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Experten-Interview April 2017



Warum kann ich nicht schlafen?

 

Im Mai hält Dr. Maximilian Krinninger, Oberarzt einen Vortrag über Schlaf und Schlafstörungen speziell für Gehörlose. Ich habe ihn im Klinikum für Psychiatrie, Sucht, Psychotherapie und Psychosomatik in Erlangen besucht, wo er die Abteilung für Hörgeschädigte leitet.

 

Dr. Krinninger, was passiert eigentlich im Schlaf und warum müssen wir schlafen?

Dr. Krinninger: Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein dachten wir, dass der Schlaf ein passiver Zustand ist. Eine Vorstellung war z.B., dass der Schlaf dem Einsparen von Energie in der Nacht dient. Heute ist diese Vorstellung überholt – wir wissen jetzt, dass im Schlaf diverse Prozesse in unserem Gehirn ablaufen, die der Ordnung und langfristigen Speicherung von Informationen dienen. Außerdem beschäftigt sich unser Unterbewusstsein im Schlaf mit Problemen und versucht diese zu lösen. Daher ist der oft gebrauchte Ratschlag, vor einer wichtigen Entscheidung: „Schlaf besser nochmal drüber“ durchaus berechtigt.

 

Wie lang soll ein ausreichender Schlaf sein? Wovon ist der Schlafbedarf abhängig?

Hier gibt es sehr große Unterschiede zwischen uns Menschen. Manche Menschen kommen mit 5 Stunden Schlaf aus, in Einzelfällen sogar weniger. Andere brauchen bis zu 9 oder 10 Stunden, bis sie sich ausgeruht fühlen. Der Schlafbedarf kann durch verschiedene Erkrankungen erhöht sein, aber auch durch die Einnahme von Medikamenten, die den Schlaf beeinflussen.

 

Wann sprechen wir von Schlafstörungen und wann sollte man auf jeden Fall zum Arzt gehen?

Wo genau die Grenze verläuft, muss für jeden Menschen individuell bestimmt werden. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die den Eindruck haben unter Schlafstörungen zu leiden, z.B. weil sie nachts einmal aufwachen. Hier sind eher die eigenen Erwartungen an den Schlaf das Problem – es ist nämlich normal, dass wir Menschen nachts mal aufwachen. Andererseits kommt es auch immer wieder vor, dass Menschen sich über Jahre mit starken Schlafstörungen herumquälen, ohne sich Hilfe zu holen.

Ärzte oder Psychologen können die meisten Schlafstörungen anhand gezielter Fragen einschätzen und entweder Entwarnung geben oder eine angemessene Behandlung anbieten. Daher empfehle ich im Zweifel immer das Gespräch zu suchen.

Falls der Behandler nicht genau nachfragt, sondern schnell Schlaftabletten verschreibt, ist Vorsicht geboten, denn diese Tabletten können teilweise abhängig machen. In so einem Fall empfehle ich, eine zweite Meinung einzuholen.

 

Was sind die häufigsten Ursachen und Formen für eine Schlafstörung?

Es gibt über 100 beschriebene Ursachen für Schlafstörungen. Häufig spielen Stress und eigene Lebensgewohnheiten eine zentrale Rolle. Wer seine Sorgen mit ins Bett nimmt, der tut sich häufig schwer mit dem Einschlafen. Es gibt aber auch körperliche Ursachen, wie z.B. Probleme mit der Schilddrüse oder das sog. Schlaf-Apnoe-Syndrom. Hier kommt es in der Nacht zu Atemaussetzern, die das Gehirn schädigen können.

 

Ist man in einem bestimmten Alter besonders von Schlafstörungen betroffen? Trifft es eher Frauen oder Männer?

Schlafstörungen sind bei Männern und bei Frauen möglich. Im Alter nimmt die Häufigkeit von Schlafstörungen zu.

 

Nach einer Studie schlafen 80% der Erwerbstätigen schlecht. Dieser Schlafmangel wirkt sich sicherlich auch auf die Leistungsfähigkeit aus

Ja, gesunder Schlaf ist eine zentrale Voraussetzung für Leistungsfähigkeit. Schlafstörungen sind auch ein erhebliches wirtschaftliches Problem. Unfälle wegen Müdigkeit schaden nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch dem Arbeitgeber. Schlafstörungen führen auch häufig zu Krankschreibungen.

 

Sind Schlafstörungen und Schlafkrankheiten behandelbar?

Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die sich nach der jeweiligen Ursache der Schlafstörung richten sollten. Manchmal genügen einfache Maßnahmen der sog. „Schlafhygiene“ – z.B. können die Betroffenen dadurch schon viel erreichen, dass sie in ihren Schlafzimmern die optimalen Bedingungen zum Einschlafen herstellen.

Natürlich gibt es auch medikamentöse Ansätze, die manchmal die beste Lösung darstellen, falls andere Maßnahmen nicht zum Erfolg führen. Hier sollte der Arzt genau wissen, was er tut und welche Medikamente er verwendet. Es gibt beispielsweise Tabletten, die relativ wenig in die Beschaffenheit des Schlafs eingreifen und nicht abhängig machen. Diese sollten bevorzugt verwendet werden.

Anders liegt der Fall z.B. beim eben erwähnten Schlafapnoesyndrom (=Atemstillstände während des Schlafs). Hier gibt es Schlafmasken, die die Atemaussetzer verhindern können und direkt an der Ursache der Krankheit ansetzen.

 

Welche Tipps geben Sie unseren Lesern für einen gesunden Schlaf?

Das Schlafzimmer sollte kühl sein, zwischen 18 und 22 Grad. Richten Sie sich schön in Ihrem Schlafzimmer ein! Ich hatte mal einen Patienten, dem es sehr geholfen hat, ein Foto von seinem letzten Urlaub im Schlafzimmer aufzuhängen.

Ganz wichtig: Bleiben Sie nicht liegen, wenn sie nicht einschlafen können! Spätestens nach 45 Minuten empfehle ich aufzustehen und zu versuchen, die Zeit irgendwie sinnvoll zu verwenden. Kehren Sie erst ins Bett zurück, wenn Sie sich richtig müde fühlen. Wenn Sie frustriert liegen bleiben und versuchen das Einschlafen zu erzwingen, klappt es meistens erst recht nicht und zusätzlich gewöhnen sie sich dann an, im Bett wach zu liegen.

 

Was dürfen unsere Leser über Sie wissen?

Seit Juni 2015 darf ich die Hörgeschädigtenabteilung leiten, die Dr. Inge Richter in der 80er Jahren aufgebaut hat. Ich bin sehr dankbar für die vielen tollen und spannenden Einblicke in die Welt der Gehörlosenkultur. Taube Menschen brauchen dringend eine ärztliche und psychotherapeutischen Behandlung von Therapeuten und Ärzten, die die deutsche Gebärdensprache beherrschen und die besonderen Bedingung von Gehörlosen kennen und verstehen.

Die Welt um uns herum ist in großen Teilen nicht auf die Bedürfnisse von Gehörlosen ausgerichtet – auf unserer Abteilung ist das anders. Wir wollen eine Oase für alle Gehörlose sein – und das ganz ohne Dolmetscher. Für den direkten Kontakt mit unseren Patienten üben wir alle fleißig immer weiter das Gebärden.

Schade ist, dass viele Hörgeschädigte entweder gar nicht wissen, dass sie einen Anspruch auf eine Behandlung in unserer Spezialbehandlung haben oder unrealistische Ängste damit verbinden.

Das Gerücht, dass bei uns jeder Medikamente nehmen muss oder dass man gegen seinen Willen eingesperrt wird, ist leider immer noch nicht ausgestorben. Um sich einen Eindruck von unserem Angebot zu machen, lade ich hier die Leser herzlich ein, die Gebärdenvideos auf unserer Homepage www.bezirkskliniken-mfr.de/hoergeschaedigte/ anzusehen. Dort werden unsere Abteilung und unsere Leistungen in Deutscher Gebärdensprache erklärt.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Dr. Maximilian Krinninger

 

Bemerkung der Redaktion: Der Vortrag findet am 16. Mai um 17:00, in den Räumlichkeiten der Evangelischen Gehörlosenseelsorge in Nürnberg statt.

 
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