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Experten-Interview April 2020



Gebärdensprachliche Unterstützung im Notfall

Am 01.04.2020 startete das Projekt „Gebärdensprachliche Notfallunterstützung“ in Erlangen und Umgebung. Hierzu habe ich den Initiator des Projektes Kai Bartholomeyczik interviewt.

 

Herr Bartholomeyczik, was genau ist das Ziel der „Gebärdensprachlichen Notfallunterstützung“?

Kai Bartholomeyczik: Die Gebärdensprachliche Notfallunterstützung soll zwischen Hörenden und Hörgeschädigten mittels der Deutschen Gebärdensprache (kurz: DGS) die Kommunikation ermöglichen, falls kein Gebärdensprachdolmetscher für eine Notsituation zur Verfügung steht. Wir wollen Menschen in unvorhersehbaren Situationen unterstützen. Niemand soll allein gelassen werden.

 

Worin genau besteht die Hilfestellung der Kommunikationshelfer?

Durch eine Person, mit der man sich ordentlich verständigen kann, ist schon viel geholfen. Jeder, der schon einmal in einer Notsituation war, wird mir zustimmen, dass man jemanden braucht, der einen versteht oder bestimmte Dinge erklären kann. Wir als Gebärdensprachliche Notfallunterstützung sind vielleicht manchmal die letzte Rettung für die gemeinsame Verständigung.

 

Wer kann diese Unterstützung in Anspruch nehmen? Wie und wo?

Jede offizielle Einrichtung, wie z.B. Krankenhäuser, medizinische Notfallpraxen, Polizei, Feuerwehr usw., kann uns verständigen, wenn bei einem Einsatz hörgeschädigte Personen beteiligt sind.

 

Egal ob die Person selbst betroffen ist oder die hörgeschädigten Personen, Angehörige eines Verletzten, Patienten etc. sind. Der Begriff „Notfall“ ist hier ganz wichtig. Nur weil ich mit einem verstauchten Finger ins Krankenhaus gehe, bedeutet das nicht, dass es ein Notfall ist. Generell ist alles, was planbar ist, kein Grund uns zu rufen. Wir behalten uns auch das Recht vor, Einsätze abzulehnen, wenn kein Notfall vorliegt.

 

Die Städte Nürnberg und Fürth sind in der Nähe, können die Übersetzer dort auch zur Hilfe gerufen werden?

Aktuell leider nicht. Wir haben das Pilotprojekt in Zusammenarbeit zwischen dem BRK Erlangen-Höchstadt und der Feuerwehr Erlangen begonnen. Aus organisatorischen und versicherungstechnischen Gründen ist derzeit ein Einsatz nur in Erlangen und im Landkreis Erlangen-Höchstadt möglich.

Wir wollen aber den Service für die Nachbarstädte in Zukunft gerne ausbauen. Dazu benötigen wir nur mehr Helfer und logistische Unterstützung von den dort ansässigen Einrichtungen. Wir hoffen, dass unsere Initiative Nachahmer finden wird oder andere Städte unserem Beispiel folgen.

 

Wodurch sind Sie auf diese Idee gekommen und wie lang war der Weg bis zur Realisierung?

Die Idee für das Projekt entstand tatsächlich schon im Dezember 2017, als ich während meiner Freizeit einen Anruf erhielt.

Ein guter Bekannter aus dem Rettungsdienst bat um meine Hilfe. Er erzählte mir, dass eine gehörlose Mutter im Krankenhaus sei, deren Kind mit einer lebensbedrohlichen Verletzung notoperiert wird. Allerdings war an diesem Freitagnachmittag kein Gebärdensprachdolmetscher erreichbar. Die Frau war total verzweifelt und niemand konnte ihr die Situation erklären. Ich konnte zum Glück vor Ort entsprechend helfen und sowohl die Mutter, wie auch die Ärzte und Klinikpersonal beruhigen. Im Verlauf des Abends gab es noch weitere Informationen auszutauschen. Ich musste noch zweimal für beide Seiten per Videochat übersetzen.

Ich hatte danach das Gefühl, dass ich beiden Seiten viel seelische Last von den Schultern genommen habe. Trotz der belastenden Situation konnte die gehörlose Frau am Ende des Tages kurzzeitig wieder ein bisschen lächeln.

 

Noch in dieser Nacht kam mir der Gedanke, etwas zu machen, damit so eine belastende Situation nicht wieder entstehen kann. Ich wollte einen entsprechenden Dienst organisieren, der in solchem Notfall hilft.

Allerdings stellte ich fest, dass man bestimmte rechtliche und organisatorische Regeln einhalten muss. Hier fand ich beim BRK Erlangen, wo ich ehrenamtlich im Rettungsdienst tätig bin, und der Feuerwehr Erlangen zwei tatkräftige Organisationen, die mir sehr geholfen haben. Diese beiden Stellen haben viel zu der Verwirklichung des Projektes beigetragen!

 

Wie groß ist Ihr Team momentan und wer sind die Kollegen?

Aktuell sind wir, mich mitgerechnet, 6 Personen. Zwei weitere Helferinnen haben sich aktuell „beworben“. Wir alle sind keine amtlichen Dolmetscher, sondern haben uns aus verschiedenen Gründen mit der Deutschen Gebärdensprache beschäftigt und können uns entsprechend mittels der DGS verständigen. Wir sind fast alle erwerbstätig und zwar in verschiedenen Berufen. Außer mir persönlich arbeitet niemand beim Rettungsdienst, wohl aber in sozialen Berufen (z.B. Erziehungsberufen).

 

Inwieweit wurden die Einsatzkräfte, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste über diesen Unterstützungsdienst informiert?

Für die entsprechenden Einrichtungen in Erlangen und dem Landkreis fand am 03.03.2020 im Rathaus Erlangen eine Informationsveranstaltung statt. Hier wurden grundlegende Informationen zu dem Projekt bekannt gegeben. Des Weiteren haben wir Flyer drucken lassen, die in den nächsten Tagen bei den öffentlichen Einrichtungen ausgelegt werden. Auch über die Sozialen Medien und das Internet werden wir den Service weiter bewerben.

 

Wie ist der Ablauf im Ernstfall?

Wird die Notfallunterstützung benötigt, dann muss sich die anfordernde Einrichtung (z. B. das Krankenhaus) an die Rufnummer 0 91 31 / 86 25 12 wenden. Es meldet sich dann die Erlanger Feuerwehr. Sie rufen dort an und schildern, wo und warum sie uns brauchen. Die Feuerwehr alarmiert dann über ein Alarmierungssystem die ehrenamtlichen Helfer. Einer dieser Helfer nimmt dann mit der anfordernden Stelle Kontakt auf und klärt Weiteres ab.

Wichtig: Es muss vorher zwingend versucht worden sein, einen amtlich bestellten Dolmetscher zu erreichen. Unsere Initiative ist ein Rettungsanker, keine kostenlose Alternative!

 

Können Sie noch weitere Mitarbeiter mit Gebärdensprachkennnissen gebrauchen?

Wie ich schon sagte, wir machen das alle ehrenamtlich in unserer Freizeit. Ich kann jetzt noch nicht sagen, wie viele Einsätze wir haben werden. Aber jeder, der sich sicher in Gebärdensprache und der deutschen Lautsprache verständigen kann und helfen möchte, ist jederzeit willkommen!

 

Interessenten können sich unter meiner „dienstlichen“ Mailadresse gebaerden@kverlangen-hoechstadt.brk.de melden. Im weiteren Gespräch werden wir uns etwas näher kennenlernen und sehen, ob eine Zusammenarbeit für beide Seiten möglich ist.

 

Personen und Einrichtungen, die uns anderweitig unterstützen möchten, können auf folgendes Konto spenden: BRK KV Erlangen-Höchstadt, Stadt- und Kreissparkasse Erlangen Höchstadt Herzogenaurach, IBAN:  DE38 7635 0000 0000 0023 21, Stichwort: „Gebärden“

 

Ein Hinweis noch in Bezug auf die aktuelle Situation wegen der „Corona“-Pandemie in Deutschland und dem Rest der Welt. Einige Helfer der „Gebärdensprachliche Notfallunterstützung“ arbeiten in „systemrelevanten“ Berufen und sind daher momentan nur bedingt oder gar nicht einsatzbereit. Es kann daher sein, dass einige Anforderungen zur Unterstützung zum jetzigen Zeitpunkt von uns nicht erfüllt werden können. Wir setzen die Schwelle für einen „Notfall“ aktuell etwas höher an. Ich bitte das zu verstehen und bleiben Sie bitte alle gesund!

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Kai Bartholomeyczik

 
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