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Experten-Interview August 2012



Am besten alle Belege aufheben!

 

Die gehörlose Marietta Schumacher ist gelernte Bilanzbuchhalterin und verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Steuerberatung.

 

Judit Nothdurft: Frau Schumacher, zunächst erklären Sie uns bitte, welche Steuerklasse sollte man wählen?

Marietta Schumacher: Nun, in Deutschland gibt es sechs Steuerklassen. Welche Steuerklasse man erhält bzw. wählen kann, hängt immer von der persönlichen Situation ab.

Hier einige Beispiele

Lohnsteuerklasse I erhalten

 

Lohnsteuerklasse II ist für Alleinerziehende, bei denen die Voraussetzungen der Steuerklasse I vorliegen und die Anspruch auf den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende haben.

 

Lohnsteuerklasse III ist für

  • Verheiratete, die nicht dauernd getrennt leben und nicht die Steuerklasse IV gewählt haben (in diesem Fall erhält der berufstätige Ehepartner die Steuerklasse V). Auch wenn der andere Ehepartner nicht berufstätig oder selbstständig ist, wird die Lohnsteuerklasse III zugewiesen.
  • Verwitwete Arbeitnehmer für das, auf das Todesjahr des Ehegatten folgende Kalenderjahr

 

Lohnsteuerklasse IV ist für verheiratete Arbeitnehmer, wenn beide Ehegatten diese Steuerklasse gewählt haben. (Wählt einer der Ehegatten Steuerklasse III, kann der andere nicht die Steuerklasse IV nehmen, sondern erhält die Steuerklasse V!). Diese Steuerklasse zu wählen, macht einen Sinn, wenn beide ungefähr gleich verdienen.

 

Lohnsteuerklasse V ist für Verheiratete, wenn der andere Ehegatte Steuerklasse III hat.

Wer deutlich besser verdient sollte die Steuerklasse III wählen; der andere Partner erhält dann die Steuerklasse V.

 

Ob Verheiratete Steuerklasse IV-IV oder III-V wählen, beeinflusst nur die Höhe des Lohnsteuerabzuges und damit die Höhe des Nettoverdienstes. Die endgültige Höhe der Steuer wird bei der Einkommensteuer- bzw. Lohnsteuererklärung im nächsten Jahr festgelegt. Wer zu viel Lohnsteuer bezahlt hat, erhält diesen Betrag beim Lohnsteuer-jahresausgleich bzw. bei der Einkommensteuererklärung zurück.

 

Lohnsteuerklasse VI bekommen Arbeitnehmer, die ein zweites oder weiteres Dienstverhältnis haben. Aber aufpassen, diese Lohnsteuerklasse verursacht die höchste Steuerbelastung, außerdem kann nur der Altersentlastungsbetrag als Freibetrag berücksichtigt werden!

 

Welche Steuerfreibeträge stehen Gehörlosen zu?

Der Steuerfreibeträge sind unterschiedlich und richten sich nach dem Grad der Behinderung, der in % angegeben ist und den eingetragenen Buchstaben.

Ohne den Buchstaben „H“ liegen die Freibeträge, z.B. bei einer Behinderung von:

100%   1.460,00 Euro; 90%   1.230,00 Euro; 80%   1.060,00 Euro

Wer im Behindertenausweis 100%  und den Buchstaben „H“ hat, bekommt jährlich einen Freibetrag von 3.700,00 Euro.

Für die Fahrtkosten zur Arbeitsstätte erhält man 0,60 Euro pro Entfernungskilometer.

Es ist auf jeden Fall sinnvoll, alle Freibeträge auf der Steuerkarte eintragen zu lassen.

 

Welche Belege sollte man im Laufe des Jahres für die Steuererklärung aufheben?

Am besten alle Belege aufheben! Erstens, sie sind wichtig für die Steuererklärung und bilden auch die Grundlage. Zweitens, wenn später laut Steuerbescheid bestimmte Kosten nicht anerkannt worden sind, kann man Widerspruch einlegen. Hier braucht man dann die Belege wieder. Und auch wenn alle Angaben akzeptiert wurden, ist der Papierkorb der falsche Ort. Denn die Verjährungsfrist bei Alltagsgeschäften beträgt in der Regel drei Jahre.

 

Eine Steuererklärung auszufüllen, macht nicht gerade Spaß. Viele verzichten deshalb lieber drauf. So bleibt das Geld, das zurückgefordert werden kann, beim Staat. Wem raten Sie auf jeden Fall eine Steuererklärung zu machen?

Ich empfehle grundsätzlich jedem, der wenigstens ein Einkommen aus den unten aufgeführten  Einkunftsarten bezieht, eine Steuererklärung abzugeben.

 

·         Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft

·         Einkünfte aus Gewerbebetrieb

·         Einkünfte aus selbständiger Arbeit

·         Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit

·         Einkünfte aus Kapitalvermögen

·         Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung

·         Sonstige Einkünfte wie z.B. Rente

 

Wann sollte man die Steuererklärung abgeben?

Bei der Abgabe von Steuererklärungen gibt es gesetzliche Fristen. Für die Einkommensteuererklärung ist Abgabetermin am 31. Mai des Folgejahres. Schafft man es nicht, kann man schriftlich eine Fristverlängerung (bis zum 30. September des Folgejahres) beantragen.

 

Wenn die Steuererklärung von einem Steuerberater oder einem Lohnsteuerhilfeverein gemacht wird, dann gibt es eine Fristverlängerung bis zum 31. Dezember des Folgejahres.

 

Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, so wird eine Veranlagung zur Einkommensteuer nur durchgeführt, wenn diese beantragt wird. Durch die Abgabe einer Steuererklärung ist der Antrag auf Veranlagung spätestens bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist zu stellen. Personen, die nicht gesetzlich zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sind, können sich für die Abgabe der Steuererklärung vier Jahre Zeit nehmen.

Bevor die Abgabefrist abläuft, sollte man in jedem Fall eine Fristverlängerung beantragen. Ansonsten kann das Finanzamt einen Verspätungszuschlag verlangen.

 

Als Betroffene wissen Sie am besten, welche Steuervergünstigungen Gehörlose geltend machen können

Allgemein ist zu sagen, dass diejenigen, die im einen Schwerbehindertenausweis haben, mehr Steuervergünstigungen geltend machen können. Wer zusätzlich noch den Buchstaben „H“ (hilflos) auf seinem Schwerbehindertenausweis stehen hat, kann mit noch mehr Vergünstigungen rechnen.

 

Wie kann man noch weitere Steuern sparen?

Man kann bei der Steuererklärung z.B. angeben:

  • Anschaffungen im Laufe des Jahres (Monitor, Drucker und Scanner)
  • Fahrtkosten für Zweitwohnsitz
  • Kosten für ein berufsbegleitendes Studium
  • Spenden u. Mitgliedsbeiträge von Vereinen (mit Quittung)
  • Kosten für Vereinsarbeiten, z.B. Verwaltungskosten und Reisekosten (wenn der Verein die Kosten nicht erstattet hat)
  • Aufwandsentschädigung für Übungsleiterfreibetrag bis 2.100,00 €
  • Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Tätigkeit bis 500,00 €

 

Wie sieht es mit Hilfsmitteln (Hörgerät, Blitzwecker, visuelle Rauchmelder usw.) aus, die Hörgeschädigte auf jeden Fall brauchen? Kann man diese Anschaffungen auch in der Steuererklärung angeben?

Auf jeden Fall sollte man diese Anschaffungen in der Steuererklärung angeben. Ob sie anerkannt werden, kommt auf die Höhe der zumutbaren Belastungen an. Hier ein Beispiel dazu:

Ein unverheirateter Steuerpflichtiger, ohne Kind, mit einem Gesamteinkommen von 40.000 Euro, hat im Jahr 2010 Krankheitskosten in Höhe von 3.000 €. Diese werden nicht von der Krankenkasse erstattet und er gibt sie als außergewöhnliche Belastung an.

 

1.     Die Kosten (3.000 €) werden als „außergewöhnliche Belastung“ angegeben

2.     steuerlich zumutbar sind 6% des Einkommens, also 6% von 40.000 € sind 2.400 €

3.    Der Restbetrag (3.000 - 2.400 =) 600 € mindert seine Steuern.

 

Die ewige Frage um das Arbeitszimmer … Wer kann sein Arbeitszimmer steuerlich absetzen?

Das Arbeitzimmer kann man absetzen, wenn man einen Heimarbeitsplatz (Vollzeit) hat oder das Arbeitszimmer außer Haus oder außerhalb der Wohnung ist. In diesen letzteren Fällen kann das komplette Arbeitszimmer steuerlich abgesetzt werden - selbst wenn man nicht Vollzeit darin arbeitet.

Das Finanzamt achtet darauf, ob das Arbeitszimmer tatsächlich außer Haus liegt. Es liegt nur dann außer Haus, wenn es nicht direkt vom Haus oder der Wohnung aus zu erreichen ist.

Für Mehrfamilienhäuser gilt ein Arbeitszimmer nur dann als außerhäuslich, wenn

·         es nicht auf derselben Etage liegt wie die Wohnung

·         es ausschließlich über ein auch von anderen Mietern genutztes Treppenhaus erreichbar ist

 

Für Eigenheime ist ein Arbeitszimmer in einem Anbau steuerlich absetzbar, wenn

·         das Arbeitszimmer nicht über das Haus betretbar ist

·         der Anbau einen eigenen Zugang von draußen hat

Erst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kann man die Kosten für das häusliche Arbeitszimmer angeben

 

Viele Hörgeschädigte haben einen Zweitwohnsitz, berufsbedingt oder wegen der Schule? Welche Steuertipps haben Sie hier?

Nach einem neuen Urteil können Arbeitnehmer die Aufwendungen für eine Zweitwohnung absetzen. Es ist egal, ob sie aus beruflichen oder privaten Gründen umgezogen sind. Wichtig ist, dass sie eine Zweitwohnung nutzen, weil sie von dort aus den Arbeitsplatz schneller erreichen können, und ihr Lebensmittelpunkt sich in der weiter entfernten Hauptwohnung befindet. In solchen Fällen kann man z.B. die Fahrkosten, Reisekosten und die Verpflegungspauschale geltend machen.

 

Worauf sollte man achten, wenn man den Steuerbescheid vom Finanzamt bekommt?

Auf jeden Fall sollte man den Bescheid genau überprüfen, ob alle Angaben berücksichtigt worden sind. Wenn dies nicht der Fall ist (z.B. bestimmte Kosten wurden nicht akzeptiert), dann sollte man schriftlich Einspruch erheben.

 

Sie machen Steuererklärungen und beraten Gehörlose bei Steuerfragen. Wer kann sich bei Ihnen beraten lassen?

Ich berate steuerpflichtige Angestellte, Rentner und Studenten persönlich und auch vor Ort. Voraussichtlich werde ich ab August 2012 auch Selbständige beraten. Ich bin bundesweit tätig (www.lbv-gebärden-düren.de) und habe auch Mandanten, die sehr weit von meinem Büro wohnen. In solchen Fällen läuft die Kommunikation über Bildtelefon, Skype, Email oder telefonisch (bei hörenden Kunden) über meine Arbeitsassistenz.

Ich halte bundesweit auch Vorträge, auch hier können die Teilnehmer mit mir einen Beratungstermin vereinbaren.

 

Text: Judit Nothdurft

Bild: Marietta Schumacher

 

 
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