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Experten-Interview September 2023



Probleme bei der Hörgeräteversorgung? Tipps vom Rechtsanwalt

 

Brauchen Sie neue Hörgeräte? Sie haben schon einige getestet? Mit den „Kassengeräten“ hören Sie ganz schlecht und mit den wesentlich teureren Geräten hören Sie besser? Aber was tun, wenn die Krankenkasse nur den Festbetrag für die Hörgeräte zahlen will? Hierzu habe ich den Fachanwalt für Sozial- und Medizinrecht, Dr. Robert Weber aus Berlin, interviewt.

 

Herr Dr. Weber welchen Festbetrag zahlen die Krankenkassen momentan für die Hörgeräte bei einer beidseitigen Versorgung?

Dr. Robert Weber: Die Festbeträge sind unterschiedlich, momentan gelten folgende Zuschüsse von der Krankenkasse für:

 

·         Ein Hörgerät                             830 Euro

·         Das andere Hörgerät               662 Euro

·         Zwei Ohrpassstücke                  67 Euro

·         Servicepauschale                     360 Euro

·         Summe                                  1.919 Euro

 

Das gilt für die an Taubheit grenzend Schwerhörigen. Alle anderen bekommen 1.514 Euro. Diese Zahlen stammen von der Techniker Krankenkasse. Kleine Abweichungen gegenüber anderen Kassen sind möglich.

 

Oft reicht die Leistung der Kassengeräte nicht aus. Müsste die Krankenkasse in solchen Fällen nicht mehr als nur den Festbetrag zahlen?

Ja, müsste sie! Das steht in der Begutachtungsanleitung „Apparative Versorgung bei Schwerhörigkeit“ unter Ziff. 2.1.6.4. Diese Begutachtungsanleitung ist eine Richtlinie des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen im Sinne von § 282 SGB V.

Zitat aus dieser Begutachtungsanleitung:

       „…Eine Versorgung mit Hörhilfen außerhalb des Festbetrags kann nur ausnahmsweise in medizinisch begründeten Fällen in Frage kommen….“.

 

Sie beraten bundesweit Klienten, welche Tipps geben Sie Hörgerätekunden?

Mein erster Tipp: Führen Sie ein persönliches Hörtagebuch! Damit können Sie darlegen, was Sie persönlich während Ihrer Testphasen wahrgenommen haben. Schreiben Sie auf, warum das eine Hörgerät für Sie alltagstauglicher als das andere war.

Zweiter Tipp: Auch eigenanteilsfrei unterbreitete Angebote ernsthaft testen!

Dritter Tipp: Nicht zu früh kaufen, erst einen Bescheid der Kasse abwarten!

 

Nehmen wir ein Beispiel: Ich habe den Kostenvoranschlag eines Hörakustikers erhalten. Die Krankenkasse will nur den Festbetrag in Höhe von 1.500 Euro bezahlen. Ich müsste für Geräte, mit denen ich gut hören kann, 3.500 Euro selbst zahlen. Was mache ich jetzt?

Sie überlegen zusammen mit Ihrem Hörakustiker, ob es nicht doch noch kostengünstigere Varianten gibt, mit denen Sie ebenfalls klarkommen.

Wenn es unbedingt für Sie die 3.500 Euro - Versorgung sein muss und die Krankenkasse dazu bereits einen Bescheid erlassen hat, dann kaufen und zahlen Sie. Trotzdem können Sie zugleich mit Volldampf weiter den Rechtsweg beschreiten: Widerspruch – Klage – Berufung.

Wenn Sie gewinnen, muss die Kasse Ihnen den Eigenanteil erstatten, den Sie an den Akustiker geleistet haben.

 

Im Falle einer Klage, mit welchen die Kosten muss man rechnen und wer muss sie zahlen?

Hier muss man mit folgenden Rechtsanwaltskosten planen:

·         im Widerspruchsverfahren:                    ca. 500,00 Euro

·         im Klageverfahren:                                 ca. 1.000 – 1.500 Euro

·         Berufungsverfahren (selten):                 ca. 1.000 – 1.500 Euro

 

Soweit der Kläger den Prozess endgültig in vollem Umfang gewinnt, muss die Kasse ihm diese Rechtsanwaltskosten erstatten. Manchmal muss nur ein Teil erstattet werden, wenn der Rechtsstreit nur zu einem Teil erfolgreich endet. Wenn der Kläger verliert, bleibt er oder seine Rechtsschutzversicherung auf den eigenen Rechtsanwaltskosten sitzen.

 

Die gute Nachricht ist: Keine Gerichtskosten in sozialgerichtlichen Streitigkeiten!

 

Welche Kosten übernimmt die Rechtsschutzversicherung?

Die Rechtsschutzversicherung übernimmt die Rechtsanwaltskosten, die im gerichtlichen Verfahren anfallen. Manchmal auch bereits diejenigen Rechtsanwaltskosten, die im vorherigen Widerspruchsverfahren anfallen.

Abwesenheitsgelder, Fahrtkosten und Hotelkosten werden von Rechtsschutzversicherungen grundsätzlich nicht übernommen. Wenn ich von Berlin aus zum Sozialgericht Cottbus fahren muss, ist das kein Problem. Dresden, Leipzig, Neubrandenburg, Gotha und Chemnitz, das geht für mich auch ohne Hotelkosten.

 

Aber z.B. das Ruhrgebiet ist für mich von Berlin aus natürlich schon etwas anderes. Bei größeren Entfernungen kann es sein, dass mein Mandant trotz Rechtsschutzversicherung für die Bahnfahrt und für ein Hotel zusätzlich etwas bezahlen muss. Außerdem ein Abwesenheitsgeld in Höhe von 80 Euro plus MwSt.

 

Kann man hierzu Prozesskostenhilfe beantragen und wenn ja, wo?

Ja, einen Prozesskostenhilfeantrag kann man an das Sozialgericht richten.

 

Wenn man nichts bezahlen kann und der Hörakustiker nichts verschenken oder verleihen will, dann kann ein Eilantrag gestellt werden, genannt: „Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung“. Auch für so einen Eilantrag kann Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Ein Rechtsanwalt kann juristisch einschätzen, ob ein „Eilantrag“ in Frage kommt oder nicht.

 

Wie viele Hörgerätefälle bearbeiten Sie im Jahr?

Seeeehr viele!

 

Vielen Dank für das Interview und ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!

 

Text: Judit Nothdurft

Bild: Dr. Robert Weber

 
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