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Experten-Interview Juli 2023



Erfolgreiches IT-Unternehmen in Budapest setzt auf gehörlose Fachkräfte

 

Das IT-Unternehmen „SignCoders“ im Herzen von Budapest beschäftigt in erster Linie gehörlose Mitarbeiter. Anfang Juni habe ich die Möglichkeit gehabt, den Firmengründer Dr. Antal Károlyi und seine gehörlosen Kollegen vor Ort zu treffen und einen Einblick in den Firmenalltag zu bekommen.

 

Herr Dr. Károlyi, Sie haben das IT-Unternehmen „SignCoders“ 2020 als GmbH gegründet. Woher kam die Idee und welche Ziele verfolgen Sie?

Dr. Antal Károlyi: Unsere Tochter besucht die Budapester Gehörlosenschule. Durch sie habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Mehrheit der Hörbehinderten deutlich weniger gefordert und gefördert wird. Diese Benachteiligung ist besonders auffällig in der IT-Branche, wo ich tätig bin. Da diese Industrie dauerhaft unter Arbeitskräftemangel leidet, habe ich die Notwendigkeit aber auch die Gelegenheit gesehen, diese Marktlücke zu schließen.

 

Unsere Ziele sind die Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze für Gehörlose und die Förderung ihrer Integration in der IT-Branche. Wir streben auch danach, als Vorbild für andere Unternehmen zu dienen und ein Bewusstsein für die Fähigkeiten und Potenziale von Gehörlosen zu schaffen.

 

Womit beschäftigt sich Firma genau und welche Leistungen bietet sie an?

SignCoders ist ein IT-Unternehmen, das sich hauptsächlich auf Webentwicklung, Programmierung und digitale Projektumsetzung spezialisiert. Auf Deutsch heißt es, dass wir Webseiten und Mobilapplikationen entwerfen und bauen.

 

Unsere Aufträge kommen aus verschiedenen Branchen, darunter von Marketingagenturen, Webshops, Start-ups, gemeinnützigen Organisationen und kleineren Unternehmen. Viele Kunden kommen gezielt zu uns, weil sie unsere Ziele wertschätzen.

 

In Ungarn leben ca. 8.000 Gehörlose. Wie sind die Arbeitsmöglichkeiten für sie in der IT-Branche?

Die Beschäftigungsmöglichkeiten für Gehörlose in der IT-Branche in Ungarn sind derzeit stark begrenzt. Wir müssen die Hürden auf beiden Seiten abbauen. Die meisten Arbeitgeber sind nicht bereit die gewohnten Arbeitsabläufe selbst im Geringsten anzupassen. Auf der anderen Seite fehlen oft die nötigen Skills in der gehörlosen Gemeinde. Englischkenntnisse sind z.B. sehr wichtig in der Industrie; die sind leider meistens nicht vorhanden.

 

Inwieweit werden Sie als Arbeitgeber, der Gehörlose beschäftigt, von der Regierung unterstützt?

Das Bild ist gemischt. Eins ist klar, es könnte und sollte mehr Unterstützung geben!

 

Eine ausgesprochen große Hilfe ist der kostenlose Dolmetscherdienst. Es stehen 120 Stunden im Jahr für jede gehörlose Person zur Verfügung. Auf den ersten Blick scheint vielleicht diese Stundenzahl viel zu niedrig zu sein. Erfahrungsgemäß sind aber 120 Stunden mehr als genug, um unsere Kundenbesprechungen und öffentliche Vorträge barrierefrei zu gestalten. Dieser Service ist eine ernsthafte Unterstützung.

 

Weitere Hilfeleistungen trocknen allerdings schnell aus. Unsere kleine Firma bekommt nur minimale Steuererleichterungen. Finanzierungsmöglichkeiten für Schulungen und Ausbildungsprogramme sind so gut, wie nicht vorhanden.

 

Würden Sie uns kurz Ihre gehörlosen Kollegen vorstellen? (Ausbildung, Aufgaben usw,)

Aber sehr gerne! Mein Mitgründer ist Erik, Diplominformatiker. Seine Rolle als Geschäftsinhaber ist sehr wichtig für uns beide. Wir streben danach, dass unsere Kollegen sich in möglichst vielen Rollen ebenbürtig beweisen.

 

Anna ist Grafikerin ebenfalls mit Uniabschluss. Sie ist für Webdesign und alle möglichen Designaufgaben zuständig. Sie ist die Seele des Teams.

 

Zoltán hat Abi auf einer technischen Mittelschule gemacht. Er ist Webentwickler und Gebärdensprachlehrer. Seine IS- und ASL-Kenntnisse sind ausgesprochen hilfreich in der internationalen Zusammenarbeit.

 

Róbert hilft uns bei der Kommunikation auf LinkedIn. Mit einem BA-Abschluss in Management und einem MA-Abschluss in Personalwesen ist er ein leidenschaftlicher Kämpfer für Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion.

 

Als Hörender können Sie sehr gut gebärden. Wie kommen Sie zur Gebärdensprache?

Das ist aber sehr nett, Frau Nothdurft! Es gibt allerdings noch viel zu lernen. Meine Kollegen helfen mir unheimlich viel.

 

Die Ungarische Gebärdensprache ermöglicht die Kommunikation mit unserer Tochter. Wir sind sehr dankbar für diese wunderbare Kommunikationsform, die wir in der Familie in den letzten Jahren zu schätzen und lieben gelernt haben.

 

Wie klappt die interne Kommunikation bzw. die Kommunikation mit den Auftraggebern?

Die interne Kommunikation läuft mittlerweile überwiegend auf Ungarischer Gebärdensprache.

 

Ich bin stolz darauf, dass wir komplexe Themen ohne Dolmetscherinnen im Team diskutieren können. Da sind meine Kollegen hilfreich und ausgesprochen geduldig mit mir. Bei der wöchentlichen Planungsbesprechung nehmen wir trotzdem Dolmetscherinnen in Anspruch. Da ist es wichtig für uns, dass alle in ihrer Muttersprache kommunizieren zu können.

 

In der IT-Branche läuft 95% der Kommunikation schriftlich. Auch im Team. Wir benutzen Slack, eine populäre Chat-Software.

 

Bei Kundenanfragen nehme ich in der Regel den ersten Kontakt auf. Bei dem Projektablauf ziehen wir die direkte Kommunikation zwischen unseren Kunden und den gehörlosen Teammitgliedern vor. Anna z.B. schlägt sich persönlich oder online auf Kamera gut durch. In Ausnahmefällen haben wir auch Dolmetscherinnen genutzt. Es ist aber wirklich selten nötig.

 

So wie ich jetzt in dieser kurzen Zeit beobachten konnte, ist der Umgang hier im Büro miteinander sehr unkompliziert und freundschaftlich. Man hat so das Gefühl, Teil einer großen Familie zu sein…

Vielen herzlichen Dank, es freut mich zu hören! Ich glaube und fühle es auch, dass es in der Tat so ist. Es ist erfüllend mit solchen wunderbaren Menschen täglich zusammen zu arbeiten.

 

Möchten Sie bei „SignCoders“ noch weitere Arbeitskräfte mit Behinderung einstellen? Wenn ja, was sind die Auswahlkriterien?

Wir müssen unbedingt weiterwachsen. Erstens ist das Ziel die IT-Karriere möglichst vielen hörbehinderten Personen anzubieten. Zweitens brauchen wir etwa fünfzehn Kollegen, um minimale Effizienz zu erreichen. Glücklicherweise gibt es viele Kandidaten, die gerne bei uns arbeiten würden.

 

Hörende Bewerber müssen bereit sein, die Ungarische Gebärdensprache erlernen zu wollen.

 

Können Sie sich vorstellen, Ihr Firmenkonzept auch im Ausland zu realisieren?

Wir haben bereits drei Erasmus+ Projekte mit anderen Gehörlosenorganisationen aus ganz Europa. Dies sind die ersten Schritte, um internationale Zusammenarbeit zu üben. Mittelfristig würden wir sehr gerne das SignCoders-Model auch im Ausland realisieren!

 

Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg mit Ihrer Firma!

 

Text: Judit Nothdurft

Fotorechte: SignCoders Kft.

Foto: stehend: Zoltán, Antal, sitzend: Róbert, Anna, Erik

 
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