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Experten-Interview März 2018



Ich brauche einen Gebärdensprachdolmetscher – wer bezahlt ihn?

 

Marion Rexin ist eine der bekanntesten Gebärdensprachdolmetscherinnen in Bayern. Wir haben uns über die Finanzierung von Gebärdensprachdolmetschereinsätzen unterhalten.

 

Frau Rexin, Sie halten bayernweit Vorträge und Weiterbildungsveranstaltungen zu einemwichtigen Thema, wer wann und warum die Dolmetscherkosten finanziert. Wer sind Ihre Teilnehmer und welche Fragen werden hier am häufigsten gestellt?

 

Marion Rexin: Die Teilnehmer sind bisher in der Regel Hörgeschädigte, Mitarbeiter von Vermittlungsstellen und Beratungsstellen.

Am häufigsten werde ich gefragt:

·         Was macht man, wenn die Vermittlungsstelle nicht zuverlässig ist?

Hier empfehle ich, sich beim Arbeitgeber der Vermittlungsstelle oder bei www.giby.de zu beschweren.

·         Was macht man, wenn der Dolmetscher nicht kommt?

Wenn der Dolmetscher nicht kommt, ist zwar blöd aber das kann man nur mit ihm klären.

·         Warum muss man Stornogebühren zahlen?

Stornogebühren muss man zahlen, da für uns Dolmetscher auf jeden Fall irgendwelche Kosten (Fahrtkosten, Einnahmeverlust usw.) entstehen. In einigen Fällen werden diese Gebühren vom Kostenträger übernommen aber gesetzlich ist hier noch einiges ungeklärt.

 

Wer kann einen Gebärdensprachdolmetscher bestellen und wo?

Jeder kann einen Gebärdensprachdolmetscher bestellen. Entweder der Hörgeschädigte selbst, wenn er zum Beispiel zum Arzt oder Anwalt oder zu einer Behörde muss. Es kann aber auch der hörende Gesprächspartner, Veranstalter, Krankenhaus, Arbeitgeber, Behörde usw. den Dolmetscher beantragen.

 

Was passiert nach dem dieser Antrag gestellt ist?

Der Antrag wird ja bei der Dolmetscher-Vermittlungsstelle gestellt. Jeder Regierungsbezirk in Bayern hat dafür eine eigene Dolmetscher-Vermittlungsstelle. Wenn der Antrag schriftlich oder per Mail gestellt wurde und alle notwendigen Unterlagen vorliegen, wird der Kostenträger geklärt. Parallel dazu, geht die Ausschreibung an alle Dolmetscher im nächsten Umkreis per Mail raus. Die Gebärdensprachdolmetscher antworten dann innerhalb von 48 Stunden (je nach Dringlichkeit auch schneller), wenn sie den Auftrag übernehmen könnten. Die Auswahl, der zur Verfügung stehenden Dolmetscher wird dann dem Auftraggeber mitgeteilt und dieser entscheidet dann, welchen Gebärdensprachdolmetscher er haben möchte.

 

Wer zahlt die Dolmetscherkosten und in welchen Fällen? Wie und wann ist der Kostenträger gesetzlich geregelt?

Wir haben in Bayern das Glück, dass Vieles bereits geregelt ist. Je nach dem Einsatzbereich gibt es unterschiedliche Kostenträger:

 

-       Gericht und Staatsanwaltschaft: in der Regel ist der Staat der Kostenträger, Ausnahme im Strafverfahren

-       Agentur für Arbeit: übernimmt die Agentur für Arbeit

-       Jobcenter: übernimmt das Jobcenter

-       Arzteinsätze: übernimmt die Krankenkasse (Ausnahme IGEL Leistungen)

-       Krankenhaus ambulant: zahlt die Krankenkasse

-       Krankenhaus stationär: muss die Klinik zahlen (hierzu gibt es ein neues Urteil!)

-       Polizei: ist im Moment noch ein sehr heikles Thema, denn dort hat man nur sehr wenige Mittel zur Verfügung, daher versucht man dort, alles was gebärden kann, einzusetzen. Nicht alle Polizeidienststellen machen das so, aber viele.

-       Kirchliche Angelegenheiten: (evangelisch/katholisch) DAFEG oder Bistum

-       Schule, Kindergarten, Hort, Tagesstätte: ist der Bezirk zuständig

-       Ausbildung: verschiedene Kostenträger u.a. DRV, Agentur für Arbeit, Bezirk

-       Umschulung: verschiedene Kostenträger, DRV, BG oder Agentur für Arbeit

-       Privater Bereich/Sozialer Bereich: ist der Bezirk Kostenträger (im Rahmen vom Teilhabegeld) oder aus Bezirkstöpfen (die es aber nicht in allen Bezirken gibt, derzeit nur Mittelfranken, Unterfranken und Schwaben)

-       Arbeitsbereich: immer vom Status abhängig, meistens ist das ZBFS Bayern – Inklusionsamt zuständig oder die Agentur für Arbeit.

Wichtig!!! Immer VOR dem Dolmetschereinsatz die Kosten zu klären und den Antrag zu stellen.

 

Ist die Kostenübernahme einheitlich oder je nach Bundesland unterschiedlich geregelt?

Es sind nur die „Bundesgesetze“ Kostensätze einheitlich. Zum Beispiel das JVEG. Dann gibt es aber noch Ländersachen, die sind inhaltlich anders, auch die Kostensätze können unterschiedlich sein.

Unter www.giby.de gibt es die Möglichkeit, nach den Kostenträgern zu suchen.

 

Wer zahlt die Dolmetscherkosten, z.B. bei Arztbesuchen, und wer trägt die Kosten bei einem Krankenhausaufenthalt oder bei Notfällen?

Beim Hausarzt oder Facharzt übernimmt die Krankenkasse die Kosten. Wenn es eine IGEL Leistung ist (also alles was der Patient an Behandlung selbst zahlen muss) wird auch der GSD nicht bezahlt. Alles, was die Krankenkasse an Leistungen übernimmt, wird auch der Dolmetscher bezahlt, wie z.B. Krankengymnastik, Ergotherapie, Logopädie, Psychotherapie, Suchtberatung, Schwangerschaftsgymnastik, Hörgeräte Akustiker (wenn Rezept vorliegt), Optiker (wenn Rezept vorliegt).

Beim Krankenhaus Einsatz kommt es darauf an, ob er ambulant oder stationär ist. Ambulant zahlt die Krankenkasse den Dolmetscher. Bei einem stationären Aufenthalt, muss das Krankenhaus bezahlen.

 

Kann das Notfallteam auch einen Dolmetscher bestellen? Wer trägt hier die Kosten?

Das Notfallteam muss sich die Kosten vom Klinikum absegnen lassen……

 

Beim Elternabend im Kindergarten oder in der Schule zahlt der Bezirk. Wie sieht es aus bei anderen schulischen Veranstaltungen aus?

Das einzige was bei schulischen Veranstaltungen manchmal nicht bezahlt wird, wenn es um keine „schulische Sache“ geht, ist zum Beispiel ein Vortrag, der nichts mit der Schule an sich selbst zu tun hat.

 

Was können Gehörlose tun, wenn Sie mit dem Dolmetscher nicht zufrieden waren?

Als Erstes empfehle ich immer, erst mal mit dem Dolmetscher selbst zu klären, womit er denn unzufrieden war. Jeder Gebärdensprachdolmetscher soll die Chance haben, Stellung zu nehmen bzw. sich zu verbessern. Wenn das nicht fruchtet, kann man gerne den Berufsfachverband der Gebärdensprachdolmetscher Bayern (BGSD Bayern e. V.) kontaktieren. Dort sitze ich auch im Vorstand.

 

Sie haben letztes Jahr 25-jähriges Berufsjubiläum gefeiert. Wenn Sie jetzt zurückblicken, was hat sich in diesen Jahren für Gebärdensprachdolmetscher geändert?

Da hat sich in der Tat sehr vieles geändert! Als ich im Oktober 1992 zugelassen wurde, gab es noch keine Ausbildung, so wie es sie heute gibt. Es wurden dann so nach und nach Ausbildungsstandorte (GIB Nürnberg, Paulinenpflege Winnenden, Uni Hamburg, FH Magdeburg, FH Zwickau usw.) aufgebaut. Heute ist es „Gott sei Dank“ nur noch möglich über ein 3- bzw. 4-jähriges Studium und erfreulicherweise nun auch endlich in Bayern in Landshut.

Der Beruf als Gebärdensprachdolmetscher erfordert so viel Wissen und Kompetenzen, dass dies eigentlich selbst durch das Studium noch nicht abgedeckt wird. Dort bekommt man auch nur die Basics an die Hand. So richtig los geht es dann draußen in der wirklichen Realität.

 

Geregelte Finanzierungsmöglichkeiten gab es damals nur wenige, da die Gebärdensprache selbst, ja noch gar nicht gesetzlich anerkannt war. Dieses geschah erst 2002 durch das Behindertengleichstellungsgesetz verankert in §6 und § 9 BGG.

Die Kostenübernahmen liefen 1992 bis 2002 meistens über freiwillige Töpfe der Städte und Bezirke. Einsätze beim Arzt wurden nur bezahlt, wenn dies der Arzt verordnet hat.

Im Arbeitsbereich war es so wie heute noch, dass die Hauptfürsorgestelle (heute Inklusionsamt) die Kosten aus Geldern der Ausgleichsabgabe übernommen hat. Einsätze beim Gericht und bei der Polizei waren über die Staatskasse geregelt.

 

Haben sich die Erwartungen von gehörlosen Klienten auch geändert?

Ja, auf jeden Fall. Die Gehörlosen wurden selbstbewusster. Sie können nun selbst entscheiden, wohin sie einen Gebärdensprachdolmetscher mitnehmen oder wohin nicht. Leider können wir aber nicht allen Erwartungen standhalten. Der Wunsch ist manchmal von heute auf morgen einen Gebärdensprachdolmetscher zu bekommen, was uns nicht immer gelingt. Wir sind sehr gefragt und haben dementsprechend den Terminkalender voll.

Die Gehörlosen wünschen sich natürlich auch, dass auf allen öffentlichen Veranstaltungen ein Gebärdensprachdolmetscher anwesend ist. Das wäre barrierefrei. Deutschland hat die UN Behindertenrechtskonvention unterschrieben und an der muss eben, was die Praxis betrifft, noch einiges in die Tat umgesetzt werden.

 

Welche Tipps geben Sie Gehörlosen bei Dolmetschereinsätzen und Kostenträgerfragen?

Wichtig ist immer bei der Beantragung, alle wichtigen Punkte zu notieren:

 

-       Wann ist der Einsatz

-       Wo findet der Einsatz statt (Straße, Ort, Raum, Stockwerk, Treffpunkt mit dem Dolmetscher

-       Wie lange dauert der Einsatz (denn bei einer Einsatzzeit von über 1 Stunde, müssen zwei Dolmetscher – Doppelbesetzung) beantragt werden

-       Was soll gedolmetscht werden (Besprechung, Versammlung, Vortrag usw.)

-       Bei Arzteinsätzen, das Geburtsdatum dazu, das wird oft erfragt

-       Bei Behördengänge ist das Aktenzeichen/Versicherungsnummer notwendig

-       Wunschdolmetscher angeben

 

Anträge am besten über die Dolmetscher-Vermittlung stellen. Eine Beratung kann über alle Sozialdienste für Gehörlose geholt werden.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Marion Rexin, privat

 

 
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