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Experten-Interview Juli 2018



Ab 01.07.2018 rund um die Uhr Notruf für Hörbehinderte - eingehende Notrufe bei allen Gebärdensprachdolmetschern angezeigt

 

Seit 01.07.2018 sind die Tess Relay-Dienste 24 Stunden täglich erreichbar und somit können Gehörlose und Schwerhörige endlich auch nachts Notrufe abgeben. Über die Details habe ich Sabine Broweleit, Geschäftsführerin der Tess Relay-Dienste GmbH, gefragt.

 

Frau Broweleit: Endlich ist wahr geworden, worauf viele Gehörlose und Schwerhörige gewartet haben, Tess ist jetzt rund um die Uhr erreichbar. Warum hat es so lange gedauert??

Sabine Broweleit: Weil wir auf die politische Entscheidung warten mussten. Letztlich hat die Notwendigkeit, dass Notrufe auch nachts abgesetzt werden müssen, dazu geführt, dass die Politik das Thema auf ihre Agenda genommen hat.

Im Juli 2017 wurde dann das Telekommunikationsgesetz geändert. Darin steht, dass ein Vermittlungsdienst jederzeit erreichbar sein muss. Bis Ende 2018 sind wir aber noch an den aktuellen Vertrag mit der Bundesnetzagentur gebunden, mit den „alten“ Zeiten von 8-23 Uhr. Wir haben aber schon lange mit der Umorganisation begonnen und freuen uns, dass wir durch unsere gute Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Umsetzung des 24-Stunden-Dienstes schon ab dem 1. Juli 2018 starten können, noch vor Ablauf der regulären Verpflichtung. Denn auf Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie haben sich die Telekommunikationsunternehmen, die zur Bereitstellung eines Vermittlungsdienstes verpflichtet sind, freiwillig bereit erklärt, jetzt schon die Mehrkosten für den „Rund-um-die Uhr-Service“ zu übernehmen.

 

Wie wird diese erweiterte „Öffnungszeit“ finanziert?

Derzeit finanzieren die Telekommunikationsunternehmen, die nach TKG 45 verpflichtet sind einen Vermittlungsdienst für hörgeschädigte Menschen zur Verfügung zu stellen, den 24-Stunden-Dienst freiwillig. Ab 2019 werden sie dann durch die Bundesnetzagentur dazu aufgefordert.

 

Es gibt auf dem Markt auch einige Notruf-Apps von privaten Anbietern. In wie weit unterscheidet sich Tess von diesen Anbietern?

Unsere App ist eine zusätzliche Möglichkeit für unsere Kunden zu telefonieren. Unsere App ist nicht für Notrufe entwickelt worden. Mit unserer App können hörgeschädigte Menschen mit einem Smartphone oder Tablet die Dolmetscher in unseren Relay-Diensten anrufen, um dann mit hörenden Menschen zu telefonieren. Dass wir auch Notrufe vermitteln, ist für uns selbstverständlich.

 

Muss man Tess-Kunde sein, um einen Notruf abgeben zu können?

Ja. Man muss bei Tess registriert sein, und zwar aus folgenden Gründen: Durch die Angabe der Adresse können wir den Notruf an die richtige Notrufleitstelle vermitteln. Dies geschieht bei uns automatisch durch ein Routing im System. Außerdem kann der Kunde zurückgerufen werden, sollten der Notarzt, die Polizei oder die Feuerwehr noch Rückfragen haben. Und im schlimmsten Fall, wenn ein Kunde nicht mehr in der Lage ist zu kommunizieren, während er den Notruf absetzt, können wir die Rettungskräfte an die registrierte Adresse schicken.

 

Was kostet es, wenn man einen Notruf über Tess abgeben möchte?

Notrufe sind kostenlos. Die Registrierung als Notruf-Kunde und auch die Notruf-Anrufe sind kostenlos! Alle anderen Tess-Kunden, die für private oder berufliche Telefonate angemeldet sind, können auch kostenlos Notrufe absetzen. Nachtzuschlag berechnen wir nicht, auch nicht für private Telefonate.

 

Wie und über welche Geräte kann man einen Notruf abgeben?

Unsere Dienste können mit Windows-PC und der MMX Software, einem Apple-PC mit der Software Jitsi angerufen werden. Mit unserer Tess-App können auch Smartphones und Tablets unterschiedlicher Anbieter genutzt werden. Voraussetzung ist aber ein Android- oder iOS-Betriebssystem. Wichtig ist hierbei immer eine ausreichend gute Internetverbindung, mindestens 256 kBits Upstream.

Wir haben auf unserer Webseite einen Speedtest, mit dem man testen kann, wie schnell die Internetverbindung gerade ist und für welchen Relay-Dienst sie geeignet ist. In der Regel funktioniert der Textchat auch bei einer geringen Internetverbindung.

Bei den Verträgen für die mobilen Geräte müssen die Nutzer darauf achten, dass Voice over IP kurz VoiP nicht ausgeschlossen ist, bzw. erlaubt ist. Unser Support hilft gerne bei technischen Fragen!

 

Was passiert, wenn z.B. alle Gebärdensprachdolmetscher besetzt sind?

Bei normalen Telefonaten kommen die Kunden in unsere kostenlose Warteschleife. Notrufe werden bei uns aber priorisiert. Das heißt, sollten alle Dolmetscher besetzt sein, wird der eingehende Notruf bei allen Dolmetschern angezeigt. Die Dolmetscher unterbrechen dann ggf. ihr laufendes Telefonat, um den Notruf entgegen zu nehmen. Wir haben für unsere laufenden Schichten bis zu 15 Dolmetschstationen gleichzeitig besetzt. Wir haben zusätzlich Dolmetscher eingestellt, aber aus dem Grund, dass unsere Dienste immer mehr genutzt werden.

 

Wie lange dauert es bis der Kunde eine Antwort erhält (z.B. Rettungswagen unterwegs)?

Der Kunde erhält sofort die Rückmeldung, da unsere Gebärdensprachdolmetscher das Gespräch mit der Leitstelle simultan dolmetschen.

 

Welche Infos brauchen Tess-Mitarbeiter im Fall eines Notrufes vom Anrufer?

Der Dolmetscher muss wissen, wo der Notfall stattfindet. Es kann ja sein, dass der Notfall nicht zu Hause passiert. Dann muss die richtige Notrufleitstelle ermittelt werden. In diesem Fall rufen unsere Dolmetscher die Notrufleitstelle in Frankfurt an. Diese hat eine Liste mit allen Leitstellen in Deutschland und verbindet uns dann mit der passenden Notrufleitstelle.

Im weiteren Verlauf ist der Dolmetscher nur der Vermittler des Gespräches zwischen der Notrufleitstelle und dem Kunden.

Der Kunde muss der Notrufleitstelle die fünf W-Fragen beantworten:

·         Wo ist etwas geschehen?

·         Was ist geschehen?

·         Wie viele Personen sind beteiligt/verletzt?

·         Welche Art der Erkrankungen/Verletzungen/Schäden liegt vor?

·         Warten auf Rückfragen.

 

Bald beginnen die Ferien und viele Hörbehinderte fahren auch ins Ausland. Können deutsche Urlauber im Ausland über Tess einen Notruf abgeben?

Grundsätzlich können unsere Relay-Dienste auch aus dem Ausland angerufen werden. Wir übersetzen auch Telefonate ins Ausland, aber nur in deutscher Sprache. Das funktioniert aber nicht als normaler Notruf über die 110 oder 112, wie in Deutschland. Denn im Ausland gibt es andere Notrufnummern. Diese haben wir nicht in unserem System und auch die Leitstelle in Frankfurt ist nur mit dem bundesweiten Leitstellennetz verbunden.

Deshalb muss der Kunde am besten vor dem Urlaub die Vorwahl und die Nummer des Notrufes in diesem Land heraussuchen und mitnehmen.

Unsere Dolmetscher können dann diese Nummer anrufen und so den Notruf als „normales Telefonat“ vermitteln.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Sabine Broweleit

 

 
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