurden stark verbessert, somit stieg auch die Motivation jedes Einzelnen dort in der Slowakei erfolgreich abzuschneiden. Das ist nun mit der Absage alles zunichte gemacht worden. Für die Winter-Deaflympics, die nun mal alle 4 Jahre nur stattfinden, gibt es keinen Ersatz. Die Skimannschaft stand ohnehin im Zeichen des Umbruchs. Sportler wie Nadja Vonthein, Philipp Eisenmann und Matthias Becherer waren schon lange im Skizirkus dabei. Gerade sie haben sich nochmals gesteigert und wollten den Lohn dafür einstreichen, um dann eventuell abzutreten. Für die Jüngeren der Mannschaft wäre es eine Bewährungsprobe, für den einen oder anderen vielleicht der Durchbruch zur Spitze gewesen. Jetzt stehen sie vor dem Nichts!

 

Einige Sportler hätten an diesen Spielen altersbedingt zum letzten Mal teilnehmen können. Wie findet man tröstende Worte für diese Sportkameraden?

Peter Fiebiger: Nur sehr schwer, denn wie gesagt, die nächsten Winterspiele finden regulär erst 2015 wieder statt. Ich denke nicht, dass sie nochmals 4 Jahre dranhängen werden. Aber vielleicht sind die kommenden Europameisterschaften 2012 wenigstens ein kleines Trostpflaster. Der DGS kann sich nur bei den älteren Teammitgliedern bedanken, dass sie trotz der höheren Belastung engagiert mitgemacht haben. Für Matthias Becherer war es nach seiner Verletzung im letzten Jahr bestimmt nicht leicht noch einmal den Anschluss zu finden. Auch Nadja Vonthein mit der Doppelbelastung Spitzensportlerin und Mutter hat sehr professionell gearbeitet. Allen gilt ein großes Lob, das sich leider nicht in Medaillen zeigt.

 

Neben der moralischen Enttäuschung gab es wahrscheinlich auch finanzielle Verluste durch die Stornierungen (Hotels, Reisekosten usw.). Wie sieht es beim Deutschen Gehörlosen Sportverband und bei den einzelnen Sportlern aus?

Peter Fiebiger: Gott sei Dank hat sich unser Hauptgeldgeber, das Bundesministerium des Inneren sehr verständnisvoll gezeigt, so dass dem DGS  nur ein Imageschaden bleiben wird. Natürlich ist der Verband seit der Absage sehr bemüht gewesen, den finanziellen Schaden für den Steuerzahler möglichst gering zu halten. Die Mitarbeiter der Geschäftsstelle, sowie auch das Präsidium haben schnell reagiert und die notwendigen Schritte wie Stornierungen ausgelöst. Z.Zt. kann man von einem geringen Schaden, jedenfalls aus deutscher Sicht sprechen. Andere Länder, zum Teil mit größeren Mannschaften, waren bereits angereist. Hier ist der Schaden noch höher.

Positiv ist die Regelung der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Alle Sportlerinnen und Sportler haben trotz der Absage ihre finanzielle Unterstützung für den Trainingsaufwand erhalten. Auch die Trainer, Physiotherapeuten und Betreuer konnten in dem Maße entschädigt werden, als wären sie dabei gewesen. Schließlich sind es Honorarkräfte, die sich für den Verband 14 Tage engagieren wollten.

 

Werden jetzt Schadenersatzforderungen gegenüber den Veranstaltern gestellt?

Peter Fiebiger: Ja, das sind wir schon unserem Geldgeber BMI gegenüber verpflichtet. Unser Generalsekretär Winfried Wiencek ist z.Zt. mit einer differenzierten Aufstellung beschäftigt, die über das BMI an den Veranstalter ICSD und auch an den slowakischen Organisator gerichtet wird. Ob diese Forderung auch erfüllt werden kann, wird sich zeigen.

 

Die Sponsoren, die Sie und Ihre Kollegen mit viel Mühe gefunden haben, jubeln bestimmt auch nicht gerade. Welche Auswirkungen hat so eine unverschämte Absage für zukünftiges Sponsoring?

Peter Fiebiger: Auch hier ist dem DGS zumindest ein Vertrauensschaden entstanden. Dem DGS stehen ohnehin nicht reihenweise Sponsoren und Förderer zur Seite. Einige Unternehmen wie Volkswagen sind schon lange dabei und kennen bereits die Besonderheiten des Gehörlosensports. Auch für sie war die Absage unverständlich, aber wenigstens ohne negative Folgen für den Verband.

Extra für die Winter-Deaflympics haben wir einen neuen Sponsor, Varta Microbattery gewinnen können. Die Firma hat auch nach außen mit ihrer Sponsoreigenschaft geworben. Hier ist es schwer für das geplatzte Sponsoring Verständnis zu finden und ihr Einsatz war umsonst.. Als „Entschädigung“ haben wir Varta sofort ein Ersatzangebot unterbreitet, schließlich ist der DGS doch ein leistungsstarker Verband.

 

Wie kann man Ihrer Meinung nach verhindern, dass sich ein solches Desaster wiederholt?

Peter Fiebiger: Hier ist ganz klar das ICSD gefordert und ich denke, es wird auch personelle Konsequenzen geben müssen. So leichtfertig wie hier das ICSD gehandelt hat, kann es in Zukunft nicht weitergehen. Mehr Transparenz in den Vorbereitungen, Offenlegung von Garantien und ein professionelles Veranstaltungsmanagement müssen einfach Standards sein, um eine Wiederholung einer so blamablen Absage zu verhindern.

 

Wie geht es jetzt weiter? Werden die Winterspiele möglicherweise nachgeholt? Wenn ja, wo?

Peter Fiebiger: Gerüchte gibt es schon, aber noch keine konkreten Vorschläge. Russland oder die Ukraine haben wohl angeboten, noch in diesem Jahr, vielleicht im Dezember 2011 eine Art Ersatzveranstaltung zu organisieren. Ich bin mir sicher, dass diese Länder in der Lage wären einzuspringen. Aber es hängt auch davon ab, dass viele Länder neue Finanzierungen beantragen müssen usw. Wenn ja, wäre es schön, aber auch nur ein Ersatz mit möglicherweise weniger Teilnehmerländern. Welchen sportlichen Wert dieses hat, weiß ich z.Zt. nicht.

 

Es ist schon sehr lange her, seit 1967 die Winterdeaflympics in Berchtesgaden waren. Können Sie sich vorstellen, die Winterspiele wieder nach Deutschland zu holen?

Peter Fiebiger: Deutschland bzw. der DGS hat schon zwei Mal, 1955 in Oberammergau und 1967 in Berchtesgaden, die Winter-Deaflympics ausgerichtet. Damals waren die Veranstaltungen viel kleiner und einfacher zu organisieren. Meines Wissens gab es damals nur Ski-Wettbewerbe Alpin und Langlauf. Ein Novum war 1967 der Wettbewerb im Skispringen. Heute ist der Rahmen mit Curling, Eishockey und Snowboard viel größer, auch was die finanziellen Voraussetzungen betrifft. 2015 finden die Winter-Deaflympics in Vancouver/Kanada statt. Erst 2019 hätte theoretisch der DGS eine Chance zur Bewerbung. Beim ICSD Kongress 2013 in Athen wird wohl die nächste Vergabe der 19. Winter-Deaflympics 2019 entschieden. Man hätte noch 2 Jahre Zeit um eine ordentliche Bewerbung zusammenzustellen. Sicherlich nach einer gelungenen Winterolympiade und Paralympics 2018 in München ein besonderer Anreiz. Aber hier wäre wohl die etwas jüngere Generation gefordert. Vielleicht sogar Athleten, die dieses Jahr so enttäuscht das Kapitel „17. Winter-Deaflympics“ abschreiben mussten.

 

Dann wollen wir hoffen, dass die jüngere Generation sich hier für engarieren wird und vielen Dank für das Interview!

 

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Peter Fiebiger

 
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