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Experten-Interview Juni 2022



Kündigung vom Arbeitgeber – was jetzt?

Rechtsanwältin Juliane Wagner hat sich auf Arbeitsrecht spezialisiert und als Kind gehörloser Eltern (CODA) berät sie Ihre Mandanten auch in Deutscher Gebärdensprache. Im Interview gibt sie unseren Lesern einige Tipps im Falle einer Arbeitgeberkündigung.

 

Frau Wagner, was muss man als Erstes tun, wenn man eine Kündigung vom Arbeitgeber erhält? Welche Rechte und Pflichten haben Arbeitnehmer in solchen Fällen?

Juliane Wagner: Jeder, der eine Kündigung erhält, sollte sich sofort aufschreiben, wann (Datum) und wie (persönlich oder mit der Post) er die Kündigung erhalten hat. Ab dem Tag der Zustellung/Übergabe hat der Arbeitnehmer 3 Wochen Zeit, gegen die Kündigung beim Arbeitsgericht zu klagen.

 

Dann sollte der Arbeitnehmer für sich entscheiden, ob er gegen die Kündigung klagen möchte. Wenn der Arbeitnehmer die Kündigung akzeptieren will, muss er nichts machen. Wenn er die Kündigung nicht akzeptieren möchte, kann er einen Rechtsanwalt kontaktieren. Bitte aber nicht zu spät, sondern sobald er die Kündigung bekommt.

 

Wenn die 3 Wochen vorbei sind, gilt die Kündigung als wirksam, egal ob sie eigentlich unwirksam wäre. Man kann dann nichts mehr gegen die Kündigung tun.

 

Man muss sich auch bei der Agentur für Arbeit melden, dass man eine Kündigung erhalten hat und deshalb ab dem Datum der Beendigung des Vertrages arbeitssuchend sein wird. Wenn man sich nicht oder zu spät bei der Agentur für Arbeit meldet, kann das bedeuten, dass man das Arbeitslosengeld nicht oder erst später bekommt.

 

Sollte man auf jeden Fall einen Rechtsanwalt kontaktieren oder nur in bestimmten Fällen?

Der Rechtsanwalt kann schnell feststellen, ob die Kündigung unwirksam ist. Deshalb ist es besser, wenn man einen Rechtsanwalt zur Beratung kontaktiert. Dann kann man gemeinsam mit dem Rechtsanwalt entscheiden, ob man gegen die Kündigung klagen möchte.

 

Ziel einer Klage kann es sein, seinen Arbeitsplatz zu behalten oder eine Abfindung vor Gericht durch einen Vergleich zu bekommen. Wenn man gegen die Kündigung nicht klagt, bekommt man normalerweise keine Abfindung. Deshalb lohnt sich der Rechtsanwalt oft.

 

Wenn man eine Rechtsschutzversicherung für das Arbeitsrecht hat, z.B. Berufs-Rechtsschutzversicherung, hat man nur ein kleines Risiko für die Kosten. Man muss dann nur die Selbstbeteiligung bezahlen.

 

Wenn man das Geld für einen Rechtsanwalt nicht ausgeben will, kann man auch selbst zum zuständigen Arbeitsgericht gehen und Klage erheben. Dann sollte man immer Bedenken, dass eine wirksame Klage erhoben wird. Der Rechtsanwalt macht das beruflich und hat hier mehr Erfahrung.

 

Wer trägt die Kosten für den Rechtsanwalt und eventuelle Gerichtskosten?

Im Arbeitsgerichtsprozess muss jede Partei, also der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, seine Kosten in der 1. Instanz, also dem ersten Prozess, selbst bezahlen, auch wenn der Arbeitnehmer vor Gericht gewinnt. Wenn man vor Gericht einen Vergleich abschließt, gibt es beim Arbeitsgericht keine Gerichtskosten. Dann bezahlt man nur die Rechtsanwaltskosten. Wenn es zu einem Urteil kommt, muss die Partei die Gerichtskosten bezahlen, die den Prozess verliert. Die Rechtsanwaltskosten muss trotzdem jeder selbst bezahlen.

 

Wenn der Mandant eine Rechtsschutzversicherung hat, muss er nur seine Selbstbeteiligung bezahlen.

 

Braucht der Arbeitgeber eigentlich immer einen Grund für eine Kündigung?

Ein Arbeitgeber mit regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmern kann einen Arbeitsvertrag, der über 6 Monate besteht, nicht ohne Grund kündigen. Den Grund muss der Arbeitgeber nicht in die Kündigung schreiben.

 

Deshalb macht es Sinn, gegen die Kündigung zu klagen, wenn man selbst keinen Grund kennt. Wenn der Arbeitgeber keinen Kündigungsgrund hat, dann ist die Kündigung unwirksam.

 

Vor Gericht muss der Arbeitgeber den Kündigungsgrund nennen, da er ansonsten den Prozess verliert und der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz behalten darf. Wenn man sich vergleicht, kann auch die Abfindung höher sein, wenn kein Kündigungsgrund vorliegt.

 

Welche Art von Kündigungen gibt es?

Es gibt die ordentliche, das bedeutet fristgerechte, und die außerordentliche, das bedeutet fristlose, Kündigung.

 

Bei Kündigungen wird unterschieden nach den Gründen: betriebsbedingt, personenbedingt und verhaltensbedingt.

 

Eine betriebsbedingte Kündigung liegt vor, wenn die Weiterbeschäftigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nicht möglich ist. Das bedeutet, dass nicht der Arbeitnehmer schuld ist, sondern z.B. die Firma zu wenig Aufträge erhält und der Arbeitsplatz deshalb wegfällt.

 

Wichtig ist auch hier, dass der Arbeitgeber zuerst prüfen muss, ob er den Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigen könnte.

 

Eine personenbedingte Kündigung liegt vor, wenn die Arbeitsaufgaben wegen Eigenschaften des Arbeitnehmers nicht zu erfüllen sind. Das ist z.B. dann der Fall, wenn ein Arbeitnehmer erkrankt und nicht mehr gesund wird und seine körperlich schwere Arbeit nicht mehr machen kann.

 

Wichtig ist hierbei, dass der Arbeitgeber zuerst prüfen muss, ob er den Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigen könnte, z.B. im Büro.

 

Eine verhaltensbedingte Kündigung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verstößt oder einen Vertrauensbruch begeht. Das ist z.B. dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer immer wieder zu spät zur Arbeit kommt, einen Kollegen beleidigt oder körperlich angreift oder einen Diebstahl begeht.

 

Im Regelfall muss vorher eine Abmahnung vorliegen, die genau das gleiche Verhalten abmahnt und in der Abmahnung bereits die Kündigung androht, wenn das Verhalten nochmal vorkommt. Es gibt aber Ausnahmen, z.B. schwerwiegende Pflichtverletzungen, in denen keine Abmahnung vorliegen muss.

 

Was ist der Unterschied zwischen einer ordentlichen und einer fristlosen Kündigung?

Eine ordentliche Kündigung liegt vor, wenn die Kündigungsfrist, die im Arbeitsvertrag vereinbart ist oder im Gesetz/Tarifvertrag steht, richtig berechnet und eingehalten wird. Wenn die Kündigungsfrist falsch berechnet ist, ist die Kündigung deshalb unwirksam.

 

Bei einer außerordentlichen Kündigung liegen so schwere Gründe vor, die eine Zusammenarbeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar machen. Dann kann der Arbeitnehmer sofort ohne eine Kündigungsfrist gekündigt werden. Das Arbeitsverhältnis endet dann an dem Tag, an dem der Arbeitnehmer die Kündigung erhält.

 

Oft erreicht man vor Gericht, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam ist. Das sollte der Rechtsanwalt immer prüfen.

 

 

Kann mich der Arbeitgeber entlassen, ohne dass er mich vorher ein oder mehrere Male abgemahnt hat?

Ja das geht, aber nicht immer.

 

Bei einer betriebsbedingten Kündigung braucht es keine Abmahnung.

 

Bei einer personenbedingten Kündigung braucht es auch keine Abmahnung. Der Arbeitgeber sollte den Arbeitnehmer zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement einladen, wenn er über 6 Wochen arbeitsunfähig ist. Ansonsten hat man vor Gericht gute Chancen, dass eine krankheitsbedingte Kündigung unwirksam ist.

 

Bei einer verhaltensbedingten Kündigung muss im Normalfall eine Abmahnung erteilt werden. Die braucht der Arbeitgeber dann nicht aussprechen, wenn jedem klar ist, dass ein bestimmtes Verhalten niemals akzeptiert wird. Wenn also der Arbeitnehmer z.B. einen Kollegen schlägt, sexuell belästigt oder Diebstahl begeht, dann weiß jeder, dass dieses Verhalten nicht zuerst abgemahnt werden muss. In diesem Fall kann man sofort eine Kündigung aussprechen ohne eine vorherige Abmahnung.

 

Interessant zu wissen ist, dass eine Abmahnung für das gleiche Verhalten bereits ausreichen kann. Es stimmt nicht, dass man erst nach der dritten Abmahnung kündigen kann.

 

Bestimmte Personengruppen haben einen besonderen Kündigungsschutz…

Besonderen Kündigungsschutz haben z.B. Schwangere bis zum Ende des Mutterschutzes und Eltern bis zum Ende der Elternzeit, Auszubildene nach der Probezeit, Betriebsratsmitglieder aber auch Schwerbehinderte und gleichgestellte Personen.

 

Der besondere Kündigungsschutz bedeutet, dass eine Kündigung für den Arbeitgeber mit mehr Aufwand verbunden ist. Z.B. bei einem Schwerbehinderten muss der Arbeitgeber zuerst die Zustimmungserklärung des Integrationsamtes einholen. Dazu muss der Arbeitgeber dem Integrationsamt mitteilen, was der Kündigungsgrund ist. Das Integrationsamt prüft dann, ob die Kündigung zulässig ist und teilt das dem Arbeitgeber mit. Erst nach der Zustimmung kann der Arbeitnehmer gekündigt werden.

 

Wenn mehrere Personen in einem Unternehmen betriebsbedingt entlassen werden, wird eine Sozialauswahl gemacht. Bei einer Sozialauswahl sind dann die Personen mit einem besonderen Kündigungsschutz vor der Kündigung zunächst geschützt, solange Kollegen entlassen werden können, die keinen besonderen Kündigungsschutz haben.

 

Ein Rechtsanwalt kann im Fall der Kündigung klären, ob der besondere Kündigungsschutz besteht und ob die Voraussetzungen für eine Kündigung vorliegen.

 

Wichtig zu wissen ist aber, dass der besondere Kündigungsschutz nicht bedeutet, der Arbeitnehmer könne niemals gekündigt werden. Der Arbeitnehmer darf seine Arbeitspflichten trotzdem nicht verletzen.

 

Was bedeutet eine „Freistellung“?

Eine Freistellung bedeutet, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer erklärt, er muss zuhause bleiben und nicht mehr zur Arbeit kommen.

 

Manche Arbeitgeber erklären die Freistellung schon in der Kündigung.

 

Der Arbeitnehmer sollte beachten, ob eine unwiderrufliche Freistellung erklärt wird. Nur dann kann der Arbeitgeber die offenen Urlaubstage abziehen. Wenn der Arbeitnehmer noch 5 Urlaubstage hat, aber 1 Monat freigestellt wird, sind die Urlaubstage aufgebraucht. Das gleiche gilt für Überstundenzeitguthaben.

 

Wenn das Wort „unwiderruflich“ nicht enthalten ist, so hat der Arbeitnehmer trotzdem Anspruch auf seine Überstunden und seinen Urlaub. Dann sollte auch überlegt werden, ob man gegen den Arbeitgeber klagt.

 

Wichtig zu wissen ist, dass der Arbeitgeber das Gehalt trotzdem bezahlen muss, auch wenn der Arbeitnehmer dann nicht mehr zur Arbeit kommt.

 

Wann bietet der Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag an?

Ein Aufhebungsvertrag wird vom Arbeitgeber angeboten, wenn er keinen Kündigungsgrund hat, aber den Arbeitnehmer trotzdem nicht weiter beschäftigen möchte. Ein Aufhebungsvertrag kann viele Punkte regeln: Abfindung, Freistellung, Zeugnis usw. Aber ein Aufhebungsvertrag kann auch eine kürzere Kündigungsfrist regeln. Das ist dann manchmal auch für den Arbeitnehmern sinnvoll, wenn er eine neue Arbeit hat und diese schnell beginnen möchte. Auch hierbei kann ein Rechtsanwalt unterstützen, damit der Aufhebungsvertrag keine Nachteile für den Arbeitnehmer auslöst.

 

Es ist z.B. so, dass ein Aufhebungsvertrag zu einer Sperre beim Arbeitsamt führen kann. Das bedeutet, dass man bis zu 12 Wochen kein Arbeitslosengeld bekommen kann. Daher muss man den Aufhebungsvertrag gut durchdenken. Die genauen Folgen und Vorteile kann ein Rechtsanwalt in einer Beratung erklären. Es ist empfehlenswert einen Aufhebungsvertrag vom Rechtsanwalt prüfen zu lassen.

 

Wie sieht es aus, wenn jemand in der Probezeit gekündigt wird?

Eine vereinbarte Probezeit bedeutet, dass in dieser Zeit eine kürzere Kündigungsfrist gilt. Oft beträgt die Probezeit 6 Monate.

 

Auch wenn keine Probezeit vereinbart ist, gilt das Kündigungsschutzgesetz erst nach einer Wartezeit von 6 Monaten, bis der Arbeitnehmer einen Kündigungsschutz hat. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer in den ersten 6 Monaten keinen Kündigungsschutz hat, egal ob eine Probezeit vereinbart ist oder nicht.

 

Innerhalb dieser Wartezeit von 6 Monaten gilt der besondere Kündigungsschutz nur für schwangere Personen, im Mutterschutz und im Zusammenhang mit der Elternzeit. Ein Schwerbehinderter hat erst nach den 6 Monaten seinen besonderen Kündigungsschutz.

 

Daher kann gegen eine Kündigung innerhalb der Wartezeit, oftmals Probezeit genannt, in den meisten Fällen nicht erfolgreich geklagt werden. Dies kann aber ein Rechtsanwalt prüfen und den Mandanten beraten.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Text: Judit Nothdurft

Bild: Juliane Wagner

 
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