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Experten-Interview Mai 2018



Sprache ist nicht gleich SprechenGebärdensprachschule feiert 15-jähriges Jubiläum

 

Die Gebärdensprachschule in Heidelberg feiert am 8. und 9. Juni dieses Jahres ihr 15-jähriges Jubiläum. Aus diesem Anlass habe ich mich mit der tauben Gründerin und Inhaberin der Schule, Jana Schwager, unterhalten.

 

Frau Schwager, was hat Sie dazu bewegt, eine Gebärdensprachschule zu gründen?

Jana Schwager: Schon in meiner Kindheit hat mich eine Bekannte meiner Oma fasziniert. Sie nähte zu Hause Kleider nach Kundenwünschen. Mich hat es schon damals interessiert, wie man in selbstständiger Tätigkeit, die Bedürfnisse anderer erfüllen kann.

Zuerst habe ich mich aber für den Beruf als Zahntechnikerin entschieden. Diesen Beruf zu erlernen bzw. zu studieren, war damals in der DDR das Beste, was für uns Gehörlose möglich war.

Innerlich suchte ich aber weiterhin nach einer neuen Herausforderung, die ich erst nach 15 Jahren gefunden habe. Als das Zahnlabor, in dem ich angestellt war, in Insolvenz ging, habe ich mich beruflich als Dozentin für Gebärdensprache umorientiert.

Zuerst unterrichtete ich an Volkshochschulen. Parallel dazu besuchte ich regelmäßig sehr interessiert Weiterbildungen in ganz Deutschland, um mich als Dozentin zu qualifizieren. Da immer mehr Kursteilnehmer mich fragten, ob sie meine Kurse durchgehend besuchen könnten, kam ich auf die Idee, eine eigene Gebärdensprachschule zu gründen.

 

Die Deutsche Gebärdensprache (DGS) ist seit 2002 in Deutschland anerkannt. Sie haben die Schule 2003 eröffnet, gibt es hier einen Zusammenhang?

Der Zeitpunkt war perfekt, um eine Gebärdensprachschule zu gründen! Es war trotzdem nicht leicht, die Gründung durchzuziehen. Der Kampf dauerte ungefähr ein Jahr. Für die Ämter war die Vorstellung einer tauben Existenzgründerin ganz neu.

Ich bekam unter anderem vom Arbeitsamt keinen Existenzgründungszuschuss, weil ich schon vorher 5 Jahre lang freiberuflich gearbeitet hatte. Das Sozialgesetzbuch (SGB) IX trat 2001 in Kraft, dadurch waren Möglichkeiten für Arbeitsassistenzleistungen geschaffen worden. Tauben Arbeitnehmern und tauben Selbstständigen stand jetzt als begleitende Hilfe im Arbeitsleben, Kostenerstattung für eine notwendige Arbeitsassistenz zur Verfügung. Das hat mich weiter zur Gründung motiviert.

 

Welche Qualifikation sollte man haben, um eine Gebärdensprachschule zu eröffnen?

Bevor ich gründen konnte, musste ich meine Qualifikation nachweisen. Deshalb habe ich die Weiterbildung als sprachwissenschaftlich qualifizierte Dozentin für Gebärdensprache an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/Main absolviert.

Ohne solche Qualifikationsnachweise ist es heute äußerst schwierig, von Ämtern, Hochschulen und anderen Einrichtungen Aufträge zu bekommen. Die Anforderungen an Lehrpersonal sind enorm gestiegen, was ich sehr begrüße! Um selbst zu unterrichten, sollte man die Gebärdensprache auf muttersprachlichem Niveau beherrschen. Natürlich sollte man auch die notwendigen methodisch-didaktischen sowie pädagogischen und fachlichen Kompetenzen haben.

Für alle selbstständigen Tätigkeiten braucht man viel Fleiß und Motivation, um auch mal Rückschläge verkraften zu können. Nicht zuletzt muss man auch gut, professionell und pädagogisch fundiert mit Menschen umgehen können, sowohl mit Lernenden als auch mit Kooperationspartnern und Mitarbeitern.

Nur als Hobby nebenher ein bisschen Gebärdensprache unterrichten, diese Zeiten sind längst vorbei! Leider steckt die Professionalisierung unseres Berufs noch in den Kinderschuhen.

 

Eine Firmengründung ist immer mit sehr viel Bürokratie verbunden, Anträge stellen, Genehmigungen einholen usw. Haben Sie diesbezüglich Hilfe oder Unterstützung gehabt?

Ohne irgendeine Hilfe oder Unterstützung wäre ich aufgeschmissen (lacht). Dauernd unterstützen mich mein Mann und meine Kinder, die jetzt schon erwachsen sind. Auch mein Steuerberater hat mich immer sehr unterstützt. Bei Bedarf habe ich mich auch juristisch beraten lassen.

Natürlich kostet diese fachkundige Hilfe Geld. Bei der Planung und Umsetzung neuer Tätigkeitsbereiche meiner wachsenden Firma kann ich auf meine Verwaltungsmitarbeiter bauen. Die gesammelten Erfahrungen sind wertvoll, um später bei ähnlichen Fällen richtig und zeitsparend reagieren zu können.

 

Wie war der Anfang? Wie viele Kurse gab es? Wie viele Mitarbeiter?

Anfangs gab es nur Abend-, Intensiv- und Wochenendkurse sowie einige Frühförderungsangebote für Kinder in den alten Räumen, nicht weit von meiner heutigen Firmenadresse. Außer meinem damaligen Geschäftspartner und mir gab es keine weiteren Mitarbeiter. Später haben wir wegen wachsender Nachfrage auch berufliche Weiterbildungen mit größerem Stundenumfang durchgeführt.

Ein wichtiger Schritt war die Zertifizierung als Bildungsträger nach AZAV und ISO 9001:2015 sowie die Zulassung vom BAMF als Kursträger. Dann kamen weitere Geschäftsfelder und immer mehr Mitarbeiter dazu. Heute arbeiten meine Mitarbeiter und ich auch als Gastdozenten an anderen Bildungseinrichtungen.

 

Wer sind Ihre Schüler und wie viele Leute haben bei Ihnen bis jetzt gebärden gelernt?

Meine jüngsten "Sprachschüler" waren 8 bis 14 Monate alt und bekamen von mir Frühförderung, aber ich habe auch Kursbesucher, die schon in der Rente sind. Mein ältester Schüler war 83 Jahre alt und besuchte mit seiner 81-jährigen Frau zwei aufeinanderfolgende Sommerkurse.

Die meisten Teilnehmer meiner Gebärdensprachkurse und Bildungsmaßnahmen lernen Gebärdensprache aus beruflichem oder persönlichem Interesse. Insgesamt hatte ich bestimmt schon etwa zwei- bis drei tausend Kunden. Manche haben nur einen Kurs besucht, andere mehrere Kurse oder umfangreichere berufsbegleitende Module.

 

15 Jahre ist eine lange Zeit. Hat sich die Nachfrage bezüglich Gebärdensprache geändert? Anfangs gab es nur kleine Kursgruppen und die Auswahl an Kursen war recht klein. Das Interesse, Gebärdensprache zu lernen, nimmt seitdem ständig zu. Deshalb haben wir immer mehr Angebote, Gebärdensprache für den beruflichen Einsatz zu lernen. Natürlich liegt das auch an der aktuellen Diskussion um Inklusion und Barrierefreiheit.

Die Qualifizierungsmaßnahmen für angehende Gebärdensprachdozenten biete ich schon seit fast 10 Jahren an. Die Nachfrage ist auch hier weiterhin steigend. Noch immer gibt es in großen Gebieten keine qualifizierten Dozenten für die Deutsche Gebärdensprache. In unseren BAMF-Integrationskursen lernen taube und schwerhörige Migranten und Flüchtlinge die Deutsche Gebärden- und Schriftsprache. Außerdem bieten wir barrierefreie Arbeitsmarktintegration mit Gebärdensprache für taube Arbeitslose, sozialpädagogische Familienhilfe und Alltagsbegleitung an. Alle diese Angebote entstanden innerhalb der letzten drei Jahre basierend auf Anfragen von Bekannten, Interessenten und Kooperationspartnern.

 

Wie sieht heute Ihr Kursangebot aus?

Für Hörende, die DGS lernen möchten, haben wir Abend-, Wochenend- und Bildungsurlaubskurse sowie berufliche Weiterbildungen in Vollzeit oder berufsbegleitend. Besonders beliebt ist die berufsbegleitende "Zusatzqualifikation Gebärdensprache" in flexibler Modulform. Sie ist für alle geeignet, die aus beruflichen oder privaten Gründen tiefer in die DGS einsteigen möchten. Jedes Modul dauert etwa ein Jahr. Zurzeit laufen die Module 1 bis 3. Jedoch äußern unsere Lernenden häufig den Wunsch, auch Modul 4 anzubieten, was wir zurzeit leider aus Dozentenmangel noch nicht durchführen können.

Arbeitslose können unsere einjährigen Vollzeit-Weiterbildungsangebote (Pädagogische Fachkraft mit Schwerpunkt Gebärdensprache, Zusatzqualifikation Gebärdensprache, Schriftdolmetscher mit Gebärdensprache und einfacher Sprache) über einen Bildungsgutschein besuchen.

Für bereits gebärdensprachkompetente Zielgruppen bieten wir ebenfalls Bildungsurlaubskurse an, z.B. Deaf-Studies, GER der DGS (Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für DGS) oder Linguistik der Gebärdensprache. Und natürlich die Qualifizierung zum DGS-Dozenten, die ebenfalls über Bildungsgutschein förderfähig ist.

Die Heranführung an den Arbeitsmarkt in DGS (nach § 45 SGB III) können taube und schwerhörige Arbeitslose mit einem Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein besuchen.

Für den BAMF-Integrationskurs beraten wir Interessenten gerne auch in internationalen Gebärden zu den Teilnahmemöglichkeiten.

Für taube Vorschulkinder und Vorschulkinder, deren Lautsprachentwicklung eingeschränkt ist, bieten wir Frühförderung mit Gebärdensprache und Hausgebärdensprachkurse für die (hörenden) Eltern an. Außerdem führen wir gebärdensprachliche Begleitungen in Kindergärten und Schulen durch, mit dem Ziel einer barrierefreien Teilhabe am regulären Bildungssystem.

Seit kurzem bieten wir auch sozialpädagogische Familienhilfe mit Gebärdensprache an und es gibt bei uns auch kostenlose Schnupperkurse.

 

Sich selbstständig zu machen, ist immer mit Risiko verbunden. Was würden Sie als erfolgreiche Geschäftsfrau anderen Gehörlosen empfehlen, was sie vor so einem Schritt überlegen sollten?

Vor allem braucht man Risikobereitschaft, Mut, Flexibilität, Kreativität und Durchhaltevermögen! Ich muss sehr oft auch am Wochenende oder abends arbeiten. Ohne das Verständnis und die Unterstützung meiner Familie wäre das nicht möglich. Belastbarkeit ist eine der wichtigsten Voraussetzungen! Manchmal erlebe ich auch Rückschläge, jedoch mit der Unterstützung meiner Familie und meiner Mitarbeiter kann ich auch hohe Wellen bezwingen.

 

Sie engagieren sich auch stark für Barrierefreiheit und Teilhabe. Was würden Sie sich von der Gesellschaft wünschen?

Ich wünsche, dass das Recht auf barrierefreie Teilhabe an allen Lebensbereichen endlich konsequent umgesetzt wird!

Zu viele Barrieren sind noch in den Köpfen vorhanden, in Form von Vorurteilen oder einfach nur aus Mangel an Information. Daher ist es mir ein großes Anliegen, immer wieder über Gebärdensprache und Taubenkultur aufzuklären. Sprache ist nicht gleich Sprechen. Auch Kommunikation muss barrierefrei sein.

 

Und was wünschen Sie von den Gehörlosen...

Wir würden uns sehr freuen, wenn die Professionalisierung unseres Berufs als Dozenten für Gebärdensprache und Sprachförderung endlich ernsthaft voranschreiten würde.

Die Tauben entwickeln immer mehr Sprachbewusstsein für die schöne Gebärdensprache und dadurch auch mehr Selbstbewusstsein. Daher kämpfen wir für die Gleichstellung unserer Sprache und die Umsetzung unseres Rechts auf barrierefreie Teilhabe.

Wir haben schon viel erreicht, z.B. beim Recht auf Nutzung der Gebärdensprache oder bei Untertiteln. Aber es bleibt noch viel zu tun, vor allem bei der Umsetzung barrierefreier lebenslanger Bildung. Auch für unsere Kinder muss es mehr Unterstützung und Empowerment geben. Gemeinsam werden wir die nächsten Schritte schaffen.

 

Was dürfen unsere Leser von Ihnen noch privat wissen?

Ich bin verheiratet und habe drei erwachsene Kinder. Ich mag gern scharfes Essen mit ganz viel Chili. Sehr gerne gehe ich auch mit Freunden gemeinsam essen. Ich schaue sehr gerne auf Netflix Serien, besonders über das Mittelalter und türkische Filme.

 

Wann findet die Jubiläumsfeier statt? Und was erwartet die Gäste?

Die Feier beginnt am Freitag, 8. Juni 2018 nachmittags und endet am Samstag, 9. Juni. Das Motto ist: "Kinder und Gebärdensprache - unsere Zukunft!". Es gibt Fachvorträge und ein Kinderprogramm, außerdem ein Gebärdensprachfestival für Kinder und eine Abendgala für Groß und Klein. Wir möchten mit der Veranstaltung Öffentlichkeitsarbeit zu den Themen Gebärdensprache, barrierefreie Bildung und Taubenkultur betreiben. Den Kindern möchten wir im Sinne des Empowerments ihre Kommunikationsstärke dank Gebärdensprache bewusst machen.

Ich würde mich über eine rege Teilnahme von euch allen sehr freuen.

 

Vielen Dank für das Interview und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!

Text: Judit Nothdurft

Foto: Jana Schwager

 

 
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