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Experten-Interview Oktober 2013



DanielBueter-beschnittenMein Ziel ist, die Lebensqualität der Menschen mit Hörbehinderung zu verbessern

Im September gab es eine große Podiumsdiskussion in Stuttgart zum Thema Gebärdensprachassistenz. Den Organisator, Daniel Büter, habe ich über seine Arbeit und seine Pläne interviewt.

Judit Nothdurft: Herr Büter, Sie sind seit März 2013 der neue Geschäftsführer im Landesverband der Gehörlosen Baden-Württemberg e.V. Sie sind in Jena geboren und leben jetzt in Stuttgart. Wie war Ihr Weg hierher?

Daniel Büter: Ihre Frage veranlasst mich, mir Gedanken über meinen bisherigen Lebensweg zu machen. Ich möchte versuchen, die Frage kurz zu beantworten.

Mein Weg war für mich wie eine lange Achterbahnfahrt. Ich bin in Jena geboren und in Halberstadt aufgewachsen. Nach dem Realschulabschluss besuchte ich die Kollegschule im Bildungsgang Wirtschaft in Essen und machte erfolgreich mein Abitur.

Anschließend nahm ich einen Ausbildungsplatz zum Versicherungskaufmann in Berlin an. Leider wurde ich in der Probezeit gekündigt. Danach arbeitete ich freiberuflich als Gebärdensprachdozent. Von 2003 an studierte ich Lehramt Sonderpädagogik an der Universität Köln und machte das erste Staatsexamen. Ehrenamtlich war ich als Vorstandsmitglied im Gehörlosenverband München und Umland e.V. engagiert und wirkte u. a. intensiv bei der Organisation des 1. Internationalen Fachkongresses 2010 in Saarbrücken und der 5. Deutschen Kulturtage der Gehörlosen 2012 in Erfurt mit. Bei der Abschlussfeier in Erfurt habe ich endgültig entschieden, das Referendariat in München nicht mehr erfolgreich abzuschließen und mich beruflich neu zu orientieren. Seit März 2013 bin ich als Geschäftsführer hier beim Landesverband der Gehörlosen Baden-Württemberg e.V. tätig.

Wie weit haben Sie sich beruflich und privat in Stuttgart eingelebt?

Stuttgart ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Bis jetzt habe ich mich ganz gut eingelebt und auch schon ein paar nette Leute kennengelernt. Ich freue mich darauf diese Stadt und überhaupt Baden-Württemberg besser kennenzulernen.

Welche Aufgaben haben Sie als hauptberuflicher Geschäftsführer im Landesverband?

Nun, ich arbeite jetzt schon ein halbes Jahr hier in der Geschäftsstelle und die Arbeit bereitet mir große Freude und macht wirklich viel Spaß!

Zurzeit lässt sich meine Tätigkeit in fünf Bereiche aufteilen: Mitgliederverwaltung, Öffentlichkeitsarbeit, Haushalt und Finanzen, Dienstleistungen und Projekte. Mir ist es leider noch nicht gelungen, alle Aufgaben, besonders solche die sehr vielseitig sind, zu erledigen. Dafür fehlen das Personal, wie beispielsweise eine Arbeitsassistenz, die Anerkennung und das Geld, um die Ziele des Landesverbandes zu erreichen.

Sind Sie oft beruflich unterwegs?

Oh ja! Der Landesverband der Gehörlosen Baden-Württemberg ist eine Interessenvertretung für Menschen mit Hörbehinderung, der zurzeit 30 Mitgliedsvereine mit ca. 1.800 Mitgliedern umfasst. Für mich ist die Zusammenarbeit mit Vereinen, anderen Behindertenorganisationen, Ministerien, Behörden und Medien wichtig, um die Probleme der Menschen mit Hörbehinderung durch Öffentlichkeitsarbeit aufzuklären und zu beseitigen.

Sie haben in Stuttgart anlässlich des Tages der Gebärdensprache eine Podiumsdiskussion zum Thema Gebärdensprachassistenz organisiert…

Bereits Anfang Juni haben wir mit der Organisation und der Planung begonnen. Es war nicht einfach, die Leute vom Kommunalverband für Jugend und Soziales, Integrationsamt und Integrationsfachdienst für eine Podiumsdiskussion zu gewinnen. Ohne diese Vertreter, die die Kostenträger sind, kann man sich zum Thema „Arbeitsassistenz“ aber nicht richtig austauschen und gemeinsam neue Lösungswege erarbeiten. Wir haben es doch geschafft, dass zwei Mitarbeiter des Integrationsamtes und des Integrationsfachdienstes zusagten und an der Podiumsdiskussion teilnahmen. Ich bin sehr zufrieden, dass der „Tag der Gebärdensprache“ so gut und erfolgreich verlaufen ist.

Als Grundlage der Diskussion mit Politikern und Kostenträgern diente das Thesenpapier, das Sie vorab verfasst haben. Können Sie kurz erklären, was darin steht?

Das Thesenpapier mit 13 Seiten beinhaltet die folgenden sechs Punkte: Die Ausgangslage, Daten und Fakten, Arbeitsassistenz, unsere vier offenen Fragen, Podiumsdiskussion und Literaturquellen. Diese offenen Fragestellungen sollten im Rahmen der Podiumsdiskussion erörtert werden. Es sollten Antworten gesucht und neue Lösungen gefunden werden. Unsere offenen Fragen befassten sich mit folgenden Punkten: Leistungsbudget, Antrags- und Nachweisverfahren, Mangel an Gebärdensprachdolmetschern und Kritik am Einsatz von Kommunikationsassistenten anstelle von Gebärdensprachdolmetschern.

Die Veranstaltung war sehr gut besucht. Welche Rückmeldungen haben Sie erhalten?

Ich bekam sehr viele positive Rückmeldungen von Besuchern und Teilnehmern der Podiumsdiskussion. Aber auch Leute, die beim Tag der Gebärdensprache nicht dabei sein konnten, haben sich positiv geäußert.

Die Veranstaltung war gut organisiert. Durch die Pressearbeit von Judit Nothdurft und durch den Videofilm von Christopher Buhr wurde eine erfolgreiche und starke Öffentlichkeitsarbeit betrieben.

Inzwischen haben wir eine freundliche Einladung vom Landesbehindertenbeauftragten Gerd Weimer und dem Leiter des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales, Dezernat 3 (Integration – Integrationsamt), Karl-Friedrich Ernst, zu einer Gesprächsrunde bekommen und angenommen. Hier wird über das Thesenpapier „Arbeitsassistenz“ und die Ergebnisse der Veranstaltung „Tag der Gebärdensprache“ weiter diskutiert.

Das zeigt auch die positive Auswirkung unserer Veranstaltung und die begonnene Diskussion mit den Verantwortlichen wird weitergeführt. Wir arbeiten weiter daran, unsere Ziele zu erreichen.

Welche Erfahrungen haben Sie persönlich bis jetzt mit der Arbeitsassistenz gemacht?

Bei der Kollegschule in Essen fand kaum Unterricht in Gebärdensprache statt. Es war hart und anstrengend für mich, das Abitur zu schaffen.

Während meines Studiums in Köln haben Gebärdensprachdolmetscher, Mitschreibkräfte und Tutoren mich begleitet bzw. unterstützt. Es war für mich eine schöne, interessante und lehrreiche Zeit.

Meine Referendariatszeit in München war nicht so schön und das hat mich viel Kraft gekostet. Das Integrationsamt lehnte zunächst ab, die Kosten für Gebärdensprachdolmetscher, die für mich die schulischen Veranstaltungen dolmetschen sollten, zu übernehmen. Nach einem halben Jahr hat das Integrationsamt die Leistungen der Arbeitsassistenz dann doch bewilligt. Trotzdem habe ich es nicht geschafft, das Referendariat erfolgreich abzuschließen.

Ich kann es jedem versichern, dass man als Gehörloser genauso leistungsfähig und fachlich kompetent wie ein hörender Mensch ist, wenn man durch eine Arbeitsassistenz unterstützt wird. Die Arbeitsassistenz ist ein wichtiger Bestandteil der begleitenden Hilfen, da sie die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung maßgeblich verbessert. Sie erleichtert auch den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt. Die Anwesenheit einer Arbeitsassistenz fördert die Selbstbestimmung, Selbstständigkeit, Effizienz und die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsplatz sowie in Aus- und Weiterbildung.

Durch eine Arbeitsassistenz sind mir als Mensch mit Hörbehinderung alle Möglichkeiten erschlossen worden, um auf einem Arbeitsplatz beschäftigt zu werden, auf dem ich meine Fähigkeiten und Kenntnisse voll anwenden und weiterentwickeln kann.

Welche Form der Arbeitsassistenz steht Ihnen als Geschäftsführer zur Verfügung und wie zufrieden sind Sie damit?

Bis jetzt nutze ich zwei Formen der Arbeitsassistenz: Gebärdensprachdolmetscher und Telefonvermittlungsdienste mit Gebärdensprachdolmetscher. Mit den Leistungen bin ich zufrieden, aber nicht mit dem vorgegebenen Rahmen der Nutzung dieser Dienste. Die Nutzung ist durch ein vorgegebenes Budget sehr begrenzt und eingeschränkt. Ich habe monatlich 1.000 Euro vom Kommunalverband für Jugend und Soziales (=KVJS) bewilligt bekommen. Mit diesem Budget kann ich Gebärdensprachdolmetscher bzw. Telefonvermittlungsdienste für ca. 2-3 Stunden in der Woche beschäftigen. Ich arbeite aber über 40 Stunden in der Woche! Wo bleiben die restlichen 37 Stunden ohne Arbeitsassistenz?

Ich bin zu Kompromissen bereit und schlage vor, dass beim Landesverband ein Gebärdensprachdolmetscher eine Festanstellung bekommt, denn das wäre langfristig sicherlich eine kostengünstigere Alternative, als Honorarsätze im Einzelauftrag zu bezahlen. Um dies zu realisieren, müsste unser Budget vom KVJS deutlich erhöht werden.

 

Wie lauten Ihre nächsten Ziele im Landesverband?

Es gibt viele Ziele im Landesverband. Vor allem setzen wir uns sehr aktiv für eine Vollzeitausbildung für Gebärdensprachdolmetscher an einem Hochschulstandort im süddeutschen Raum ein. So könnte man den Mangel an Gebärdensprachdolmetschern in Baden-Württemberg beheben.

Mein Hauptziel ist, die Lebensqualität der Menschen mit Hörbehinderung im wirtschaftlichen, sozialen, beruflichen und kulturellen Bereich weiter zu verbessern.

Gibt es auch etwas, das Sie unbedingt ändern möchten?

Ja! Die UN-Behindertenrechtskonvention muss in Landesrecht und in lokalen Maßnahmen umgesetzt werden. Das bekannte Motto „Nicht ohne uns über uns“ darf nicht vergessen werden!!!

Ich bedanke mich recht herzlich für das Gespräch und wünsche Ihnen und dem Landesverband alles Gute für die Verwirklichung der Ziele.

Text:   Judit Nothdurft

Bild:    Daniel Büter

 
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