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Experten-Interview März 2013



Bundesverdienstorden für die Gehörlose Rosa Reinhardt

 

Sie ist seit 15 Jahren ehrenamtlich für gehörlose Menschen in der AIDS-Beratung tätig. Am 06. Oktober 2012 wurde ihr als Anerkennung der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland verliehen.

 

Judit Nothdurft: Frau Reinhardt kam diese Auszeichnung für Sie überraschend?

Rosa Reinhardt: Absolut! Ich habe vorher gar nichts gewusst. Wir waren an diesem Tag zu einer Tagung der AIDS-Beratung Mittelfranken eingeladen, wo mehrere interessante Vorträge auf dem Programm standen.

Meine Freundin sagte noch in der Früh: „Bitte zieh dich heute schön an“. Ich habe mich schon etwas gewundert, denn es sollte ein ganz normaler Tag sein. Aber sie war so hartnäckig, dass ich schließlich doch eine schöne Bluse anzog und wir fuhren los.

Während der Tagung hörten wir die verschiedenen Vorträge an. In der Pause führte Wladi Rzepka (AIDS-Beratung Mittelfranken) mich und meine Freundin zu einem Raum, wo er mir etwas zeigen wollte. Er machte die Tür auf und mir blieb der Mund offen! Drinnen standen meine Eltern, die 230 km entfernt wohnen, und die Mutter meiner Freundin.

„Was macht ihr denn da?“, wollte ich wissen. Sie lächelten alle und sagten, dass ich heute eine Auszeichnung bekomme. Ehrlich gesagt, ich dachte dabei an eine kleine Auszeichnung, aber nie im Traum an den Bundesverdienstorden.

Als der Bürgermeister von Schwabach (Wohnort von Frau Reinhardt) mir den Orden überreichte, konnte ich noch immer kaum glauben, dass ich so eine hohe Auszeichnung bekomme. Die Auszeichnung und die anschließende Feier waren für mich eine ganz große Überraschung! Ich habe wirklich nichts gewusst. Meine Freundin und meine Familie haben alles geheim gehalten.

 

Wie und wann tragen Sie den Orden?

Ich trage ihn zu besonderen Veranstaltungen und Feierlichkeiten. Es gibt auch eine Empfehlung, wo die Trageweise genau beschrieben ist. Hier steht drin, dass man den Orden auch im Büro tragen kann und Frauen sollen die Verdienstmedaille ca. eine Handbreit unterhalb der linken Schulter tragen.

 

Wie waren die Reaktionen auf Ihre Auszeichnung?

In meinem Wohnort wurde viel in den Zeitungen berichtet. Seitdem erkennen mich die Leute auf der Straße, beim Bäcker, gratulieren und begegnen mir mit sehr viel Respekt. Es ist ein schönes Gefühl für mich.

Auch viele Gehörlose haben mir gratuliert und wollten wissen, was diese Auszeichnung bedeutet; ob ich dazu auch Geld bekommen habe usw.

 

Und gab es auch Geld?

Nein, die Medaille und einen Blumenstrauß mit einem Präsent von der Stadt Schwabach.

 

Sind Sie eigentlich die einzige Gehörlose, die den Bundesverdienstorden hat oder …

Diese Frage hat mich auch beschäftigt und ich habe natürlich im Internet nachgeschaut. Dort stehen einige Namen von Gehörlosen, wie Rudolf Gast (Bayern), Gerhard Ehrenreich (Würzburg) usw.

 

Sie machen seit 1998 die AIDS-Beratung? Wie hat es angefangen?

Angefangen hat es damit, dass zwei gute Freunde von mir an AIDS gestorben sind. Es hat mich sehr tief getroffen und ich habe überlegt, wie man Gehörlose aufklären könnte. Ich bin Gebärdensprachdozentin und ein Teilnehmer in meinem damaligen Kurs arbeitete in der AIDS Beratung. Ich habe ihn gebeten, dass er den Kontakt herstellt und so ging es los.

 

Was hat sich in den vergangenen 15 Jahren verändert?

Oh, es hat sich vieles getan! Wir haben z.B. vor vier Jahren in Bayern eine Plakataktion gestartet. Hier gebärden wir für Gehörlose wichtige Infos über AIDS und Prävention (=Vorbeugung) auf 13 Plakaten. Für Frauen gebärden Frauen und behandeln auch Frauenthemen, wie z.B: Schwangerschaft. Für Männer gibt es männliche Darsteller auf den Plakaten. Für mich als Frau, ist ja ein Plakat ansprechender, wo ich von Frauen aufgeklärt werde.

Wir haben uns ganz bewusst für diese Plakatform entschieden, denn ein Flyer wandert schnell in den Mülleimer. Plakate hingegen kann man aufhängen und man hat die Infos immer vor Augen.

Auf Youtube gibt es auch noch drei Clips und auf dem Portal des Gesundheitsamtes in Nürnberg läuft zur Zeit ein AIDS-Infofilm (ca. 6 Min), alles natürlich in Gebärdensprache.

 

Wie gut sind Gehörlose über AIDS informiert?

Das ist sehr unterschiedlich. Man muss auch wissen, dass es in Deutschland nur zwei AIDS Beratungsstellen gibt für Gehörlose, in Nürnberg und in Hamburg! Gerade Jugendliche wissen viel zu wenig.

Seit 8 Jahren berate ich Schüler der 7. bis 10. Klassen in den Gehörlosenschulen München, Bamberg und Augsburg. Am Anfang frage ich sie, was AIDS bedeutet? Einige denken, dass es Krebs bedeutet und der Betroffene stirbt bald. Andere meinen, dass Sex ansteckend ist. Kaum einer weiß, wie man sich gegen AIDS schützen muss. Es ist erstaunlich, wie wenig sie wissen. Es wäre wirklich wichtig, dass deutschlandweit in jeder Gehörlosenschule eine AIDS Beratung statt findet.

Bei diesen Unterrichtsstunden habe ich auch eine Präventionsmappe über sexuell übertragbare Krankheiten dabei. Hier werden mit vielen Bildern z. B. die Ansteckungsrisiken gezeigt. Mit dem Verhütungsmittelkoffer kann ich gleich die Anwendung eines Kondoms praktisch zeigen. So ein Unterricht dauert 3 Stunden und die Kinder sind jedes Mal fasziniert. Am besten läuft die Beratung natürlich, wenn die Lehrer nicht dabei sind. Erst dann öffnen sich plötzlich die Kinder und trauen sich Fragen zu stellen.

 

Ihre Aids Beratung bei der Stadtmission in Nürnberg ist kostenlos. Wann sind Sie hier zu erreichen?

Ich bin jeden ersten Mittwoch von 18-20 Uhr in der Rieterstraße 23. Jeder kann einfach kommen, ohne vorher einen Termin zu vereinbaren.

 

Zum Schluss noch eine Frage. Was bedeutet die rote AIDS-Schleife?

Oh, das fragen Gehörlose mich oft! Also die rote AIDS Schleife bedeutet Solidarität mit den Betroffenen. Aber wir Gehörlose haben auch eine rote AIDS-Schleife, wo zwei Händen in Regenbogenfarben darauf sind. Rot steht hier auch für Solidarität, die Hände symbolisieren unsere Gebärdensprache und die Regenbogenfarbe bedeutet Homo.

 

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Judit Nothdurft

 

 
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