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Experten-Interview Oktober 2019



Als roter Faden durch die Ausstellung - die UN-Behindertenrechtskonvention

 

Das Erlanger Stadtmuseum ist eines der ersten Ausstellungshäuser bundesweit, das sich thematisch und umfassend mit „Behinderung“ auseinandersetzt. Brigitte Korn, Museumsleiterin, gibt uns einen Einblick in die Ausstellung.

 

Frau Korn, woher kam die Idee zur Ausstellung?

Brigitte Korn: Die Stadt Erlangen misst Barrierefreiheit und Inklusion seit Jahrzehnten große Bedeutung bei, seit 2017 ist die Stadt eine von deutschlandweit fünf Modellkommunen der „Aktion Mensch“-Initiative „Kommune Inklusiv“.

Die Ausstellung „BarriereSprung“ versteht sich als Beitrag zu den Inklusionsbemühungen der Stadt. Wir fragen nach dem bisher Erreichten und bestehenden Herausforderungen, möchten Vorbehalte abbauen und Räume für Begegnungen schaffen. Ein roter Faden, der sich durch die Ausstellung zieht, ist die UN-Behindertenrechtskonvention, die vor zehn Jahren von Deutschland ratifiziert wurde und künftige Inklusionsziele formuliert.

 

Wer hat Ihr Team unterstützt, um die Ausstellung fachlich kompetent realisieren zu können?

Wir haben uns während der Arbeit an der Ausstellung mit vielen Behindertenverbänden sowie Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen ausgetauscht. Zu unseren Kooperationspartnern gehören etwa der Gehörlosenverein Erlangen, die Aktion Mensch und die Lebenshilfe Erlangen. Sie haben, die uns ihr reichhaltiges Fachwissen, aber auch spannende Exponate zur Verfügung gestellt haben. Finanziell gefördert wurde das Ausstellungsprojekt durch den Bezirk Mittelfranken und den Kulturfonds Bayern.

 

Wie groß ist die Ausstellung?

Die Ausstellung hat drei Teile. Wir beginnen in der Gegenwart und nehmen zunächst einmal Begriffe wie „Barriere“ und „Normalität“ in den Blick, um das komplexe Thema Behinderung, manchmal auch augenzwinkernd, aus heutiger Perspektive auszuloten.

Anschließend unternehmen wir einen Streifzug durch fünf Jahrhunderte. Die Ausstellung soll zeigen, welche Vorstellungen von Behinderung in der Vergangenheit existierten. Dabei werden die von Glaube und Aberglaube geprägten Vorstellungen des Mittelalters ebenso beleuchtet wie neuartige Bildungsangebote für Blinde, „Taubstumme“ und „lernschwache Kinder“ ab dem 19. Jahrhundert oder die Wiedereingliederung sogenannter „Kriegskrüppel“ nach dem Ersten Weltkrieg. Eine tiefe Zäsur im Umgang mit behinderten Menschen in Deutschland bedeutet die Vernichtung sogenannten „lebensunwerten Lebens“ in der Zeit des Nationalsozialismus.

Im dritten Teil der Ausstellung sind wir wieder in der Gegenwart angelangt. Hier stehen rund 15 Filmbeiträge im Mittelpunkt, in denen Menschen mit Behinderungen aus Erlangen und der Region selbst zu Wort kommen und Einblick in ihre Lebenswelt geben.

 

Es gibt auch interaktive Stationen. Was kann man hier ausprobieren?

Nicht nur für Kinder ist es aufschlussreich, eine Beeinträchtigung zumindest ansatzweise nachvollziehen zu können. Daher gibt es bei Führungen die Gelegenheit, sich mit Augenbinde und Taststock durch die Ausstellung zu bewegen und dabei völlig neue Eindrücke zu gewinnen. So können unsere Besucher beispielsweise die Kommunikation mit Brailleschrift ausprobieren – und zwar mithilfe von Eierkartons, deren Abteilungen dem Sechspunkteraster der Punktschrift entsprechen. Auch die Verständigung mit dem Fingeralphabet oder der Gebärdensprache ruft großes Interesse hervor, zum Beispiel, wenn es darum geht, für sich selbst eine Namensgebärde zu finden.

 

Inwieweit ist die Ausstellung barrierefrei?

Für Menschen im Rollstuhl ist unser Stadtmuseum bereits seit fast 30 Jahren barrierefrei. Bei der Ausstellung „BarriereSprung“, die auch Personen mit anderen Beeinträchtigungen zugänglich sein sollte, mussten wir noch einmal völlig neue Wege gehen.

Wir haben ein Bodenleitsystem eingerichtet, das blinde und sehbehinderte Menschen die Orientierung erleichtert. Beschriftungen sind als Braille- und Pyramidenschrift tastbar, die übrigen Texte kann man sich maschinell vorlesen lassen. Alle Haupttexte wurden zudem in Leichte Sprache übersetzt, um sie einem möglichst breiten Personenkreis verständlich zu machen.

Leider war es aus technischen und finanziellen Gründen nicht möglich, die Texte auch in Gebärdensprache (DGS) zu übertragen. Wir bieten aber mehrere Führungen in DGS an. Der nächste reguläre Rundgang in DGS findet am Sonntag, den 3. November um 11 Uhr statt. Eine Anmeldung hierfür ist nicht erforderlich, die Teilnahme kostet 2,50 € zuzüglich zum Museumseintritt (4 €, ermäßigt: 2,50 €).

 

Was wird in der zweistündigen Führung mit Gebärdensprachdolmetscher gezeigt?

Der Rundgang gibt einen Einblick in die gesamte Ausstellung und rückt dabei ausgewählte Exponate in den Fokus. Gezeigt werden zum Beispiel historische Prothesen und „Therapiemaschinen“ zur Behandlung „Geisteskranker“, die den Stand der medizinischen Versorgung in ihrer jeweiligen Zeit widerspiegeln. Aber auch aktuelle Produkte der Spielzeugindustrie sind zu sehen, wie eine Barbie-Puppe im Rollstuhl, die vor Augen führt, dass das Thema Behinderung im Alltag angekommen ist – und sogar vermarktet wird.

 

Was könnte für hörbehinderte / gehörlose Besucher besonders interessant sein?

Im historischen Teil der Ausstellung behandeln wir die Entstehung der Nürnberger „Kreis-Taubstummen-Anstalt“ im 19. Jahrhundert. Das imposante Gebäude, das bis heute existiert, zeigt, welche Bedeutung man dem Unterricht gehörloser Menschen, die wenige Jahre zuvor noch als „bildungsunfähig“ galten, beimaß.

Die Unterrichtsmethoden haben sich seitdem natürlich gewandelt, vor allem, da der Gebrauch der Gebärdensprache in der Schule lange Zeit untersagt war.

 

Welcher Altersklasse empfehlen Sie, die Ausstellung zu besuchen?

Prinzipiell richtet sich die Ausstellung an alle Altersklassen. Schulen empfehlen wir den Besuch ab der 3. Jahrgangsstufe.

 

Gibt es Angebote, die speziell für Kinder besonders interessant sind?

Neben Kinderführungen und Kindergeburtstagsfeiern, die jederzeit gebucht werden können (E-Mail: stadtmuseum@stadt.erlangen.de) veranstalten wir Aktionstage mit besonderen Angeboten. Zur „Langen Nacht der Wissenschaften“ am 19. Oktober bieten wir ab 14 Uhr ein umfangreiches Kinderprogramm mit Ausstellungsrundgängen, Rollstuhlparcours, Kletterturm und vielen Mitmach-Aktionen.

 

Wie sind die Besucherreaktionen?

Die Reaktionen sind äußerst positiv. Viele Besucherinnen und Besucher, ob mit oder ohne Beeinträchtigung, sind verblüfft von der enormen Vielfalt des Themas. Die Resonanz zeigt, dass es uns erfreulicherweise gelungen ist, Berührungsängste mit einer vermeintlich „schwierigen“ Materie abzubauen. Die vertiefte Auseinandersetzung mit Behinderung führt dann oftmals zu der Erkenntnis, dass Inklusion uns alle angeht, da letztlich jeder Mensch davon profitiert oder in Zukunft davon profitieren könnte.

 

Kann man eine DGS Führung auch zu anderen Terminen buchen, zum Beispiel wenn Schulklassen oder Gruppen, die Ausstellung besuchen möchten?

Ja, auch das ist möglich. Interessierte Gruppen sollten sich auch in diesem Fall mindestens zwei Wochen vor dem gewünschten Termin anmelden (E-Mail: stadtmuseum@stadt.erlangen.de), damit wir Gebärdensprachdolmetscher organisieren können.

 

 

Text: Judit Nothdurft

Bild: Erich Malter

 

 
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