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Experten-Interview Dezember 2022



Weihnachten sicher mit Kindern – Tipps von Kindernotärztin Dr. Katharina Rieth

Über das richtige Verhalten in Notfällen habe ich die erfahrene Kinderfachärztin, Intensivmedizinerin und Notärztin Dr. med. Katharina Rieth interviewt. Zurzeit arbeitet sie daran, ihre Tipps zur Notfallversorgung in Gebärdensprache zu verfilmen.

 

Adventszeit ist Backzeit und die Kinder möchten gern in der Küche mitmachen. Schneller als man denkt, kann es zu Verbrühungen oder Verbrennungen kommen. Was sollte man in solchen Fällen tun?

Dr. med. Katharina Rieth: Wie bei allen Notfällen ist es zunächst einmal wichtig, auf den Eigenschutz zu achten, damit man nicht selbst zum Notfall wird. Die Gefahrenquelle sollte also gesichert werden.

 

Bei Stromverletzungen sollte man z.B. sofort den Stromkreis abschalten und das Kind nachher von der Stromquelle trennen. Grundsätzlich ist es wichtig, so schnell wie möglich den Kontakt zur Hitzequelle zu unterbrechen.

Flammen am Kind können durch Wälzen am Boden, Ersticken durch eine Decke oder Wasser gelöscht werden. Vorsicht gilt hier bei Bratenfett! Dieses sollte niemals mit Wasser gelöscht werden. Eingebrannte Kleidung sollte auf keinen Fall entfernt werden, um nicht tiefere Hautverletzungen zu erzeugen.

Bei Verbrühungen hingegen ist es wichtig, die durchnässte Kleidung umgehend auszuziehen, da sonst durch den Nachbrenneffekt tiefere Hautschäden entstehen können. Bei allen thermischen (=durch Wärme verursachte) Verletzungen ist es wichtig, die betroffenen Stellen mit handwarmem Wasser für maximal 5 bis 10 Minuten zu „kühlen“. Auf keinen Fall sollten zum Kühlen Eiswürfel benutzt oder das Kind in eine eiskalte Badewanne gelegt werden, da dann einerseits die Gefahr der Auskühlung besteht, andererseits Schäden entstehen können, wenn die Haut im Verlauf wieder durchblutet wird.

 

Auch Mehl, Quark, Öl, Zahnpasta oder Sonstiges sollte niemals auf offene Brandwunden bzw. Verbrühungsareale gegeben werden. Einerseits kann es dadurch zu unvorhersehbaren Lokalreaktionen kommen, andererseits kann das Ausmaß der thermischen Verletzung vom Weiterbehandelnden nicht mehr richtig beurteilt werden.

Die Beurteilung des Grades (1-3) der Verbrennung bzw. Verbrühung und des Ausmaßes der betroffenen Körperoberfläche (KOF) entscheidet über das weitere Vorgehen.

 

Bei leichter, kleinflächiger Rötung der Haut ohne Blasenbildung (Grad 1) in einem unproblematischen Bereich und gutem Allgemeinzustand des Kindes kann nach den Erstmaßnahmen zunächst beobachtet werden. Sobald Blasen sichtbar werden, handelt es sich um thermische Verletzungen Grad 2. Hier ist immer eine Arztvorstellung notwendig.

 

Wenn die Blasen nur auf einer kleinen Fläche in einem ungefährlichen Körperbereich auftreten, das Kind sich rasch beruhigen lässt und soweit unbeeinträchtigt wirkt, sind ein steriles Abdecken und die Vorstellung beim Kinderfacharzt zur Mitbeurteilung ausreichend.

 

Bei großflächigen (mehr als 10% KOF) Verbrennungen/Verbrühungen mit Blasenbildung der Haut (Grad 2), beeinträchtigtem Kind (starke Schmerzen) und/oder Auftreten in gefährlichen Körperregionen (Gesicht, Hände, Füße, Genitalbereich, Gelenke) sollte immer der Notruf abgesetzt werden.

 

Insbesondere Kinder, die husten und durch Ruß geschwärzte Augenbrauen bzw. eine dunkel belegte Zunge haben, sind ein absoluter Notfall. Sie können innerhalb kürzester Zeit eine schwere Rauchgasvergiftung mit Lungenödem entwickeln. Sie benötigen eine hochdosierte Sauerstoffgabe, eine Atemwegssicherung und intensivmedizinische Therapie.

 

Die Feiertage und das Festessen mit der Familie stehen bevor, doch vielen Eltern ist die Gefahr, die von manchen Lebensmitteln und Kleinteilen ausgeht, gar nicht bewusst.

Das Verschlucken oder Einatmen von Fremdkörpern kommt bei Kindern im Alter zwischen 6 Monaten bis 4 Jahren in der Weihnachtszeit besonders häufig vor. Besonders gefährlich sind das Verschlucken von Knopfbatterien oder mehrerer Magnete, sowie das Einatmen von Kleinteilen.

 

Kinder im Säuglingsalter sind wie kleine Staubsauger. Alles, was ihnen in die Hände fällt, wird untersucht und in den Mund gesteckt. Deshalb sollte man genau darauf achten, welche Weihnachtsdekoration und welche Art von Spielzeug man sich anschafft. Verschluckbare Kleinteile sollte man außer Reichweite von Kleinkindern lagern. Auch bestimmte Nahrungsmittel wie Erdnüsse, Mandeln, Walnüsse oder ganze Trauben sollte man nie offen herumstehen lassen!

 

Falls beim Kind ein Fremdkörper in die Luftröhre rutscht und es Symptome zeigt, ist es wichtig, Ruhe zu bewahren. Solange das Kind noch effektiv hustet, sollte man es in aufrechter Oberkörperposition, Kopf vornübergebeugt, dazu auffordern, weiterhin zu husten. Sobald das Husten nicht mehr funktioniert, sollte man zügig handeln, um Hilfe rufen bzw. den Notruf absetzen und dem Kind in Kopftieflage mit der flachen Hand fünfmal zwischen die Schulterblätter klopfen. Hilft dies nicht, sollte man den Säugling im nächsten Schritt in Rückenlage bringen und fünfmal auf den Brustkorb drücken. Bei älteren Kindern drückt man anstatt dessen auf den Oberbauch. Dadurch erhöht man den Druck im Brustkorb bzw. im Bauchraum. Dies führt dazu, dass der Fremdkörper nach oben befördert wird und dann ausgespuckt werden kann. Wird das Kind bewusstlos und zeigt keine Lebenszeichen mehr, muss umgehend mit der Reanimation begonnen werden.

 

Das Verschlucken von Knopfbatterien ist ein sehr zeitkritischer Notfall, da es dadurch in der Speiseröhre innerhalb weniger Stunden zur Bildung von Löchern (Perforationen) und somit zur Beschädigung von Gefäßen, Luftröhre, Brustraum kommen kann. Falls mehrere Magnete verschluckt werden kann es zum Darmverschluss und ebenfalls zum Absterben von Schleimhaut und somit zur Lochbildung kommen. Schon beim leisesten Verdacht muss bei diesen Krankheitsbildern sofort eine Vorstellung in der Kindernotfallambulanz erfolgen. Eine Wartezeit ist nicht vertretbar. Das Kind muss direkt drankommen!

 

Leckere Sachen mit Obst, Gebäck und verschiedenen Weihnachtsgewürzen gehören auch zum Fest. Woran kann man allergische Reaktionen erkennen und was sollte man tun?

Allergische Reaktionen machen sich z.B. durch ein Kribbeln auf der Zunge, im Hals oder durch ein Jucken am Gaumen und in den Ohren bemerkbar. Meistens ist das harmlos. Gefährlicher wird es, wenn mehr als ein Organsystem betroffen ist, z.B. Mund und Rachen anschwellen, Magen-Darm-Symptome, Atem- und/oder Kreislaufprobleme, Bewusstseinsstörungen und Krampfanfälle auftreten.

 

Damit dies nicht in eine Reanimationssituation mündet, muss rasch gehandelt und der Notruf getätigt werden. Um Panik zu vermeiden ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und auszustrahlen. Jegliche weitere körperlicher Anstrengung sollte vermieden und die Allergenzufuhr sofort gestoppt werden. Um herauszufinden, wie ernst die allergische Reaktion ist, sollte man Allgemeinzustand, Atmung und Kreislauf beim Kind untersuchen. Eine Inspektion der leicht sichtbaren Haut –und Schleimhautareale und, je nach Alter des Kindes, das Erfragen weiterer Beschwerden kann weitere Anhaltspunkte geben. Je nach Symptomen sollten Maßnahmen zur Verbesserung der Situation eingeleitet werden. Bei Luftnot empfiehlt sich eine halbsitzende Lagerung, bei Kreislaufversagen die Schocklagerung (Beine hoch). Geschwollene Areale können ggf. lokal gekühlt werden. Falls in der Hausapotheke vorhanden, können Eltern dem Kind Antihistaminika (z.B. Dimetindenmaleat, Cetirizin) und Cortison (als Saft oder Zäpfchen) geben. Hatte das Kind bereits eine schwerwiegende allergische Reaktion auf das auslösende Allergen oder sind mehr als ein Organsystem betroffen (Grad 2 Anaphylaxie) sollte auf jeden Fall dringend der Notruf (112) abgesetzt werden. Falls Zuhause ein Notfallset vorhanden ist, sollte als erste Maßnahme noch vor Eintreffen des Rettungsdienstes Adrenalin mittels Autoinjektor in den seitlichen Oberschenkelmuskel verabreicht werden.

 

Ein Weihnachtsbaum, der nicht bombensicher steht oder auch Geschenke können so manche Verletzungen verursachen. Wie kann man solchen Verletzungen vorbeugen?

Grundsätzlich macht es, unabhängig von der Saison, immer Sinn, sich in den aktuellen Entwicklungsstand seines Kindes hineinzuversetzen um herauszufinden, welche Gefahren gerade lauern. Kinder sollten auf keinen Fall mit dem Weihnachtsbaum, dem neuen Schaukelpferd oder kleinteiligen Geschenken alleine gelassen werden. Insbesondere Schlitten und andere Spielgeräte, mit denen hohe Geschwindigkeiten erreicht werden können, sollten vor dem ersten Gebrauch und dann regelmäßig auf deren Funktionsfähigkeit überprüft werden.

Zudem sollte man, gegenüber Kindern Verbote nicht einfach aussprechen, sondern ihnen altersentsprechend geduldig erklären, warum diese Sinn machen. Dann ist die Chance hoch, dass diese auch nachvollzogen werden können.

 

Wann ist der Moment, wo Eltern auf jeden Fall einen Notruf abgeben sollten und wann können sie auch selbst dem Kind helfen?

Um dies herauszufinden gibt es ein praktisches Instrument, das sogenannte pädiatrische Beurteilungsdreieck. Durch eine rasche Einschätzung der drei Kriterien Allgemeinzustand, Atmung und Kreislauf kann das Kind schnell in gesund, krank und kritisch krank eingeteilt werden. Jede Beeinträchtigung eines dieser drei Kriterien gilt als Alarmzeichen (Arztvorstellung). Bei Beeinträchtigung von zwei oder drei Kriterien gilt das Kind als kritisch krank (Notarzt rufen) und sollte schnellst möglich systematisch untersucht werden, um eine drohende Dekompensation von Atmung und Kreislauf zu erkennen und zu verhindern. Wichtig: Bei einer Beeinträchtigung des Bewusstseinszustandes sollte immer umgehend der Notarzt gerufen werden.

 

Wie sollten sich Eltern im Notfall richtig verhalten?

Ruhe zu bewahren ist das A und O, ganz unabhängig vom Ausbildungsstand. Angst lähmt und Respekt beflügelt! Im Notfall also ruhig durchatmen, Situation überblicken, eigene Sicherheit nicht vergessen, Bewusstsein, Atmung und Kreislauf kontrollieren und sichern, Hilfe- beziehungsweise Notruf (112) nicht vergessen und immer erst dann lebensrettende Maßnahmen beenden, wenn man durch professionelle Helfer/innen abgelöst wird.

 

Wo können Eltern und Angehörige weitere Infos und Tipps von Ihnen für das richtige Vorgehen im Notfall finden?

Um Eltern Ängste zu nehmen, eine gute Gesundheitskompetenz und ein gesundes Vertrauen in sich selbst zu vermitteln, engagiere ich mich an unterschiedlichsten Stellen. Neben der Vermittlung von praktischem Wissen in Präsenz teile ich seit 2019 auch online wichtige medizinische Informationen.

 

Im „Kindernotfall ABC-Onlinekurs“ (mapadoo.de/pages/kindernotfall) erfahren Eltern und alle, die mit Kindern im Alter zwischen 0 bis 3 Jahren umgehen, von mir alles Wissenswerte von Basics über wichtige Kindernotfälle bis hin zur Reanimation. Der Kurs ist orts- und zeitunabhängig und kann so perfekt in den Alltag integriert werden. Er beinhaltet neben Erklärvideos auch echte Fallbeispiele, Quizfragen und Checklisten. Zudem können jederzeit Verständnisfragen an mich gestellt werden.

 

Alle, die mit Kindern im Alter zwischen 0-12 Jahren umgehen, finden in meinem Buch „Fit für den Kindernotfall – von Fieber bis Reanimation“ (www.medhochzwei-verlag.de) kompakte und gut verständliche Praxisinformationen.

Auf der Kursseite von mapadoo.de stehen kostenlose Downloads von Elternleitfäden Postern und Kurzlehrvideos z.B. zum Thema „Nasenbluten“. „Zäpfchen verabreichen“ usw. zur Verfügung.

 

Weitere verlässliche Informationen, aktuelle Beiträge, Podcastfolgen und vieles mehr findet man auf meinen Social-Media-Kanälen unter drrieth.

 

Mein neuestes Herzensprojekt ist die kostenlose Bereitstellung des Kindernotfall-ABC Onlinekurses für Gehörlose in Gebärdensprache. Die Realisierung ist für Frühjahr 2023 geplant und wäre ein riesiger Schritt in Sachen Verbesserung der Kindergesundheit.

 

Vielen Dank für das Interview und eine schöne Adventszeit!

 

Text: Judit Nothdurft

Bild: Copyright: mapadoo

 
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