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Experten-Interview Mai 2021



Der WEISSE RING bietet auch für Gehörlose und Schwerhörige Hilfe

Der gemeinnützige Verein WEISSER RING hilft seit 1976 Menschen, die Opfer einer Straftat geworden sind. Wer und in welchen Fällen diese Hilfe in Anspruch nehmen kann, erklärt uns Riccarda Theis, Teamleiterin Marketing & Fundraising.

 

Frau Theis können Sie unseren Lesern erklären, was genau der WEISSE RING macht?

Der WEISSE RING ist ein bundesweiter tätiger Verein, der Menschen unterstützt, die Opfer einer Straftat geworden sind. Bei uns gibt es rund 2.900 ehrenamtliche Opferhelferinnen und Opferhelfer in rund 400 Außenstellen, die in 18 Landesverbänden in der gesamten Bundesrepublik zur Verfügung stehen.

Die Hilfe erstreckt sich von Beratung und Begleitung bis hin zu finanzieller Unterstützung in konkreten Fällen, wenn Menschen bedürftig sind. Darüber hinaus leisten wir Präventions- und Öffentlichkeitarbeit. Also klären auf zum Beispiel zu Betrugsmaschen und ermutigen, dass sich Menschen, die Kriminalität oder Gewalt erlebt haben, Hilfe holen. Sie müssen damit nicht alleine bleiben.

 

In welchen Fällen können Sie Hilfesuchende unterstützen und wie?

Zunächst kann sich jeder Mensch an uns wenden, der von einer Straftat betroffen ist. Ebenso können sich Hinterbliebene, Angehörige an uns wenden und Freunde, die sich Sorgen um Betroffene machen.

 

Aber wir beraten auch Zeuginnen und Zeugen, die eine Straftat gesehen haben, und sich dadurch belastet fühlen. Wir hören zu, geben Rat und lotsen die Hilfesuchenden durch das Hilfenetzwerk in Deutschland. Muss ich zur Polizei gehen? Wie komme ich an einen Anwalt? Sollte ich psychologische Hilfe in Anspruch nehmen? Wir besprechen mit den Hilfesuchenden, welche Optionen es konkret für ihren Fall gibt. Wir zeigen auf und geben Infos, aber was die Betroffenen machen möchten, obliegt ganz alleine ihnen. Auf Wunsch helfen wir auch beim Ausfüllen von Anträgen, z.B. auf Opferentschädigung, oder begleiten beim Gang zur Polizei und zum Gericht.

 

Mit Hilfeschecks können wir außerdem den Zugang zu einer psychotraumatologischen (=seelischen Belastung) oder juristischen Erstberatung ermöglichen – ohne Angst vor den Kosten einer solchen Beratung können sich die Opfer dann erstmal ein Bild über ihre individuelle Situation machen.

 

Darüber hinaus können wir bedürftigen Opfern von Straftaten aber auch weitergehend finanziell unterstützen, beispielsweise wenn sie umziehen müssen. Wir haben keinen festen Hilfekatalog, sondern schauen ganz individuell: Was braucht der- oder diejenige für den Weg zurück in ein normales Leben? Stellen Sie sich vor: Der alleinerziehenden Mutter von drei Kindern wird die Brieftasche kurz vor dem Wochenende geklaut. Wie will sie samstags Lebensmittel einkaufen? Hier können wir z. B. die tatbedingte Notlage überbrücken.

 

Mit welchen Anliegen wenden sich Opfer am häufigsten an Sie?

Sehr oft geht es um Sexualdelikte und Körperverletzung (inkl. häuslicher Gewalt) – das waren 2020 die häufigsten Delikte, mit denen man sich an uns gewandt hat. Sofern die Betroffenen dies möchten, werden sie nach dem Erstkontakt an eine Außenstelle in ihrer Nähe weitergeleitet. Unsere örtlich zuständige Außenstelle nimmt den Fall auf und die Beraterinnen und Berater besprechen gemeinsam mit den Betroffenen individuelle Maßnahmen, um die Situation für das Opfer zu verbessern.

 

Es gibt keine maximale Betreuungsdauer. Unsere Unterstützung endet erst, wenn alle unsere Möglichkeiten ausgeschöpft sind oder die Person sagt, dass sie keine weitere Unterstützung benötigt.

 

Der Erstkontakt und eine Beratung können auch über das Opfer-Telefon oder die Onlineberatung erfolgen, zwei sehr niedrigschwellige Angebote. Wenn es erforderlich ist, werden die Anfragenden dann an die Außenstelle weitergeleitet

 

Wie viele Menschen suchen bei Ihnen Hilfe?

2020 waren es über 11.600 Opferfälle, in welchen der WEISSE RING materielle Hilfen ausgegeben hat. 2019 waren es mit 11.300 Fällen etwas weniger. Hinzu kommen noch mehrere tausend Beratungen ohne materielle Hilfen sowie über 3.300 Beratungen über die Onlineberatung und mehr als 19.500 über das Opfer-Telefon.

 

Gibt es jetzt, bedingt durch den Lockdown, mehr Hilfesuchende (z.B. Opfer häuslicher Gewalt oder Kindesmissbrauchs)?

Wir gehen sehr davon aus, dass sich die Situation verschärft. Unsere Erfassung ist noch nicht abgeschlossen und der Lockdown bzw. die Pandemie geht ja noch weiter. Hinzu kommt, dass viele Betroffene momentan ja noch gar keine Chance haben, sich Hilfe zu holen. Viele Einrichtungen mit Hilfsangeboten sind geschlossen. Finanzielle Unsicherheiten, Ängste und Sorgen sowie Homeschooling und beengte Wohnverhältnisse belasten Familien. Wir werden die Folgen sicherlich noch lange spüren.

 

Wie kann man den WEISSEN RING kontaktieren? Wie und wo können hörbehinderte / gehörlose Opfer Kontakt zu ihnen aufnehmen?

Die Außenstellen des WEISSEN RINGS findet man über www.weisser-ring.de. Von dort aus erreicht man auch zur Onlineberatung und erhält Informationen zu unserem Opfer-Telefon 116 006. Für Erstanfragen von hörbehinderten bzw. gehörlosen Opfern von Straftaten stellt der WEISSE RING auf seiner Homepage ein spezielles Kontaktformular bereit (weisser-ring.de/gehoerlosenhilfe).

Gehörlose können uns darüber hinaus per E-Mail (gehoerlosenhilfe@weisser-ring.de), Fax (06131 8303-45) oder Brief (WEISSER RING e.V. Bundesgeschäftsstelle, Weberstr. 16 55130 Mainz) erreichen.

 

Zusätzlich gibt es die Webseite auch in leichter Sprache.

 

Wenn Gehörlose zu Ihnen kommen, brauchen sie in den Beratungsgesprächen auch Gebärdensprachdolmetscher. Wer organisiert die Dolmetscher und wie sieht es mit der Kostenübernahme aus?

Gerade über Straftaten fällt es sehr schwer zu sprechen. Daher ist es uns wichtig, eine Situation zu schaffen, in der sich Betroffene wohlfühlen. Egal, ob er oder sie hörend oder gehörlos ist.

 

Das Hinzuziehen eines Dolmetschers sorgt bei den Beteiligten eines Beratungsgesprächs unserer Erfahrung nach für eine weniger anstrengende Kommunikationssituation. Der gehörlose Hilfesuchende kann daher entweder den Dolmetscher seines Vertrauens mitbringen oder wir unterstützen die Suche nach einem Dolmetscher. Der WEISSE RING kann die Kosten für Gebärdensprachendolmetscher übernehmen.

 

Der WEISSE RING bietet für junge Menschen (18–35 Jahre) eine Ausbildung als Opferhelfer an. Was beinhaltet diese Ausbildung? Wäre es möglich, dass Sie diese Ausbildung auch für Gehörlose anbieten?

Jede Person, die bei uns mitarbeiten möchte, muss eine Ausbildung zum Opferhelfer/ zur Opferhelferin machen. Neben dem praktischen Wissen zu Hilfsmöglichkeiten und Umgang mit Kriminalitätsopfern geht es darin auch um Themen wie Gesprächsführung, Psychohygiene, Verhaltensweisen aber auch rechtliche Grundlagen und Verwaltungswesen.

 

Im Rahmen der fachlichen Grundausbildung machen alle Opferhelfer eine Hospitation. Also begleiten erfahrene Ehrenamtliche. Aktuell bieten wir die Ausbildung jedoch nicht speziell für gehörlose Menschen an. Über unsere WEISSER RING Akademie geben wir unser Wissen aus 45 Jahren Opferhilfe gern an alle Interessierten weiter.

 

Herzlichen Dank für das Interview!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: WEISSER RING

 

 
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