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Experten-Interview Oktober 2022



Jeder Stein, der im Weg liegt, kann umgangen werden – als Gehörloser erfolgreich in die Führungsposition

Altenheime für Gehörlose sind rar in Deutschland. Ich habe mich mit David Demke, dem Leiter des Altenheims der Herbert Feuchte Stiftungsverbund gGmbH unterhalten.

 

Herr Demke Sie sind seit August Leiter des Altenheims der Herbert Feuchte Stiftungsverbund gGmbH und damit einer der wenigen Gehörlosen, die es beruflich in eine Führungsposition geschafft haben. Wie war Ihr Weg bis zum Chefstuhl?

David Demke: Mein erster Berufswunsch war Lehrer. Daher habe ich nach dem Abitur Lehramt für Sonderpädagogik an der Humboldt Uni in Berlin studiert. Das Amt wollte mir kein Budget zur Finanzierung der Gebärdensprachdolmetscher bewilligen. Auf Umwegen habe ich dann eine Ausbildung als examinierter Altenpfleger begonnen und erfolgreich abgeschlossen.

 

Ein paar Jahre später wollte ich Pflegewissenschaft an der Uni Hamburg studieren. Das Integrationsamt verweigerte mir ebenfalls die Finanzierung der Gebärdensprachdolmetscher, weil ich einen Arbeitsplatz hatte. Damit war mir eine Karriere auf diesem Weg verbaut.

 

Zum Glück konnte ich ein Fernstudium absolvieren, das ich 2013 mit dem Diplom Pflegemanagement/-wissenschaftler erfolgreich abschloss. Während des Fernstudiums habe ich kaum Gebärdensprachdolmetscher benötigt. Ich habe stattdessen monatlich Studienhefte bekommen, in denen ich täglich nach Feierabend arbeiten musste.

 

Während des Fernstudiums wurde ich Wohnbereichsleiter auf einer Station mit Schwerpunkt Demenz in einer stationären Pflegeeinrichtung. Nach dem erfolgreichen Diplomabschluss habe ich schnell eine Anstellung als Pflegedienstleitung einer stationären Wohneinrichtung der Eingliederungshilfe mit Schwerpunkt „erworbene Hirnschäden“ angenommen. Seit dieser Zeit arbeite ich auch als freiberuflicher Fachdozent an der Gehörlosenfachschule in Rendsburg.

 

2022 habe ich die Anzeige für die Stelle als Einrichtungsleitung des Altenheims für Gehörlose in Hamburg gesehen und mich natürlich sofort darauf beworben. Seit August bin ich nun Leiter dieser Einrichtung.

 

Wie viele Leute leben in Ihrem Heim und wie bekommt man einen Platz bei Ihnen?

Derzeit leben 34 Senioren in unserer Einrichtung. Normalerweise haben wir 36 Betten, aber auf Grund der Corona Situation wurden zwei Doppelzimmer in Einzelzimmer umgewandelt. Das Altenheim hat eine Warteliste. Man kann nicht pauschal sagen, wie lange man warten muss, um hier einzuziehen. Das ist unterschiedlich und hängt von diversen Faktoren wie Auszug, Ableben etc. ab.

 

Die Bewohner des Heimes sind gehörlose Senioren, die Mitarbeiter sind Hörende und Gehörlose. Wie klappt die Kommunikation im Heim?

Im Altenheim für Gehörlose arbeiten gehörlose und hörende Menschen in den Bereichen Pflege und Hauswirtschaft. Hörende MitarbeiterInnen, die schon lange hier sind, können gut gebärden. Sie nehmen regelmäßig und verpflichtend an einem Gebärdensprachunterricht teil. Meiner Ansicht nach ist es wichtig, dass die MitarbeiterInnen DGS beherrschen und DGS die gemeinsame kommunikative Grundlage für alle Senioren und MitarbeiterInnen ist. Sollten neue hörende MitarbeiterInnen keine Erfahrungen in DGS oder LBG haben, werden sie geschult. Voraussetzung für eine Einstellung ist Interesse an DGS und Gehörlosenkultur.

 

In vielen Heimen herrscht Notstand, das Zeitbudget ist knapp, Personal fehlt usw. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Grundsätzlich besteht in der Pflege Personalnotstand. Zum Glück sind bei uns derzeit alle Stellen besetzt.

 

Wie haben Sie die Covid-Zeit beruflich erlebt?

Während der Corona-Pandemie gab es für alle Herausforderungen. In der Pflege wird stets mit FFP2 Maske gearbeitet. Das belastet die Mitarbeitenden stark. Vor allem für Gehörlose geht es mit Schwierigkeiten einher, weil dann weder Mimik noch Mundbild zu erkennen sind. Aufgrund der Pandemie muss auch viel organisiert werden, um Kommunikation zu ermöglichen.

 

Des Weiteren gab es viele Vorgaben der Behörden, die zwingend umgesetzt werden müssen. Das belastet alle PflegemitarbeiterInnen und Leitungskräfte stark. Dazu gehören z.B. Testung, Monitoring, Anpassung bzw. Aktualisierung des Hygiene-/Testungs-/Besuchskonzepts etc.

 

Eine eventuelle Kontaktsperre zur Außenwelt wegen Covid kann das Heim für die Bewohner zum Gefängnis machen. Wie empfinden Sie das?

2020/2021 waren harte Zeiten für BewohnerInnen, denn es gab sogar Besuchsverbot in den Einrichtungen der stationären Pflege. Soziale Kontakte sind meiner Ansicht nach von großer Bedeutung für die physische und kognitive bzw. mentale Gesundheit. Angehörige waren emotional belastet, was auch verständlich ist. Die Gesamtsituation hat vielen zu schaffen gemacht. Die Lockerungen der Vorgaben haben die Situation wieder verbessert.

 

Zukünftig soll der Pflegegeldsatz 30 bis 40 % erhöht werden. Was sind die Gründe dafür und was passiert mit den Senioren, die es nicht finanzieren können?

Richtig, die Pflegekosten sollen erhöht werden, weil die weltpolitischen Probleme wie Energiekrise mit Russland zu einer Kostenexplosion bei Gas, Strom, Öl etc. führen. Meiner Ansicht nach muss die Regierung schnellstmöglich einen Pflege-Rettungsschirm gewähren, um BewohnerInnen und alle Pflegeheime und -dienste finanziell zu schützen bzw. zu unterstützen.

 

Wenn Sie in der Altersversorgung von Gehörlosen etwas ändern könnten, was wäre es?

Ich würde für den Ausbau von Beratungsstellen, Netzwerken sorgen und eine Stelle zur Evaluation der Infrastruktur bezogen auf die Bedürfnisse der Gehörlosen im Alter schaffen. Daneben muss die Versorgung durch eine bundesweite Gründung neuer Einrichtungen für Gehörlose, Förderung und Forderung der Demenzforschung vorangetrieben werden.

 

Es sollten auch kostenlose Schulungen für die Aufklärung für Pflegedienste und MDK zur besseren Begutachtung und Versorgung gehörloser Pflegebedürftiger gegeben werden.

 

Wenn unter den Gehörlosen jemand Ihren Karriereweg einschlagen möchte, was empfehlen Sie ihm/ ihr? Wie erreicht man das Ziel?

Mein Motto ist: „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum“ oder „Wer nicht versucht hat, hat verloren“. Wenn man ein Ziel erreichen will, braucht es Mut und Geduld. Jeder Stein, der im Weg liegt, kann umgangen werden. Es geht immer darum, den eigenen Weg zu finden, Erfahrungen und Wissen zu sammeln. Dann kommt man auch an sein Ziel.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Text: Judit Nothdurft

Bild: David Demke

 

 
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