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Experten-Interview März 2022



150 Jahre Deutsche Gehörlosenzeitung!

Seit 150 Jahren erscheint die Deutsche Gehörlosenzeitung (DGZ). Ich habe den Chefredakteur Thomas Mitterhuber über die Geschichte der Zeitung und über Zukunftspläne interviewt.

 

Lieber Herr Mitterhuber, erstmal herzlichen Glückwunsch zum 150-jährigen Jubiläum! Gibt es schon Pläne, das Jubiläum gebührend zu feiern oder eventuell besondere Angebote für die Leser?

Thomas Mitterhuber: Vielen Dank! Ursprünglich stand die Idee im Raum, eine kleinere Feier mit geladenen Gästen zu organisieren. Aufgrund der Unsicherheiten wegen Corona haben wir sie leider verworfen. Dafür werden wir eine Jubiläumsbeilage im kommenden Sommer bringen. Für alle unsere Abonnenten selbstverständlich gratis – es wird unser Dankeschön für ihre Treue sein. Zugleich soll dieses Heft unsere bewegte Geschichte festhalten. Außerdem wird es über das Jahr verteilt mehrere Verlosungen geben.

 

So ein Jubiläum ist auch guter Anlass zum Rückblick. Wie und wer gründete die Zeitung? Können Sie unseren Lesern einen kurzen Rückblick geben?

Das wird ein langer Rückblick (lacht). Unsere Tradition geht auf Eduard Fürstenberg zurück. Der gehörlose Berliner gründete 1872 die Zeitschrift „Der Taubstummenfreund“. Sein Credo war, dass Gehörlose für Gehörlose schreiben. Zuvor gab es zwar Zeitungen für Gehörlose, allerdings verfasst von Hörenden. Fürstenberg gab die Zeitung bis zu seinem Tod 1885 heraus.

 

In den darauffolgenden Jahrzehnten durchlebte „Der Taubstummenfreund“ mehrere Zusammenlegungen und Namensänderungen. 1972 übernahm die Deutsche Gehörlosenzeitung (DGZ), die von einem Taubstummenoberlehrer herausgegebene Zeitschrift „Der Gehörlose“. Weil diese die Nachfolgerzeitung des Taubstummenfreundes war, wurden auf diese Weise die Jahrgänge bis 1872 übernommen. Und damit schloss sich der Kreis wieder zu Fürstenbergs Credo: Gehörlose schreiben für Gehörlose! Die wechselhafte Tradition der DGZ kann auf unserer Wikipedia-Seite nachgelesen werden und wird auch in unserer Jubiläumsbeilage aufgezeigt.

 

Die Zeitung hat auch zwei Weltkriege „überlebt“. Waren das die schwierigsten Zeiten in 150 Jahren oder?

Sicher, vor allem im Zweiten Weltkrieg. Während der Naziherrschaft standen die Inhalte unter der Kontrolle des NS-Regimes. Zudem übernahm 1940 ein hörender Taubstummenoberlehrer die Schriftleitung. Es waren mit Sicherheit keine guten Zeiten für die Selbstbestimmung gehörloser Menschen, von den sonstigen Auswirkungen der NS-Herrschaft abgesehen.

 

Wann hat die Deutsche Gehörlosenzeitung ihren heutigen Namen und Layout bekommen?

Die DGZ gründete sich im Jahre 1950. In den Jahrzehnten hat sich das Layout mehrmals gewandelt. Das heutige Layout gibt es seit 2016, aber inzwischen gab es mehrere kleinere Verbesserungen und neue Formate wurden eingeführt. Eine Zeitung soll ja so lebendig und beweglich wie die Gesellschaft sein!

 

Wie viele Mitarbeiter haben Sie jetzt und wer gehört zum harten Kern der Redaktion? Wie lange dauert es, bis eine monatliche Ausgabe druckreif ist?

Zum engeren Kreis gehören fünf Personen: Kerstin Reiner-Berthold, die die DGZ seit mittlerweile zwölf Jahren herausgibt und unter anderem für das Layout zuständig ist. Neben mir als Chefredakteur haben wir noch Melissa Wessel, die unsere News schreibt, Social Media macht und auch redaktionelle Aufgaben hat. Und die beiden Arbeitsassistentinnen Sandy Henninger (Büro) und Lisa Leonhardt (Korrektorat) komplettieren unser Team.

 

Außerdem haben wir einen Pool an freien Autoren. Manche Autoren schreiben sehr regelmäßig, andere nur ein oder zwei Artikel im Jahr. Im Moment sind es etwa zehn aktive Autoren. Wir freuen uns aber immer über neue Autoren!

 

Da unsere Zeitschrift am 20. jedes Monats erscheint, ist der zeitliche Ablauf fast immer der gleiche. Ende des Vormonats liefern die Autoren ihre Artikel, bis zur Druckabgabe sind es in der Regel zwei Wochen. In dieser Zeit werden die Artikel gegengelesen, überarbeitet und ins Layout eingebaut. Meist am 10. wird die neue Ausgabe an die Druckerei geschickt. Dort werden die Hefte gedruckt und per Post an die Abonnenten verschickt.

 

Nach welchen Kriterien wird über die Themen entschieden und welche kamen bis jetzt am besten bei den Lesern an?

Im vergangenen Mai riefen wir die Leser auf, an einer Online-Umfrage oder an Einzelinterviews teilzunehmen. Es nahmen über 300 Teilnehmer daran teil. Dabei kamen interessante Erkenntnisse heraus, die uns zum Einen in unserer bisherigen Arbeit bestätigen und zum Anderen auch Optimierungspotenziale aufzeigen.

 

Als beliebteste Rubriken wurden folgende angegeben: Gebärdensprache, Kultur, Leben und Gesellschaft. Allerdings wird nach meiner Wahrnehmung unsere Zeitschrift gerade wegen der thematischen Vielfalt geschätzt. Und für mich persönlich ist das tatsächlich ein wichtiges Auswahlmerkmal, neben den üblichen journalistischen Merkmalen wie Aktualität und Relevanz. Da unsere Leserschaft quer durch alle Alters- und Interessengruppen verteilt ist, versuchen wir jeden Monat, eine möglichst breite Themenmischung zu bieten.

 

Sie sind seit bald acht Jahren Chefredakteur. Über welche Themen schreiben Sie selbst am liebsten?

Bislang habe ich schon quer durch alle Rubriken geschrieben. Und doch gibt es bei mir gewisse Schwerpunkte wie etwa Politik, Bildung oder Gesellschaft. Am liebsten schreibe ich Porträts und vielschichtige, komplexe Artikel. Da werden meine journalistischen Fähigkeiten gefordert und es macht mir viel Freude, wenn am Ende ein Artikel herauskommt, der die Leser fesselt und bewegt.

 

Ein Zeitungsjubiläum bietet nicht nur die Gelegenheit, auf eine ereignisreiche Geschichte zurückzublicken, sondern auch Pläne für die Zukunft zu machen. Wie sehen Sie heute die DGZ und was würden Sie gern ändern?

Die Deutsche Gehörlosenzeitung gibt es seit 2017 auch digital. Immer mehr Leser steigen um auf das E-Paper. Unsere Zeitschrift ist heute eine ganz andere als noch vor zehn Jahren. Und ich bin mir sicher: Sie wird sich noch weiter wandeln!

 

Als Chefredakteur ist es mir ein Anliegen, neue Autoren zu gewinnen und in die journalistische Arbeit zu begleiten. Bisher hatten wir ihnen in zwei Autorenworkshops die Grundlagen beigebracht. Das würden wir gerne ausbauen und dafür sorgen, dass sie ihre erworbenen Fähigkeiten längerfristig bei der DGZ einsetzen – und gerne auch anderswo.

 

Wer uns unterstützen möchte, kann unsere Hefte bestellen oder weiterempfehlen, denn ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass unabhängiger Journalismus auch unsere kleine Gemeinschaft vorantreiben kann.

 

Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg !

 

Text: Judit Nothdurft

Bild: DGZ/Claudia Göpperl

 

 

 
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