Nikolaos Penteridis - Reichen die Festbetragshörgeräte nicht aus, muss die Krankenkasse mehr als nur den Festbetrag zahlen!

 

Trotz der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.12.2009 (hier zu lesen) wollen viele Krankenkassen noch immer nur die Festbeträge zahlen. Rechtsanwalt Nikolaos Penteridis von der Kanzlei Melzer + Penteridis gibt hierzu wertvolle Tipps.

 

Judit Nothdurft: Herr Penteridis, in welchen Fällen muss die Krankenkasse die Hörgeräte tatsächlich „voll“ bezahlen? Muss man hier bestimmte Kriterien erfüllen?

Herr Penteridis: Das BSG hat eindeutig entschieden: Die Festbeträge sind zwar grundsätzlich rechtmäßig. Aber: Reichen die Festbetragshörgeräte nicht aus, muss die Krankenkasse mehr als nur den Festbetrag zahlen.

 

Was kann man machen, wenn die Krankenkasse nur den Festbetrag zahlen will?

Es sollte unbedingt Widerspruch gegen die Entscheidung eingelegt werden. Ein formloses Schreiben an die Krankenkasse reicht aus. Sie haben einen Monat Zeit nach Zugang des Bescheides der Krankenkasse.

 

Nehmen wir ein Beispiel. Ich habe die Rechnung des Hörgeräteakustikers erhalten. Die Krankenkasse will nur die Festbeträge zahlen. Was mache ich jetzt? Wie ist der Ablauf?

Sie müssen Widerspruch gegen die Entscheidung der Krankenkasse einlegen. Suchen Sie auch das Gespräch mit dem Hörakustiker und bitten Sie ihn um einen Zahlungsaufschub bis die Krankenkasse über den Widerspruch entschieden hat. Oder vereinbaren Sie eine Ratenzahlung. In der Regel lassen sich die Hörakustiker darauf ein.

 

Im Falle einer Klage, wie hoch können die Kosten werden und wer muss sie zahlen?

Es entstehen keine Gerichtskosten. Die Anwaltskosten betragen im Durchschnitt ca. 560 Euro. Es hängt aber vom Einzelfall ab, wie hoch die Kosten tatsächlich sein werden. Hinzukommen noch Kilometer- und Abwesenheitsgelder für den Rechtsanwalt. Die Rechtsschutzversicherung übernimmt in der Regel die Kosten, jedoch mit Ausnahme des Kilometer- und Abwesenheitsgeldes.

 

Kann man hierzu Prozesskostenhilfe beantragen und wenn ja, wo?

Dies ist möglich. Die Prozesskostenhilfe wird beim Gericht beantragt, das über die Klage entscheiden wird. Diesen Antrag stellt grundsätzlich der Rechtsanwalt für Sie. Sprechen Sie ihn darauf an.

 

Wie lange dauert überhaupt solch ein Gerichtsverfahren? Und was passiert mit der unbezahlten Rechung? Bald kommen auch die Mahnungen…..

Ein Gerichtsverfahren dauert vor dem Sozialgericht ca. 6 – 12 Monate. Sollte es noch vor das Landessozialgericht gehen, weil eine Partei Berufung eingelegt hat, müssen Sie mit weiteren 12  Monaten rechnen. Wegen der unbezahlten Rechnung sollten Sie unbedingt das Gespräch mit dem Hörakustiker suchen und mit ihm entweder einen Zahlungsaufschub oder eine Ratenzahlung vereinbaren.

 

Wie viele Hörgerätefälle bearbeiten Sie im Jahr?

Wir bearbeiten im Jahr ca. 1.000 Hörgerätefälle.

 

Darf ich fragen, wie diese Hörgerätefälle ausgegangen sind?

Für ca. 60 % der Mandanten konnten wir ein positives Ergebnis erstreiten. Ob dies bei den nächsten 1000 auch so sein wird, kann ich jedoch nicht vorhersagen. Wie bei jedem Gerichtsprozess gibt es keine Erfolgsgarantie. Denn jeder Richter ist in seiner Entscheidung frei und legt unter Umständen die Gesetze und Urteile anders als ein Richterkollege. Bei den Hörgerätefällen ist auch der medizinische Aspekt entscheidend, den wir als Rechtsanwälte nicht beeinflussen können.

 

Sie vertreten auch Hörgeschädigte vor Gericht? Wie läuft dann die Kommunikation?

Das Gericht beauftragt einen Gebärdendolmetscher. Ansonsten greifen wir bei Bedarf auf Gebärdendolmetscher zurück, wenn wir mit unseren Mandanten Besprechungen in unserer Kanzlei führen.

 

Ihre Kanzlei ist in Bad Lippspringe (in Nordrhein-Westfalen). Könnten Sie auch einem Hörgeschädigten helfen, wenn der z.B. in Berlin wohnt?

Ja, das ist problemlos möglich. Wir helfen Hörgeschädigten aus ganz Deutschland, von Aachen bis Berlin, von Rostock bis München. Denn jeder Fall kann in der Regel per Post, Email oder speziellen Telefonservices für Hörgeschädigte (z.B. TESS) mit unseren Mandanten besprochen werden. Unsere Mandanten sind mit dieser Abwicklung sehr zufrieden.

 

Sollte es doch zu einem Prozess kommen, wo ist dann die Verhandlung?

Die Verhandlung ist an dem Sozialgericht, das für unseren Mandanten zuständig ist. Wohnt unser Mandant in Berlin, ist das Sozialgericht Berlin zuständig, wohnt unser Mandant in Aachen, klagen wir vor dem Sozialgericht Aachen.

 

Was raten Sie denjenigen, die vor dem Gerichtsurteil von 2009 ihre Hörgeräte selber bezahlt haben. Können sie die Kosten von der Krankenkasse zurück fordern? Wenn ja, wie?

Dies ist nur dann möglich, wenn ein Antrag gestellt worden ist, bevor die Hörgeräte selbst beschafft worden sind. Stellen Sie dazu einen Überprüfungsantrag. Haben Sie keinen Antrag gestellt, sollten Sie trotzdem einen sog. Überprüfungsantrag stellen. Die Erfolgsaussichten sind dann jedoch leider deutlich geringer.

 

Wo kann man diesen Überprüfungsantrag stellen? Wie sollte es ungefähr formuliert sein?

Der Überprüfungsantrag muss bei der Krankenkasse gestellt werden. Es reicht aus zu formulieren: „Ich beantrage eine Überprüfung, ob Sie die Kosten für meine Hörgeräte übernehmen.“

 

Wie weit darf die Zahlung in der Vergangenheit liegen?

Für den Überprüfungsantrag gibt es grundsätzlich eine zeitliche Grenze von vier Jahren.

 

Vielen Dank für das Interview und ich wünsche Ihnen und Ihren Mandanten weiterhin viel Erfolg!

 

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Nikolaos Penteridis