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Experten-Interview Juli 2011



Nach der Behandlung in Gebärdensprache verabschieden wir uns mit Händeschütteln oder manchmal mit einer Umarmung

 

Seit einigen Monaten wird die Adresse der Zahnklinik in Hamburg unter Gehörlosen als heißer Tipp gehandelt. Hier werden die Patienten der Zahnärztin Marianela von Schuler Alarcón in DGS behandelt.

 

 

Judit Nothdurft: Frau Alarcon als Sie Ihr Zahnmedizinstudium begannen, hätten Sie gedacht, dass Sie einmal Gehörlose in DGS behandeln werden?

Marianela von Schuler Alarcón: Indirekt ja! Ich hatte schon länger diesen Traum und immer daran gedacht, dass es schön wäre mit Gehörlosen / Hörgeschädigten in Gebärdensprache zu kommunizieren. Damals fand ich diese Sprache einfach schön und interessant. Natürlich wusste ich nicht genau, was dahinter steht. Zu dem Zeitpunkt war mir nicht wirklich bewusst, wie schwierig es für Gehörlose / Hörgeschädigte in der Wirklichkeit ist, an unserer Gesellschaft teilzuhaben. Ich persönlich kannte damals keine Gehörlosen und wusste nicht einmal, dass es eine Gehörlosenkultur gibt.

 

Vor ca. 5 Jahren hat mich meine beste Freundin auf die Problematik der Gehörlosen aufmerksam gemacht. Sie kommt aus Mexiko und hat seit langem Kontakt zu vielen Gehörlosen. Sie versucht die Integration zwischen Hörenden und Gehörlosen aktiv zu fördern. Eines Tages schenkte Sie mir ein Lehrbuch für DGS. Mit jedem Wort, das ich in der Gebärdensprache lernte, wurde meine Motivation größer und größer, so dass ich mir weitere Bücher kaufte und mir die Sprache soweit selbst beibrachte. Schließlich entschied ich mich nach dem Studium Gehörlose in DGS zu behandeln.

 

Erzählen Sie uns bitte, wie das alles in der Praxis anfing?

Zuerst habe ich meinen Chef Dr. med. Dr. med. dent. Tankred Stuckensen nach seiner Erlaubnis gefragt, denn wir wussten beide, dass der Aufwand sehr groß sein wird. Die Terminvereinbarung per E-Mail und Fax muss kontrolliert werden und wir brauchen für die Terminverwaltung zusätzliches Personal. Auch ich brauche für die allererste Untersuchung bei Hörgeschädigten / Gehörlosen viel Zeit. Zeit, die nicht bezahlt wird!

Trotzdem fand mein Chef das Projekt sehr interessant und unterstützenswert. Er hat mein Engagement befürwortet und wir haben uns entschlossen, Termine für gehörlose Patienten nur mittwochs zu vergeben. Wir dachten, so entsteht für den Anfang ein nicht so großes Chaos.

 

Nach dieser Entscheidung drehten wir für unsere Webseite (www.zahnklinik-hh.de/zahnarzt-hamburg-gehoerlos-gebaerdensprache) ein Video in DGS. Mit Hilfe dieses Filmes können sich Gehörlose schon vorab über unsere Praxis informieren. Wir haben unsere Website dazu auch mit Erläuterungen angereichert. Zusätzlich haben wir Flyer gedruckt und an verschiedene Institutionen wie z.B. an den Gehörlosenverband Hamburg verteilt.

 

Anschließend habe ich für unsere Empfangsdamen, Prophylaxedamen (Prophylaxe= Vorbeugung) und meine Assistentin eine kleine Einführung in die DGS durchgeführt. Wir waren alle sehr aufgeregt und standen unter großer Anspannung, ob unsere barrierefreie Kommunikation so verlaufen wird, wie sich es Gehörlose wünschen?

 

Aber es hat alles gut geklappt und wurde ein großer Erfolg! Zu unserer großen Überraschung waren bereits für die folgenden Mittwoche alle Termine vergeben. Da manche Patienten lange auf freie Termine hätten warten müssen, haben wir uns entschieden, jeden Tag in der Woche Termine zu vergeben.

 

Wie läuft die Behandlung eines gehörlosen Patienten bei Ihnen ab?

Wir haben für unsere gehörlosen Patienten eine eigene E-Mail Adresse eingerichtet. Natürlich können Menschen, die keine Computer haben oder nicht so gut damit umgehen, auch per Fax Termine vereinbaren. Unser Video auf der Webseite liefert weitere Informationen in Gebärdensprache, wie z.B. Anfahrt zur Klinik. Außerdem können hier die Patienten auch sehen, welche Formulare auszufüllen sind und wie der Behandlungsablauf für gehörlose Patienten gestaltet ist.

Am Empfang werden die Patienten von den Empfangsdamen in Gebärdensprache begrüßt. Sie erhalten die Krankenversicherungskarte und den ausgefüllten Fragebogen. Die Patienten werden danach gebeten, sich mit einem Identifikationsgegenstand ins Wartezimmer zu setzen, bis die Helferin und/oder Ärztin sie abholt.

 

Im Behandlungszimmer werde ich von meiner Assistentin unterstützt. Nach einem persönlichen Einführungsgespräch zu Person und Beschwerden sind ggf. Röntgenbilder erforderlich. Der Patient erhält einen Spiegel, der ihm zeigt, was zu sehen ist, wie z. B. ein Loch oder eine Zahnfleischentzündung. Ich erläutere dann anhand von Videos, welche Therapiemöglichkeiten es gibt, damit die Patienten eine bessere Vorstellung erhalten. Dies alles wird in DGS durchgeführt. Termine für eine Weiterbehandlung werden von meiner Assistentin Frau Palomino Davilá vergeben. Sie lernt momentan ebenfalls DGS. Am Ende der Behandlung verabschieden wir uns mit Händeschütteln oder manchmal mit einer Umarmung.

 

Es hört sich alles sehr professionell an! Haben Sie bereits während des Studiums über die Kommunikationsprobleme der Hörgeschädigten / Gehörlosen gehört?

Wie ich schon erwähnt habe, erst als meine Freundin mich aufmerksam gemacht hat, also vor ca. 5 Jahren.

 

Leider gibt es in Deutschland sehr wenig Mediziner, die gebärden können. Sie sind in Hamburg die einzige Zahnärztin mit DGS - Kenntnissen. Wie könnte man die Situation Ihrer Meinung nach verbessern? (Sollten Mediziner generell mindestens eine Einführung über den Umgang mit Gehörlosen bekommen?)

Unbedingt! Leider macht man sich zu wenig Gedanken über die Bedürfnisse von Menschen, die den gängigen Normen der Gesellschaft nicht entsprechen. Deswegen es ist wichtig, die Ärzte im Hinblick auf Gehörlose oder Hörgeschädigte zu schulen und sie zu sensibilisieren. Das geht nur mit mindestens einer Einführung. Man darf nicht vergessen, dass auch Gehörlose / Hörgeschädigte gerade, wenn sie krank werden, eine vertrauensvolle und barrierefreie Behandlung verdienen.

 

Worauf achten Sie besonders bei der Behandlung von hörgeschädigten Patienten?

Ich achte besonderes darauf, dass keine Missverständnisse entstehen. Deshalb trage ich bei der Gebärdensprache keinen Mundschutz und versuche Worte zu benutzen, die einfach zu verstehen sind. Sehr wichtig ist, dass ich immer Blickkontakt zu den Patienten habe.

 

Was sind Ihre Tätigkeitsschwerpunkte in der Praxis?

Ich versuche, Allgemein-Zahnarzt zu bleiben. Nur so kann ich sicher stellen, dass ich eine Vielseitigkeit bewahre. Natürlich mache ich gerne Wurzelbehandlung und Parodontologie (= Erkrankung der Zahnfleischtaschen), beide sind sehr wichtig für die Erhaltung der Zähne. Allerdings ziehe ich nicht gerne Zähne, denn für mich ist jeder Zahn ein Diamant!

 

Können Sie sich vorstellen, dass hier in der Praxis auch Gehörlose zu Arzthelferinnen ausgebildet werden?

Oh ja, das kann ich mir gut vorstellen! Meinen Chef habe ich auch schon gefragt und er war nicht abgeneigt. Jetzt müssen wir erst einmal alles gut organisieren.

 

Ihre Praxis ist ganzheitlich auf den Umgang mit Gehörlosen vorbereitet. Termine werden per Mail vergeben, die Webseite ist barrierefrei für Gehörlose und es gibt auch einen Infofilm in DGS. Waren das alles Ihre eigenen Ideen?

Ja, durch das Kennenlernen der Problematik von Gehörlosen und Hörgeschädigten war mir bewusst, wie wir vorgehen müssen, damit wirklich keine Barrieren entstehen.

 

Viele von uns gehen nicht gern zum Zahnarzt, einfach aus Angst. Wie oft sollte man im Jahr einen Zahnarzt aufsuchen?

Mindestens zweimal im Jahr sollte man zur Kontrolle gehen. Nur so es ist möglich, gesunde Zähne ohne Zahnverlust oder andere große Therapien zu erhalten.

 

Wie sieht es mit professioneller Zahnreinigung aus? Was ist in dieser Leistung drin und wie häufig wird sie von der Kasse bezahlt?

Die professionelle Zahnreinigung dauert zwischen 45-90 Minuten und ist eine reine Privatleistung. Bei der professionellen Zahnreinigung werden den Patienten die Putzdefizite dargestellt, alle Zähne gereinigt, poliert und die Zahnzwischenräume gründlich mit Zahnseide gesäubert. Zum Schluss werden die Zähne mit einem Fluoridlack versiegelt. Die Zahnreinigung, die von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt wird, umfasst nur die grobe Reinigung der Unterkiefer Frontzähne einmal pro Jahr.

 

Zum Schluss noch, welche Tipps würden Sie uns zur täglichen Zahnpflege geben?

Sie dürfen immer alles essen, nur muss man die Zähne gründlich putzen. Die Zahnpasta ist nicht unbedingt entscheidend, sondern die Zahnbürste! Diese muss geeignet sein, alle Speisereste gut zu entfernen. Es ist darauf zu achten, dass man nicht alle Zähne gleichseitig putzt, sondern jeden Zahn einzeln an allen Flächen putzt. Das heißt also auch zwischen den Zähnen und wenn die Zähne sauber sind, folgt die Zunge. Als letztes reicht eine gründliche Spülung mit Wasser. Mindestens 2 - 3 mal am Tag sollte man Zähne putzen!

 

Herzlichen Dank für das Interview und weiterhin viele Patienten!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Marianela von Schuler Alarcón

 

 

 
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