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Experten-Interview Juli 2022



Monika Haider will weitere Schulungszentren für Gehörlose in Europa aufbauen

 

Am 01.07.22 übergibt Monika Haider die Geschäftsführung von equalizent Wien an ihre Nachfolgerin. Welche Überlegung hinter diesem Schritt steht und wie ihre Zukunftspläne aussehen, hierzu haben wir Frau Haider interviewt.

 

Frau Haider, vor 18 Jahren haben Sie equalizent in Wien gegründet. Warum geben Sie jetzt den Führungsstab ab?

Monika Haider: Ich habe in 18 Jahren dieses Kompetenzzentrum aufgebaut. Es ist enorm gewachsen, ist ein wichtiger Player in der Gehörlosenszene geworden und steht nun auf einem sicheren Qualitäts-Fundament. Das ist ein guter Zeitpunkt, um es in andere Hände zu geben.

 

Einerseits, weil eine neue Geschäftsführerin andere Qualitäten und Blickwinkel einbringen kann, was einem Unternehmen guttut. Andererseits aber auch, damit ich mich neuen Aufgaben widmen kann. Ich bleibe als Besitzerin prinzipiell dem equalizent Wien verbunden. Auch als Ballmutter des Diversity Balles arbeite ich weiter. Mein Fokus liegt aber zukünftig beim equalizent Social Franchise.

 

Wie war es damals 2004, als Sie equalizent gegründet haben? Welche Schwierigkeiten gab es?

Es war nicht einfach damals. Eigentlich haben mir die meisten vermittelt, dass meine Vision eines bilingualen Schulungsinstituts für Gehörlose zum Scheitern verurteilt ist. Aber da bin ich stur. Ich wollte das unbedingt machen, denn ich habe ja als Pädagogin selbst erlebt, wie Gebärdensprache unterdrückt wird. Und wie wichtig es ist, dass taube Menschen in ihrer natürlichen Sprache unterrichtet werden.

 

Wir haben dann einen Beirat gegründet und so wichtige Institutionen der Gehörlosencommunity ins Boot geholt. Bis jetzt tauschen wir uns dort 2x im Jahr aus, informieren über unsere Pläne und diskutieren auch strittige Themen.

 

Finanzielle Unterstützung haben wir mittlerweile seit vielen Jahren durch das Sozialministeriumservice der Landesstelle Wien. Für die kontinuierliche Förderung bin ich sehr dankbar. Auch andere Förderstellen unterstützen unsere Arbeit. Aber das equalizent Wien finanziert sich auch durch die Einnahmen aus Gebärdensprachkursen.

 

Hat sich der Blick auf die Hörbehinderung inzwischen in der Gesellschaft in Österreich weiterentwickelt?

Ja, es hat sich natürlich einiges getan. Angefangen damit, dass die Österreichische Gebärdensprache 2005 als eigene, vollwertige Sprache anerkannt wurde. Dass immer mehr TV-Sendungen mit Gebärdensprache oder Untertiteln angeboten werden. Man merkt es aber auch daran, dass immer mehr Menschen Gebärdensprachkurse besuchen. Wir arbeiten auch laufend an der Sensibilisierung von Unternehmen, z.B. wenn wir Kursteilnehmende für Praktika oder Jobs an Firmen vermitteln.

 

Die Ausstellung „HANDS UP – Erlebnis Stille“ dient auch der Sensibilisierung. Das equalizent Wien hat durch ihre Arbeit, ihre Bildungsprojekte und ihr engagiertes, Qualität volles arbeiten maßgeblich zur Veränderung beigetragen. Also, es wird schön langsam, aber es fehlt noch viel, damit man von wahrer Inklusion sprechen kann.

 

Sie haben in 18 Jahren ein zweisprachiges (Gebärdensprache und Lautsprache) Schulungsinstitut aufgebaut mit einem hohen Anteil von gehörlosen Mitarbeitern und inzwischen auch viele Auszeichnungen und Preise erhalten…

Das war uns von Anfang an wichtig. Denn es geht einfach nicht, dass dauernd Hörende über die Köpfe der Gehörlosen hinweg entscheiden, was für sie richtig und gut ist. Statt dieses paternalistischen Ansatzes halten wir es mit dem „Nichts über uns, ohne uns“.

 

Im equalizent Wien arbeiten mehr als 40% gehörlose Menschen – und zwar in allen Bereichen, nicht nur in Hilfstätigkeiten. Unser Prokurist ist taubblind, viele Projektleiter und Projektleiterinnen sind gehörlos. Außerdem stehen aus Prinzip gehörlose Trainer und Trainerinnen im Unterricht. Als Peers wissen sie viel besser, wie sie Inhalte nachhaltig vermitteln und was die gehörlosen Teilnehmenden brauchen. Letztlich sind sie natürlich auch Vorbild und zeigen: es ist tatsächlich möglich, als tauber Mensch einen qualifizierten Beruf auszuüben. Das ist gerade für die jugendlichen Kursteilnehmer sehr wichtig.

 

Diese einzigartige Inklusion hat und viele Preise eingebracht. Insgesamt 31! Darauf sind wir nicht nur stolz, sondern es zeigt auch, dass unser Weg richtig ist.

 

Nach all den erreichten Erfolgen und Anerkennungen fällt es Ihnen nicht schwer den Stuhl der Geschäftsführerin zu räumen?

Absolut! Ich habe mich zwar sehr lange auf die Übergabe vorbereitet, denn viele kleinere Unternehmen und mittlere Unternehmen scheitern genau an diesem Punkt der Nachfolge. Jetzt, wo die Tage an meinem Schreibtisch gezählt sind, wird mein Herz schon auch ein bisschen schwer.

 

Aber mit Marietta Adlbrecht habe ich eine großartige Nachfolgerin gefunden, die so viel Elan, Expertise und Überzeugung für die Sache mitbringt, dass ich weiß, das equalizent wird nicht nur weiterbestehen, sondern wachsen und gedeihen. Das macht den Abschied viel leichter.

 

Außerdem bleiben Berührungspunkte zum equalizent Wien bestehen. Es ist dies der Pilotbetrieb für das von uns entwickelten Social Franchise System.

 

Automatisch stellt sich die Frage: was machen Sie zukünftig beruflich?

Mit dem equalizent Social Franchise kümmere ich mich ab Juli darum, equalizent Kompetenzzentren in anderen Ländern Europas aufzubauen. In Hamburg gibt es ja bereits neben Wien ein weiteres Kompetenzzentrum. Jetzt wollen wir mit der equalizent Zentrale neue Franchise-Nehmer finden, die auf unser Know-how und unsere Erfahrung und Materialien gestützt, Gehörlosen in anderen Städten und Ländern die Möglichkeit gebärdensprachlichen Unterrichts bieten.

 

Sie waren jahrelang die Ballmutter der legendären Diversity Bälle. Übergeben Sie auch diese Position Ihrer Nachfolgerin?

Der Diversity Ball bleibt in meinen Händen. Das heißt, ich werde weiter jedes Jahr an neuen Ideen tüfteln, den Ball mit „alles Walzer – alles Vielfalt“ eröffnen und den bunten, barrierefreien Ball nicht nur besuchen, sondern aktiv mitgestalten.

 

Können Sie uns noch Ihre Nachfolgerin kurz vorstellen?

Marietta Adlbrecht ist meine absolute Wunschnachfolgerin. Sie bringt so viel Wissen und Erfahrung mit, die dem equalizent Wien zugutekommen! Als ausgebildete Pädagogin und Supervisorin hat sie sich schnell in das Schulungsinstitut eingearbeitet. Sie war aber auch jahrelang als Unternehmensberaterin tätig. Die letzten Jahre leitete sie ein Handelsunternehmen und konnte sich so als erfolgreiche Managerin bewähren.

 

Was mir aber auch sehr wichtig war: sie ist mit vollem Herzen bei der Sache. Dieses Engagement und die Überzeugung, wie wichtig das equalizent ist, ist im Arbeitsalltag spürbar. Ich bin mir somit sicher, dass sich das equalizent Wien in den nächsten Jahren wunderbar weiter entwickeln wird, und wünsche ihr alles Gute!

 

Vielen Dank für das Interview und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!

 

Text: Judit Nothdurft

Bild: © equalizent GmbH

 
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